Wien/Giurgiu - Ioan Niculae ist eine Persönlichkeit, die man "schillernd" nennen könnte. Aber wohl nicht sollte. Der 60-Jährige ist Unternehmer, reichster Mann Rumäniens (laut dem Magazin "Forbes" verfügt er über ein Vermögen von 1,2 Milliarden Dollar) und der Besitzer des FC Astra Giurgiu, des nächsten Gegners von Red Bull Salzburg in der Europa League.
Doch Niculae taucht auch auf einer Liste der mächtigsten Oligarchen Rumäniens auf, die die US-Botschaft im Jahr 2007 zusammenstellen ließ, im Geheimen natürlich. Ziel der Amerikaner war es damals, herauszufinden, "wer in Wahrheit Rumänien besitzt". Es ging um die Offenlegung der Verquickung von wirtschaftliche und politischer Macht im Land.
Übler Verdacht
Niculae firmierte in diesem Zusammenhang als Sponsor der rumänischen Sozialdemokraten (PSD), de facto die Nachfolge-Organisation der 1989 aufgelösten Kommunistischen Partei. Auch Kontakte zu deren berüchtigter Geheimpolizei Securitate wurden ihm nachgesagt. Die Anschuldigung, sein Tabak-Konzern Galaxy habe über 120 Millionen Euro an Steuern hinterzogen, bekämpfte Niculae vor Gericht erfolgreich.
Im Oktober 2013 musste Wirtschaftsminister Varujan Vosganian zurücktreten, nachdem ihm in einem Korruptionsverfahren vorgeworfen wurde, Niculaes Landwirtschaftskonzern InterAgro zum Schaden der staatlichen Gasgesellschaft Romgaz den Kauf von Energie zu Dumpingpreisen ermöglicht zu haben. InterAgro ist Rumäniens Branchenführer und verfügt als größter Getreideproduzent des Landes über etwa 50.000 Hektar Ackerland.
1997 übernahm Niculae die Kontrolle der Raffinerie Astra Ploiești und beherrschte damit auch den ihr angeschlossenen Werksklub gleichen Namens. Dieser wiederum hat seine Wurzeln im 1921 gegründeten Sportklub Astra-Română. Und schon damals stand - entsprechend der herausgehobenen Stellung des damaligen Boom-Landes Rumänien im Petroleum-Business - eine Ölgesellschaft hinter dem Sportverein. Sie war Teil des Imperiums von Henri Wilhelm August Deterding, dem langjährigen Vorsitzenden von Royal Dutch Shell, einem Bewunderer und Finanzier Adolf Hitlers. Das Unternehmen unterhielt Teams an verschiedenen Standorten um Ploiești und organisierte in den 1930er Jahren gar einen firmen-internen Bewerb, den "Astra Societies Cup".
Die Verpflanzung
Erst mit Hilfe von Kapital aus dem Hause Niculae ging es mit dem sportlich bis dahin ein sehr obskures Dasein fristenden Astra Ploiești ein bisschen himmelwärts. 1998 schaffte der Verein erstmals den Aufstieg in die höchste rumänische Spielklasse. Er hielt sich dort einige Jahre, fusionierte, stieg ab und wieder auf, diverse Namensänderungen inklusive. 2012, nach 91 Jahren im über 200.000 Einwohner zählenden Ploiești, übersiedelte Niculae Astra schließlich ins deutlich beschaulichere, vier Mal kleinere Giurgiu.
Der Donau-Hafen, wahrscheinlich eine genuesische Gründung aus dem 14. Jahrhundert (San Giorgio), gelangte durch die "Freundschaftsbrücke" zu einer gewissen Bekanntheit. Sie führt von Giurgiu ins gegenüber gelegene Ruse nach Bulgarien und war bis 2013 die einzige transdanubische Verbindung zwischen den beiden Ländern - und das bei einem Grenzverlauf von beinahe 500 Kilometern Länge. Von sowjetischen Ingenieuren geplant und 1954 eröffnet, überspannt das Bauwerk eine Distanz von 2.800 Metern. Seines pathetischen Namens ging es nach dem Ende der sozialistischen Regime beiderseits des Stromes allerdings zugunsten der etwas trockenen Bezeichnung "Donau-Brücke" verlustig.
