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Mit dem aufsehenerregenden Verfahren gegen Ilham Tohti will Peking Kritiker an der Minderheitenpolitik in Xinjiang einschüchtern. Vom Prozess gab es dennoch wenige Bilder.

Foto: REUTERS/CCTV

Als der Richter den Pekinger Universitätsdozenten und Uiguren Ilham Tohti zu lebenslanger Haft wegen Separatismus verurteilte, reagierte der 44-Jährige mit einem Aufschrei: "Ich nehme das Urteil nicht an. Ich protestiere!" Tohti wurde von der Polizei daraufhin abgeführt, teilte sein Anwalt Liu Xiaoyuan am Dienstag nach der Urteilsverkündung in der Provinzhauptstadt Urumqi mit. Die Hauptbegründung des Gerichts: Tohti habe sein Lehramt in der Universität und eine Webseite benutzt, um zur Spaltung der Nationalitäten aufzuhetzen.

Schon in seinem Schlusswort am Ende der beiden Prozesstage hatte Tohti den Vorwürfen des Staatsanwalts widersprochen, er würde Terrorismus unterstützen. Alle wüssten, dass er sein Land liebe. "Ich bin immer dafür eingetreten, dass es im Interesse der Uiguren ist, China anzugehören."

Eilprozesse verlangt

Die Beteuerungen von Tohti und das internationale Entsetzen über den Prozess änderten nichts an dem Abschreckungsurteil. Eine Woche vor dem Prozess hatte der Vizepräsident des Obersten Gerichts in Peking, Shen Deyong, alle mit sogenannten Terrorfällen befasste Richter zu Eilprozessen aufgefordert. Er verlangte, "Verfahren zu beschleunigen und exemplarische Strafen auszusprechen".

Und einen Tag, bevor das Gericht am Dienstag sein Urteil bekanntgab, wurden neue Richtlinien für die beschleunigten Antiterrorismusprozesse auf der Webseite des Ministeriums für öffentliche Sicherheit veröffentlicht. Ein einheitlicher Katalog zur Aburteilung von Verbrechen, die unter Terrorismus fallen – von Finanzierung bis zur Propagierung.

"Krieg gegen Terrorismus"

Die neuen Richtlinien dienen zur Vorbereitung für neue "Antiterrorgesetze", die in Peking vorbereitet werden. Sie gelten als Reaktion auf mehrere blutige Anschläge der vergangenen_Monate. Chinas Regierung hat 2014 zum "Jahr der Bekämpfung des Separatismus" erklärt und den "Krieg gegen den Terrorismus".

Am Intellektuellen Tohti statuierte das Gericht nun im Umgang mit Dissidenten ein Exempel für die neue Schnelljustiz. Der auf Wirtschaft spezialisierte Exprofessor an der Pekinger Minderheitenuniversität hatte sich in Vorlesungen und auf der Webseite uighurbiz.net (auf der am Dienstag nur die Botschaft "We will be back!" zu lesen war) für Aussöhnung zwischen Han-Chinesen und Uiguren ausgesprochen. Er galt als friedfertiger Anwalt.

Doch Tohti war auch scharfer Kritiker der repressiven Minderheitenpolitik gegenüber den rund 22 Millionen Angehörigen der muslimischen Turkvölker in der Region Xinjiang. Der Staatsanwalt stellte Tohtis Aussagen so dar, als seien sie Teil eines subversiven Programms. Er warf ihm auch vor, eine Separatistengruppe geleitet zu haben. Sieben Studenten Tohtis waren festgenommen worden.

Verhaftung Anfang des Jahres

Auf die Verfahrenskritik der beiden Verteidiger von Tohti, Li Fangpin und Liu, ging das Gericht nicht ein. Der Pekinger Stadtbürger Tohti war im Jänner nach einer Razzia von Sicherheitskräften aus Xinjiang in seiner Wohnung in der Hauptstadt festgenommen worden. Sie brachten ihn ins 2400 Kilometer von Peking entfernte Urumqi – ohne Einschaltung von Richtern. Xinjiangs Gericht rechnete mit Tohti ab, obwohl alle Verbrechen, für die er verurteilt wurde, von ihm in Peking in seinen Vorlesungen begangen wurden.

Am Prozess gegen Tohti durften nur seine Ehefrau und drei Brüder teilnehmen. Andere unabhängige Beobachter waren ausgeschlossen, darunter auch Vertreter von neun westlichen Botschaften.

Es ist nicht das erste Mal, dass Tohti wegen seiner Ansichten verfolgt wird. Nach der Gewalt 2009 in Urumqi, als 197 Menschen, vorwiegend Han-Chinesen, starben, warf der Gouverneur von Xinjiang dem Pekinger Dozenten vor, mit seiner Webseite den Aufruhr mitgeschürt zu haben. (Johnny Erling aus Peking, DER STANDARD, 24.9.2014)