STANDARD: Wenn Sie Österreich und Irland vergleichen: Was ist der Unterschied?
Sheridan: Irland hat ein Gesetz, das das Recht auf öffentliche Information regelt. Und das seit dem Jahr 1997. In Österreich existiert nicht einmal eines. Ganz im Gegenteil: Hier ist das Amtsgeheimnis sogar in der Verfassung verankert.
STANDARD: Ist die irische Politik dadurch anständiger geworden?
Sheridan: Ja, ein bisschen. Irland ist ein kleines Land, also recht gut vergleichbar mit Österreich. In den ersten Jahren wurde vom Recht auf Information intensiv Gebrauch gemacht. Von Bürgern und Journalisten, um Informationen über die öffentliche Sphäre zu erhalten. Um herauszufinden, wohin das Geld fließt. Nach fünf Jahren ging es allerdings in die andere Richtung, weil Politiker versuchten, die Möglichkeiten für Journalisten zu beschränken. 2003 wurde das Gesetz schließlich reformiert. Seitdem ist es schwieriger, an Informationen zu gelangen.
STANDARD: Warum?
Sheridan: In erster Linie, weil seitdem Gebühren für Anfragen anfallen. Seit der Einführung sanken die Abfragen von Journalisten um die Hälfte – zum Leidwesen des investigativen Journalismus. Seitdem versuchen wir, diese Gebühren zu Fall zu bringen. Wenigstens die 15 Euro, die rein für das Senden einer Anfrage anfallen, sind weg. Der Rest, nämlich 21 Euro pro Stunde für die Bearbeitung, bleibt noch. Außerdem können Anfragen nicht per Mail, sondern müssen per Post gestellt werden, auch das ist nicht befriedigend.
STANDARD: Wie viel fallen im Schnitt für Auskünfte an?
Sheridan: Das ist unterschiedlich. Im Laufe der letzten Jahre waren es bei mir ein paar Hundert Auskunftsbegehren, gezahlt habe ich dafür rund 5.000 Euro. Manchmal beläuft es sich auf 150 Euro, es können aber theoretisch auch ein paar Tausender sein, wenn es sich um eine komplexe Auskunft handelt. Dann heißt es verhandeln. Die Einnahmen der Regierung halten sich jedenfalls mit rund 100.000 Euro pro Jahr in Grenzen. Die Administration der Gebühren kostet wohl mehr, als sie einbringen.
STANDARD: Eine Ihrer Anfragen hat 2009 den ehemaligen irischen Tourismusminister John O´Donoghue zu Fall gebracht.
Sheridan: Damals habe ich die Dokumente über die Ausgaben und Spesen veröffentlicht, die im Laufe der Jahre bei seinen Reisen anfielen. Verschiedene Journalisten wühlten sich durch und griffen das Thema auf. O´Donoghue, der in der Zwischenzeit Präsident des Parlamentes war, musste daraufhin zurücktreten.
STANDARD: Ein klassisches Beispiel, wie viel Transparenz bringt?
Sheridan: Staaten heben Steuern ein und geben das Geld aus. Wohin es fließt, ist natürlich von Interesse und wichtig in der Demokratie. Es muss transparent sein, welcher Politiker, warum welche Entscheidung trifft. Wir alle zahlen Steuern, also haben wir auch das Recht zu wissen, was mit dem Geld geschieht.
STANDARD: Das Recht auf Information ist mittlerweile in rund 100 Ländern gesetzlich verankert. Wird die Situation besser?
Sheridan: Viele Länder springen auf den Zug auf. Zum Beispiel Ägypten oder auch Serbien und Slowenien, die gute Gesetze haben. Es gibt eine Korrelation. Kein Gesetz heißt: Mehr Korruption. Österreich ist weit hinter der internationalen Bewegung, die nicht nur europäische Länder erfasst, zurück. Aber: Es geht nicht nur rein um ein Gesetz, sondern auch um die Implementierung einer Kultur der Offenheit. Das ist oft ein jahrelanger Prozess, der bei Entscheidungsträgern der Politik beginnt. Jedes Land sollte ein Transparenzgesetz haben. Nicht nur um Geldflüsse transparent zu machen, sondern auch um Entscheidungsgrundlagen und Verhandlungen offenzulegen.
STANDARD: Und auf der Ebene der Europäischen Union?
Sheridan: Es gibt ein Gesetz aus dem Jahr 2003. Die Umweltinformationsrichtlinie regelt, dass Bürger ein Recht auf Informationen zu den Themen Gesundheit und Sicherheit haben. "Umweltinformation" ist hier recht breit definiert, andere Bereiche sind aber nicht erfasst. Der Druck auf Staaten muss von Journalisten und der Zivilgesellschaft kommen. Politiker haben keinen Anreiz, transparent zu sein. Ganz im Gegenteil.