Der Aufstieg
Die Geschicke Astras jedenfalls erfuhren an neuem Ort eine erstaunliche Dynamik. Das Jahr 2013 markierte den Eintritt der Schwarz-Weißen in die Geschichte des Europacups, in der ersten Qualifikationsrunde zur Europa League matchte man sich mit dem NK Domžale aus Slowenien - und das mit Erfolg. Erst im Playoff war gegen Maccabi Haifa Schluss.
In heimischen Gefilden griff Astra tatsächlich nach den Sternen, nur fünf Punkte fehlten am Ende der Saison 2013/14 auf den Meistertitel. An Champion Steaua Bukarest revanchierte man sich dafür gleich zwiefach - mit Siegen im Cupfinale und wenig später auch im Duell um den Supercup. Ein Jahr, zwei Titel - die ersten in Astras Klubgeschichte.
Aktuell finanziert Niculae seinem Klub einen Kader mit einem Marktwert von 34,45 Millionen Euro, das ist der zweithöchste Wert in Rumäniens Liga 1. Nur Rekordmeister Steaua liegt davor (42,9 Millionen). Mit 13 von 27 Spielern stellen Legionäre knapp die Hälfte der aus aller Herren Länder zusammengesetzten Gruppe. Hervorzuheben sind aber am ehesten zwei Rumänen: die Verteidiger Alexandru Matel (13) und Valerica Gaman (12) haben beide immerhin eine zweistellige Zahl von Nationalteam-Berufungen vorzuweisen. Dieses Team mischt auch in der laufenden Saison in der Spitzengruppe mit, nach acht Runden liegt Giurgiu auf Platz drei, knapp hinter Bukarest und CRF Cluj. Zuletzt erreichte Astra beim Titelverteidiger ein 0:0.
Kommen und schnelles Gehen
Trainiert wird die Mannschaft vom Rumänen Daniel Isăilă. Der 42-Jährige, ein ehemaliger Verteidiger, amtiert seit eineinhalb Jahren. Nach seiner Entlassung im vergangenen März trat Isăilă nur zwei Monate später seine eigene Nachfolge an. Kurios? Bei Astra eher die Norm. Denn Betreuer werden in der Ära Nicolae gewechselt wie die Unterhosen. Allein 13 Stück wurden an Dunăreas schlickigen Gestaden seit 2010 verbraucht. Den Kurzzeitrekord hält ein Herr Marin Barbu, der sich im April des letzten Jahres gerade einmal sieben Tage im Amt halten konnte.
Ein weiterer unglücklicher Übungsleiter beschwor sein Ende herauf, als er es sich herausnahm, Zampanos in der Halbzeitpause eines Spiels gegebene Austausch-Anweisungen zu ignorieren. Die typische Macher-Megalomanie eben.
Doch nicht nur in personellen Fragen agiert der Chef impulsiv. Derzeit ist Niculae, der sich im Vorjahr nach 31 Jahren von seiner Ehefrau scheiden ließ, für sechs Monate von allen den Fußball betreffenden Aktivitäten ausgeschlossen. Grund für die Sperre ist die verbale Insultierung des Unparteiischen nach einem 1:4 seiner Mannschaft in Cluj. Zwei Astra-Spieler waren des Platzes verwiesen worden - zu viel für Niculae. Die verordnete Untätigkeit wird ihn zweifellos mehr schmerzen als die Geldstrafe von 2.300 Euro.
Kleine Bühne
Das Erreichen der EL-Gruppenphase bedeutet für Astra zweifellos den bisher größten Erfolg auf internationaler Bühne. Im Playoff gelang mit der Eliminierung von Olympique Lyon ein prestigeträchtiger Coup. Der Auftakt in Gruppe D verlief mit dem 1:5-Debakel bei Dinamo Zagreb jedoch ernüchternd.
Am Donnerstag (21.05 Uhr MESZ) nun gastiert Red Bull Salzburg im Stadionul Marin Anastasovici, dem auf einer Schmalseite die Tribüne fehlt. Es fasst 8.500 Zuschauer, die UEFA erlaubt allerdings nur 5.600. Das dürfte locker reichen. Durchschnittlich 2.106 Personen nahmen in der vergangenen Saison die Heimspiele Giurgius in Augenschein, die Atmosphäre dürfte also wenig geladen ausfallen.
Sich vorbereiten und logieren wird der Tross des österreichischen Meisters aufgrund der "nicht optimalen" Infrastruktur Giurgius ohnehin in Bukarest. (Michael Robausch, derStandard.at, 2.10.2014)