Cern, das Europäische Kernforschungszentrum, feiert am 29.9. seinen 60.Geburtstag. Das ist der Tag, an dem der Gründungsvertrag ratifiziert wurde. Wissenschafter und Studenten aus zahlreichen Ländern beschäftigen sich seither mit dem Aufbau der Materie, mit Wechselwirkungen von Teilchen und überschreiten immer wieder die Grenzen der Technik.

Der aus der Schweiz stammende Physiker Felix Bloch hatte gut Lachen: Er durfte als erster Generaldirektor des Cern am 10. Juni 1955 den Grundstein des Europäischen Kernforschungszentrums legen. Mit diesem Zentrum wollten die Gründungsmitglieder Schweiz, Frankreich, Belgien, Deutschland (damals natürlich ohne DDR), Jugoslawien (nur bis 1961 dabei), Niederlande, Schweden, Norwegen, Dänemark, Griechenland, Großbritannien und Italien große Physik machen und den Anschluss an die Wissenschaftsnation Nummer 1, USA, wieder gewinnen. Österreich trat übrigens 1959 bei.

Foto: Cern

Um die Zusammensetzung der Materie experimentell zu erforschen, versuchte man von Anbeginn mit Teilchenbeschleunigern zu neuen Erkenntnissen zu gelangen. Der erste Beschleuniger, der Synchro-Zyklotron, schoss Protonen mit damals unvorstellbaren 600 MeV, durch die Bahn. Hier wird gerade ein Bestandteil des Beschleunigers durch das Dorf Meyrin bei Genf transportiert. Ein Anblick, an den sich die Dorfbewohner schnell gewöhnten.

Foto: Cern

Nein, hier handelt es sich nicht um ein Schwarzweiß-Bild aus einem alten James-Bond-Film. Zu sehen sind Ingenieure, die an einer Cern-Blasenkammer arbeiten, die den märchenhaften Namen Gargamelle trug - so hieß eine Riesin in einem Buch von François Rabelais, einem Dichter der Renaissance. In der Blasenkammer konnte man geladene Teilchen sichtbar machen. Das Experiment war von 1970 bis 1979 in Betrieb.

Foto: Cern

Und die Teilchenjagd ging mit immer neuen technischen Entwicklungen weiter: Der Intersection Storage Ring (ISR), das waren zwei Protonen Speicherringe mit 300 Meter Durchmesser am Cern. Der ISR war der erste Protonen-Protonen-Collider weltweit. Er wurde 1971 feierlich in Betrieb genommen. Kjell Johnsen, Physiker und Beschleunigerexperte, übergibt hier einen symbolischen Schlüssel an Edoardo Amaldi, einen der Cern-Gründer. Am Podium sitzen unter anderem von links nach rechts: Victor Weisskopf, ehemaliger Cern-Generaldirektor aus Österreich und am Manhattan Project beteiligt (ganz links), Willibald Jentschke, ebenfalls aus Österreich stammender Physiker und unter Hitler am Uranprojekt beteiligt, der 1971 Generaldirektor am Cern war (gleich neben dem Pult) und auf der anderen Seite Physik-Nobelpreisträger Werner Heisenberg.

Foto: Cern

Bild nicht mehr verfügbar.

Super Proton Synchroton (SPS) ist der dritte Teilchenbeschleuniger in Cern und wurde im Jahre 1976 in Betrieb genommen. Für diesen Teilchenbeschleuniger wurde das erste Mal die Grenze zu Frankreich überschritten und ein Tunnel von sieben Kilometer Länge und 40 Meter Tiefe gebaut. Partikel erreichen in ihm Energien von 450 GeV (Gigaelektronenvolt); er ist bis heute als Vorbeschleuniger in Betrieb.

Foto: HO/Reuters

Bild nicht mehr verfügbar.

Der Mann mit der schicken Krawatte ist niemand geringerer als Carlo Rubbia aus Italien, mittlerweile 80 Jahre jung und wohl einer der wichtigsten lebenden europäischen Physiker. Ehe er von 1989 bis 1993 selbst Generaldirektor am Cern war, konnte er Anfang der 1980-er Jahre gemeinsam mit Simon van der Meer die für die schwache Wechselwirkung verantwortlichen W- und Z-Bosonen am Cern entdecken. 1984 erhielten die beiden Herren dafür den Physik-Nobelpreis.

