Mariana Castillo Deball recherchierte über den Ort und die Sammlung: "Parergon" im ehemaligen Hamburger Bahnhof.

Foto: Trenkler

G.R.A.M. sorgte auf der Kunstmesse ABC für den Eyecatcher: Plakate mit Nachstellungen im ehemaligen Dresdner Bahnhof

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Berlin - Im Jahr 2005 gab es in Wien die erste Vienna Art Week - als Ergänzung zur Viennafair. Wien sollte ein Hotspot werden, es ging um Verdichtung, Vernetzung und Vermarktung. Auch wenn Kunstmesse und -woche heutzutage nicht mehr parallel stattfinden: Das Beispiel, zur Messe ein Rahmenprogramm zusammenzustellen, hat Schule gemacht. Bis zum Sonntag wartete die Berlin Art Week als Ergänzung zur ABC und zwei kleineren Messen mit einer satten Zahl an Eröffnungen, Vernissagen und Diskussionen auf.

Mit der Berlin Art Week versucht die deutsche Bundeshauptstadt, in der viele Sammler und noch viel mehr Künstler leben, Anschluss an den internationalen Kunstmarkt zu halten bzw. eher zu knüpfen. Das Aus der Kunstmesse Art Forum Berlin, die von 1996 bis 2010 existierte, ist noch nicht verschmerzt. Und die ABC (Art Berlin Contemporary) konnte, wiewohl gewachsen, bisher nicht in die Fußstapfen treten.

Seit vier Jahren findet sie in einem Hallenkomplex beim Gleisdreieck Unterschlupf, der 1875 als Dresdner Bahnhof eröffnet wurde. Vom Ansatz her unterscheidet sich die ABC von anderen Messen: Die Galerien (heuer 111) stellen jeweils nur eine Position vor, es gibt zudem keine Kojen. Die Messe hat daher eher die Anmutung einer Ausstellung, in der Installation und Skulptur dominieren.

Ins Auge stachen eine riesige Wand von Tobias Rehberger, eine Ansammlung mit Farbe begossener Globen von Douglas Coupland und die Performance von Anca Munteanu Rimnic, die im Bärenkostüm jede Menge Kristallvasen zerbrach. Die größte Aufmerksamkeit aber zog das Grazer Duo G.R.A.M. auf sich: Es blies seine Nachstellungen von Pressefotos mit schlafenden bzw. raufenden Politikern auf Wahlplakatgröße auf - und affichierte sie. Einer der riesigen Plakatständer stand direkt beim Messeeingang.

Die neu ins Leben gerufene Messe Positions gab einen passablen Überblick über die Regionalszene. Das Beste aber war der Ort: das "Haus der Mode" des KaDeWe-Gründers Adolf Jandorf aus dem frühen 20. Jahrhundert, das in der DDR das Zensur übende "Institut für Mode" beherbergte - und seit der Wiedervereinigung unbegreiflicherweise leersteht.

Im Niemandsland

In Berlin gibt es allerdings viele Gebäude, die auf eine neue Bestimmung warten. Die kulturelle Nachnutzung ist übrigens keine Erfindung des postindustriellen Zeitalters: Der Hamburger Bahnhof, 1846 in Betrieb genommen und 38 Jahre später stillgelegt, wurde bereits 1904 zum Verkehrs- und Baumuseum umgewidmet. Nach dem Zweiten Weltkrieg lag er ungenutzt im Niemandsland zwischen West- und Ostberlin. Seit Ende 1996 fungiert der Bahnhof als Museum für Gegenwart.

Mariana Castillo Deball, 1975 in Mexiko-Stadt geboren, thematisiert in ihrer faszinierenden Ausstellung Parergon die Geschichte des Hamburger Bahnhofs - und sie verknüpft diese mit den Sammlungen der Nationalgalerie, zu der eben auch das Museum für Gegenwart gehört. Sie interessiert sich dabei für Objekte, die in Depots verschwunden sind, und für Zusammenhänge, die nicht auf den ersten Blick offensichtlich sind.

Immer aber erzählt sie in Parergon - das griechische Wort bedeutet Beiwerk - die Geschichte der Gegenstände. In der Historischen Halle stößt man daher auf alte Bahnsteigsitzbänke und Fahrplanständer, auf Vitrinen-Unterteile des Verkehrs- und Baumuseums, die nur deswegen überlebten, weil jemand mit Kreide "bleibt" auf das Holz schrieb. Man stößt auch auf die Feuerbuchse einer Lok nach der Kesselexplosion und einen verbogenen Tenderradsatz, die wie zeitgenössische Skulpturen wirken.

Deball zeigt die Totenmaske von Max Liebermann, die absurderweise vom NS-Künstler Arno Breker stammt - und sie zeigt eine Abbildung von Brekers Der Rächer im Katalog der Großen Deutschen Kunstausstellung 1941. Das Besondere ist die karikaturhafte Übermalung durch Willi Baumeister. Oder: Als Raumteiler fungieren Stoffbahnen, auf die Deball das Muster der Fassade eines Wüstenpalastes malte. Denn die Ausgrabungen sind nicht so einfach zu transportieren. Aber sie stehen in Verbindung zu einem Bild mit dem Titel Persischer Teppichhändler auf der Straße. Die Schau hat etliche Stränge, sie birgt manche Überraschung - und Deball weiß, wie Daniel Spoerri, die Geschichten zu erzählen.

Eine Zeitreise ist auch die vielschichtige Themenschau Schwindel der Wirklichkeit in der Akademie der Künste: Im Mittelpunkt des Spiels mit Sein und Schein, mit realen und fiktiven Räumen stehen die Versuchsanordnungen der Videokunstpioniere, darunter Bruce Nauman und Nan June Paik. Vertreten sind auch Valie Export und Richard Kriesche. Der Grazer Konzeptkünstler durfte sein Täuschungsmanöver Zwillinge (erstmals gezeigt auf der Documenta 1977) reaktivieren. Unterhaltsam wie verblüffend. (Thomas Trenkler aus Berlin, DER STANDARD, 22.9.2014)