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Waleri Geletaj kennt nun den Unterschied zwischen konventionellen und nuklearen Gefechtsköpfen.

Foto: APA/EPA/Kaminski

Der ukrainische Verteidigungsminister Waleri Geletaj hat offenbar völlig den Bezug zur Realität verloren. Jedenfalls bleibt für andere Interpretationen seiner Aussagen wenig Spielraum.

Am vergangenen Wochenende behauptete Geletaj gegenüber Journalisten, dass die ukrainischen Truppen beim Flughafen von Lugansk mit nuklearen Gefechtsköpfen beschossen worden wären. Diese Vorstellung ist dermaßen absurd, dass sich sogar der Sprecher des Kiewer Innenministeriums genötigt sah, dem General öffentlich Nachhilfe in Sachen Kriegsmaterialien zu geben, da dieser den Unterschied zwischen konventionellen und nuklearen Sprengköpfen offenbar nicht kenne. Dieser ließ danach verlauten, dass er nur aufgrund von Berichten an einen Atomangriff geglaubt hätte und dies erst untersucht werden müsse.

Man könnte die Aussagen Geletajs als einen bizarren geschmacklosen Scherz eines "Comical Waleri" abtun, doch schon Anfang September äußerte sich der Minister in eine ähnliche Richtung, als er behauptete, dass Russland mit dem Einsatz von Nuklearwaffen gedroht hätte. Einen Beweis blieb er dabei ebenso schuldig wie jetzt.
Für Irritationen sorgte er zuletzt auch mit der Behauptung, Nato-Mitglieder hätten mit Waffenlieferungen an Kiew begonnen, was umgehend dementiert wurde.

Und schon bei seiner Ernennung Anfang Juli kündigte er vor dem Parlament in Kiew großmäulig eine Siegesparade im "ukrainischen Sewastopol" auf der Krim an.

Wenn es nicht einen blutigen Konflikt betreffen würde, könnte man darüber lachen, doch bei Kiews Verbündeten in Brüssel sollten die Alarmglocken läuten, wenn Personen wie Geletaj im ukrainischen Bürgerkrieg die Entscheidungen treffen.

Die EU ist in den Ukraine-Konflikt tief als Partei involviert. Doch in Kiew fehlen vertrauenswürdige Ansprechpartner: Parteichefin Julia Timoschenko hat sich spätestens zu dem Zeitpunkt als Gesprächspartnerin disqualifiziert, als ein abgehörtes Telefonat veröffentlicht wurde, in dem die Oligarchin gefordert hatte, man solle die acht Millionen ethnischen Russen in der Ukraine "mit Nuklearwaffen erledigen".

Die Präsidentschaftswahl verlor sie schließlich gegen einen anderen Milliardär, doch auch Petro Poroschenko ist nicht in der Lage, den Konflikt einer vernünftigen Lösung zuzuführen. Spätestens seit dem Racheschwur, für jeden getöteten Soldaten müssten hunderte Rebellen sterben, was faktisch einen Aufruf zu Kriegsverbrechen darstellt, sollten die Friedensnobelpreisträger in Brüssel an ihrem Partner zweifeln.
Selbiges gilt für den Regierungschef Arseni Jazenjuk, der einen monumentalen Mauerbau an der ukrainisch-russischen Grenze als Problemlösung im Konflikt mit den Aufständischen in der Ostukraine sieht.

Die geplante 2000 Kilometer lange Sperranlage ist militärisch völlig wertlos. Für die Einwohner der Ostukraine, die wirtschaftlich auf Russland angewiesen sind, hätte sie jedoch katastrophale Folgen. Im Europa des 21. Jahrhunderts sollte für neue Mauern kein Platz mehr sein, auch wenn immer noch welche existieren wie in Nordirland oder Zypern, oder die Zäune um die spanischen Exklaven Ceuta und Melilla, die immer wieder afrikanischen Flüchtlingen den Tod bringen.

Dass der Bürgermeister Kiews, Vitali Klitschko, ausgerechnet in Berlin, wenige Wochen vor den 25-Jahr-Feiern zum Fall der Berliner Mauer, von Deutschland Geld und Know-how (!) für das Grenzprojekt einforderte, zeugt von dramatischem Mangel an politischer Sensibilität. Am selben Abend ließ sich der potenzielle Mauererrichter von Österreichs Außenminister Sebastian Kurz einen Medienpreis überreichen und dabei als "Brückenbauer" würdigen - ein Beleg, dass auch bei europäischen Politikern der Verlust politischen Einschätzungsvermögens bedenkliche Ausmaße annimmt.

Die europäische Politik ist in einem Dilemma gefangen. Mit den politischen Akteuren Kiews ist eine dauerhafte Lösung des Konflikts in der Ostukraine unrealistisch. Weder wurde die Verantwortung für den Scharfschützeneinsatz auf dem Maidan vor dem Umsturz im Februar einer unabhängigen Untersuchung unterzogen, noch wurde der Mord an dutzenden prorussischen Aktivisten in Odessa auch nur ansatzweise aufgeklärt. Auch im Fall des abgestürzten malaysischen Passagierflugzeugs gibt es noch immer mehr offene Fragen als Antworten.

Um einen stabilen Frieden zu ermöglichen, müssen die im Zuge von Umsturz und Bürgerkrieg begangenen Verbrechen aufgearbeitet werden. Ein denkbarer Weg wäre die Einsetzung einer Wahrheitskommission unter der Leitung neutraler Staaten, die man jedoch wohl außerhalb Europas suchen muss.

"Wenn du entdeckst, dass du ein totes Pferd reitest, steig ab", lautet eine oft zitierte den Dakota zugeschriebene Weisheit. Bis sich die Erkenntnis in Brüssel durchsetzt, wird noch Zeit verstreichen müssen. (Michael Vosatka, derStandard.at, 23.9.2014)