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Fromm in der Schule: Offiziell ist die Türkei noch eine säkulare Republik. Nun lässt eine Gesetzesänderung das Kopftuch nicht nur an Unis und Gymnasien, sondern auch in der Mittelstufe zu.

Foto: Reuters/ Murad Sezer

Ankara/Sofia - Für zehntausende junge Türken hat das Schuljahr mit einigen Überraschungen begonnen. Sie finden sich mit einem Mal in islamischen Privatschulen wieder oder 100 Kilometer vom Elternhaus entfernt in Gymnasien, die ihnen die Regierung zugewiesen hat. Zu Wochenbeginn setzte Bildungsminister Nabi Avci noch eins drauf: Von nun an können auch zehnjährige Mädchen mit Kopftuch ins Klassenzimmer. Oder sie müssen, wie die Gegner der Islamisierung in der Türkei sagen.

Die konservativ-religiöse Regierung von Premier Ahmet Davutoglu ließ einen Satz im Gesetz streichen, der festlegte, dass im Unterricht an öffentlichen Schulen der Türkei keine Kopfbedeckung getragen werden soll. Die neue Regelung betrifft die Mittelstufe, die von der fünften bis zur achten Klasse reicht. In manchen Gymnasien der Oberstufe konnten Schülerinnen bereits verschleiert zum Unterricht kommen.

"Schleier" oder "Turban"

Vor einigen Jahren noch hatte das Kopftuch die Türkei gespalten und Hunderttausende auf die Straßen gebracht. Für den "Schleier" oder gegen den "Turban", wie ihn die Gegner der muslimischen Kopfbedeckung abwertend nennen. 2008 war die konservativ-religiöse Regierung mit einem Vorstoß zum Ende des Kopftuchverbots am Höchstgericht gescheitert. Doch nach und nach ist das Verbot gefallen - zuerst an den Universitäten, dann auch im öffentlichen Dienst in der Türkei.

"Bisschen Schwierigkeiten"

Als der nach außen stets gutmütig auftretende Nabi Avci am Montag nun die neue Regelung für Schülerinnen verkündete, war der öffentliche Aufschrei begrenzt. Denn Avcis Ministerium hatte mit seinem neuen Zuteilungsverfahren wohl schon genug Verwirrung bei Schülern und Eltern gestiftet. "Wir haben ihnen ein bisschen Schwierigkeiten bereitet", gab der Minister zu, aber bis Ende des Monats komme alles in Ordnung.

Nach mehreren umstrittenen Reformen des allgemein als recht mittelmäßig geltenden Schulwesens in der Türkei führte die Regierung dieses Jahr eine besondere Prüfung für alle Abgänger der Grundschule ein. Die Prüflinge konnten dabei auch Präferenzen nennen, welche Mittelschule sie besuchen möchten. Je nach Ergebnis wurden sie dann vom Bildungsministerium auf Schulen verteilt. Doch auch hier zeigte sich der Trend zur Islamisierung.

Selbst Schüler aus säkularen Familien, Aleviten, armenische Kinder oder der Enkel des Oberrabbi der Türkei, Ishak Haleva, wurden in die privaten Imam-Hatip-Schulen platziert - konservativ-islamische Schulen der sunnitischen Glaubensmehrheit der Türkei, die auch der heutige Staatspräsident Tayyip Erdogan besucht hat.

Ministerium entscheidet

Auch die Mehrheit der 134.000 Schüler, die bei der Eingangsprüfung zur Mittelstufe keine Präferenz nannten, soll in den Glaubensschulen gelandet sein. Für sie traf das Bildungsministerium die rechte Wahl. Die Zahl der Imam-Hatip-Schulen ist in der Türkei dabei gewachsen: von 71.000 im Jahr 2001, kurz vor Regierungsantritt der Konservativ-Religiösen, auf rund 670.000 in diesem Jahr. Aber auch öffentliche Schulen werden zunehmend in Imam-Hatip-Schulen umgewandelt. 1477 solcher Änderungen wurden gezählt. Einige konnten Eltern und Schüler mit Protesten stoppen. (Markus Bernath, DER STANDARD, 25.9.2014)