STANDARD: Wo ist die Grenze zwischen öffentlichem Interesse und Persönlichkeitsschutz?
Sheridan: Das ist eine Frage der Balance. In Großbritannien und Irland ist das Verhältnis ausgewogen. Alles, was mit öffentlichen Geldern finanziert wird, ist von Interesse. In Irland gibt es eine neutrale Institution, die unabhängig von der Regierung agiert und zwischen dem Recht auf Privatheit und öffentlichem Interesse entscheidet. Ein Rahmen zum Austarieren ist notwendig. Dass Regierungen das Informationsmonopol haben, ist einer Demokratie nicht würdig.
STANDARD: Gibt es kulturelle Unterschiede?
Sheridan: Viele Länder mit weitreichenden Transparenzgesetzen sind englischsprachig und waren Kolonien des Vereinigten Königreichs. Neuseeland, Australien, Irland, in Großbritannien selbst trat es im Jahr 2005 in Kraft, in den USA 1996, in Kanada nicht viel später. Länder wie Österreich und Deutschland scheinen eine andere Einstellung zu Transparenz zu haben.
STANDARD: Neben Österreich sehen Sie auch Deutschland als negatives Beispiel?
Sheridan: Ich wollte in Deutschland herausfinden, wen Angela Merkel bei ihrer Irland-Reise getroffen hat. Sie ist eine wichtige Person mit Einfluss, deswegen ist es von Interesse, wer zum Beispiel Lobbying betreibt. Die Antwort der Administration war, dass diese Informationen geheim sind. Das sollte nicht der Fall sein, das ist zutiefst undemokratisch.
STANDARD: Bekamen Sie diese Auskunft in Irland?
Sheridan: In Irland bekam ich dazu 116 Seiten zu allen Treffen des Premierministers. Treffen Politiker Entscheidungsträger aus anderen Ländern, ist das nicht privat, weil sie ja im Dienste des Staates agieren. In Irland werden die Termine des Premierministers jede Woche auf seiner Website veröffentlicht. Jeder kann das sehen. Wir sind nicht die einzigen. Die baltischen Staaten wie Estland, Lettland und Litauen machen das seit Jahren; und zwar vom gesamten Kabinett. Für deutschsprachige Länder klingt das ungewöhnlich, aber Journalisten und die Zivilgesellschaft können so ihre Aufgaben als Watchdog des öffentlichen Lebens einfacher wahrnehmen.
STANDARD: Erfüllen Journalisten ihre Aufgabe als Watchdog noch?
Sheridan: An fehlenden Ressourcen liegt es nicht, denn es hat noch nie eine bessere Zeit für Journalismus gegeben. Die Zukunft liegt nicht darin, den alten Zeiten nachzutrauern, sondern Technologien anzunehmen, die ein besseres Arbeiten erlauben. Sonst gibt es kein Überleben in dem Metier. Der Rückgang von Print ist für mich nicht relevant, sondern ob Journalisten die Fähigkeiten haben, mit den neuen Techniken zu arbeiten und ob sie ein Umfeld dafür bekommen. Wo Nachrichten veröffentlicht werden, spielt dabei keine Rolle, Geld muss damit verdient werden.
STANDARD: Liegt da nicht das Problem?
Sheridan: Journalisten haben leider nie gelernt, geschäftstüchtig zu sein. Die meisten arbeiten seit Jahren in Organisationen, die Geld haben. Entrepreneurship und Innovationsgeist sind Eigenschaften, die weit weg sind. Das Internet für den Niedergang verantwortlich zu machen, sollte nicht mehr das Thema sein. Die Medienindustrie ändert sich, Journalisten sind zu langsam für diese Entwicklung. Ich persönlich bin sehr optimistisch, dass es weiterhin guten oder noch besseren Journalismus geben wird.
STANDARD: Warum genau?
Sheridan: Ich war Teil der Social News Agentur "Storyful", die 2010 gegründet wurde. Nach vier Jahren kaufte News Corp das Unternehmen um 18 Millionen Euro. Das war ein erfolgreiches Business-Modell. Und das alles nur Online und Social Media basiert. Warum sollten nicht andere Journalisten Medien gründen, die Geld machen? Das Internet bietet enorme Möglichkeiten, mit relativ geringen Ressourcen etwas zu probieren. Für innovative Köpfe liegen Milliarden Euro auf der Straße. (Oliver Mark, DER STANDARD, 1.10.2014; Langfassung)