Foto: Pierre Virot/Reuters

Und nun zu einem "Nebenprodukt" der Forschungen am Cern: Tim Berners-Lee, ein Physiker und Informatiker aus London, fand 1989 die Lösung eines Kommunikationsproblems am Kernforschungszentrum: ein Teil der Laboratorien befand sich ja in der Schweiz, ein anderer Teil in Frankreich. Die Wissenschafter benutzen unterschiedliche Netzwerke. Das war unpraktisch. Auf Basis des Hypertexts entwickelte Berners-Lee das World Wide Web. Im Bild sieht man ihn am Arbeitsplatz Anfang der 1990-er Jahre. Was aus dem "Nebenprodukt" geworden ist, müssen wir hier vermutlich nicht näher erläutern.

Foto: Cern

1989 begann eine neue Dimension der Teilchenjagd am Cern: Der Large Electron Positron Collidor (LEP) mit 27 Kilometern Länge wurde in Betrieb genommen. Er lag zwischen 50 und 175 Metern unter der Erde und war bis zum Jahr 2000 in Betrieb. Im LEP wurde die genaue Masse der W- und Z-Bosonen ermittelt. Das Bild ist eine Luftaufnahme und zeigt den Verlauf des LEP und - punktiert - die Grenze zwischen der Schweiz und Frankreich.

Foto: Cern

Bild nicht mehr verfügbar.

Um an die Grenzen der Physik zu gehen, war aber längst ein weiterer technischer Schritt in Planung. Der Large Electron Positron Collidor (LEP) wurde abgebaut, der riesige Tunnel umgebaut und so konnte der Large Hadron Collider (LHC) entstehen. Mit ihm und großen Experimenten wie CMS wollte man möglichst nahe an den Zustand kommen, der kurz nach dem Urknall bestand, und das damals nur in der Theorie existierende Higgs-Boson nachweisen. Der Start war etwas holprig. 2008 ging der Beschleuniger in Betrieb, aber nur nach wenigen Tagen zwang ein Defekt die Cern-Experten zum Abschalten. Die Maschine stand ein Jahr still. Die Suche nach einer Physik jenseits des Standardmodells musste warten.

Foto: Adam Warzawa/APA

Der Mann links im Bild schaut nicht wirklich wie ein Gewinner aus. Dabei hatte der damalige Wissenschaftsminister Johannes Hahn (VP) nicht mal 14 Tage, bevor dieses Bild im Mai 2009 entstand, vollmundig den Austritt Österreichs aus Cern bekannt gegeben. Teilchenphysik - wozu brauchen wir das? Was er hätte ahnen können: Der geplante Austritt führte zu heftigen Protesten der Wissenschaftscommunity. Hahn wurde von Bundeskanzler Werner Faymann (SP) zurück gepfiffen. Österreich blieb Mitglied. Die Teilchenphysik aus Österreich, am LHC an einigen Experimenten beteiligt, hat seither an Ansehen dazu gewonnen.

Foto: Matthias Cremer

Im März 2010 fanden erstmals Kollisionen mit sieben Teraelektronenvolt (TeV) im LHC statt. Die Physiker sagten bei jeder Gelegenheit: Je höher die Energie, desto größer die Chance, eine neue Physik zu ergründen, neue Bestandteile der Natur zu finden, an die man zu Beginn der Cern-Geschichte noch nicht zu denken wagte. 2012 gelang als erster großer Schritt der Nachweis des schnell zerfallenden Higgs-Teilchens. Im Bild ist eine Darstellung des Higgs-Feldes zu sehen, das, so die Theorie aus den 1960er-Jahren, allgegenwärtig ist und durch Wechselwirkung mit Elementarteilchen diesen die Masse gibt.

Foto: Cern

Bild nicht mehr verfügbar.

Ausgelassene Party mit drei weißhaarigen Herren: Die Theoretiker Peter Higgs und François Englert (von links nach rechts), freuen sich mit Rolf-Dieter Heuer, derzeitiger Generaldirektor von Cern. Grund: Sie haben für ihre Theorie 2013 den Physik-Nobelpreis erhalten. Ein Jahr, nachdem man am Cern das Higgs-Boson experimentell nachweisen konnte, brauchte man wahrlich keine hellseherischen Fähigkeiten, um diese Würdigung vorherzusagen. Derzeit steht der Large Hadron Collider (LHC) still. Ab 2015 soll er mit fast doppelt so hoher Energie wie bisher laufen. Da wird es wohl weitere Entdeckungen und Nobelpreise geben. (Peter Illetschko/Katharina Roll, derStandard.at, 29.9.2014)

Foto: Abraham Caro Marin/AP