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Abkühlung wird in Wien immer wichtiger. 17 Hitzetage jährlich gibt es laut Klimabericht. Bis Ende des Jahrhunderts sollen es mehr als 35 werden. Experten warnen vor Hitzebelastung.

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Ein wahrer städtischer Überlebenskünstler: Ein Götterbaum wächst aus den Ritzen der Friedensbrücke.

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Eine Palme im Unterholz in Tessin. Laut Ökologen ist das auch im Wienerwald in einigen Jahrzehnten möglich.

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Wien - Palmen im Wienerwald. Das ist kein Sommerhit der österreichischen Schlagerindustrie, sondern ein Zukunftsszenario der heimischen Flora. "Es ist abzusehen, dass dieses Phänomen dank der Klimaerwärmung in einigen Jahrzehnten in Wienerwald auftreten wird", sagt Ökologe Franz Essl vom Bundesumweltamt. Im Tessin in der Schweiz sei es jetzt schon so weit. Palmen wachsen dort im Unterwuchs der Wälder. Die ursprünglich im Topf kultivierten Pflanzen konnten dort wegen der höheren Temperaturen verwildern.

Auch in Wien wird die Zukunft heiß. Das besagt nicht zuletzt der neue österreichische Sachstandsbericht zum Klimawandel. Gab es 1910 nur zwei Hitzetage - also Temperaturen über 30 Grad Celsius -, wurden im Jahr 2000 bereits 17 gemessen. Für den Zeitraum 2070 bis 2100 berechneten die Forscher einen Anstieg auf durchschnittlich mehr als 35 Hitzetage pro Jahr. Gleichzeitig wird sich Wien nachts weniger abkühlen: Die Nächte, in denen die Temperatur nicht unter 16 Grad Celsius gesunken ist, stieg zwischen 1961 und 2005 von 30 auf 40.

Urbane Gebiete sind vom Klimawandel besonders stark betroffen. Das liegt in erster Linie an den wenigen Grünflächen und wärmespeichernden Materialien, die den städtischen Effekt der Wärmeinsel hervorrufen. Der Bevölkerungszuwachs - Wien wird bis 2050 auf rund 2,14 Millionen Einwohner anwachsen -, die dadurch benötigte zusätzliche Bebauung sowie die Urbanisierung der benachbarten ländlichen Flächen, würden diesen Effekt, auch Urban-Heat-Island genannt, noch verschärfen, schreiben die Autoren im Klimabericht.

Neues Klima, neues Grün

Temperaturanstieg und biologische Invasionen verstärken sich gegenseitig, sagt Ökologe Essl. So steigert sich zum Beispiel die Entwicklungsgeschwindigkeit von Insekten, die dann innerhalb eines Jahres zwei Populationen ausbilden können. Immergrüne Pflanzen aus wärmeren Gebieten können auch in Mitteleuropa überleben.

Ein Beispiel ist der für Wien typische Götterbaum. "Er ist in dicht verbauten Vierteln der häufigste wild wachsende Baum", sagt Essl. Zunächst war seine Verbreitung auf Wärmeinseln beschränkt. Mit den steigenden Temperaturen verbreitet er sich immer mehr in das Umland.

In der Innenstadt stört er keine ökologisch wertvollen Lebensbereiche, im Nationalpark Donauauen ist er jedoch unerwünscht. Er verdränge dort die einheimischen Pflanzen und biete Kleinlebewesen weniger Entfaltungsmöglichkeiten. Deshalb werden Götterbäume seit einiger Zeit "geringelt", wie Gerald Plattner von den österreichischen Bundesforsten berichtet: "Ein Streifen Rinde wird ringförmig entfernt. Der Baum verhungert dadurch oder treibt weniger aus."

Angesichts der heißen Prognosen sprechen sich Klimaforscher und Umweltbeauftragte dafür aus, Abkühlungsmöglichkeiten bei der Stadtplanung stärker mitzudenken. Man müsse das Bewusstsein dafür schaffen, dass Hitze belastet oder sogar tödlich sein kann, sagt auch Herbert Formayer, Meteorologe an der Universität für Bodenkultur und einer der Herausgeber des Klimaberichtes.

Hitze belastet ältere Menschen

In Wien wird bis 2050 etwa ein Fünftel der Bevölkerung über 65 Jahre alt sein, also zu einer Altersgruppe gehören, für die Hitze besonders belastend ist. Ohne stadtplanerische Anpassungsmaßnahmen könnte die Hitzesterblichkeit in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts um bis zu 200 Prozent gegenüber jener Ende des 20. Jahrhunderts ansteigen.

"Wenn die Nächte immer heißer werden, wird das geöffnete Fenster zur Abkühlung nicht mehr ausreichen", sagt Formayer. Vor allem in den Gründerzeitbezirken, wo bauliche Maßnahmen schwieriger vorzunehmen sind, müsse die Stadt umdenken: Fassaden und Dächer begrünen, Innenhöfe und Trinkwasserstellen zugänglich machen, schattige Sitzgelegenheiten schaffen oder Baulücken zuwachsen lassen, sind für den Forscher vorstellbare Maßnahmen.

Dabei müsse Wien ganzheitlich denken. Wird der Stadtrand verdichtet, wirke sich das auch auf die Innenbezirke aus - denn kalte Luft muss in das Stadtinnere einfließen können. Entwicklungskonzepte müssten deshalb auch stärker zwischen Wien und Niederösterreich abgestimmt werden.

Umdenkprozess

Insgesamt sieht der Meteorologe einen Umdenkprozess. Bisher sei Wien auf den Winter ausgerichtet gewesen: Ein nach Süden ausgerichteter Balkon zum Beispiel steigerte den Wert einer Immobilie. Nun würden sich die Leute fragen, ob sie Südfenster angesichts der Hitzeextreme überhaupt wollten, sagt Formayer.

Dieses Umdenken beobachtet auch Christian Härtel, Leiter der Umweltschutzabteilung MA 22. Haltestellenhäuschen baute man früher als Schutz vor Regen und Wind, heutzutage wird der Schutz vor Sonneneinstrahlung ein immer wichtigerer Aspekt. Mit 70 Maßnahmen, die 2015 in einem Leitfaden veröffentlicht werden, will die MA 22 der Stadtverwaltung "Denkanstöße zur Reduktion von Hitze" geben. (Christa Minkin, Julia Schilly, DER STANDARD, 2.10.2014)