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"Michelangelo hatte ja noch keinen Computer!" Die Architekten der Markthalle finden sie fast gelungener als die Sixtinische Kapelle.

Foto: APA/EPA/JERRY LAMPEN

Das Ehepaar aus Kalifornien kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus. "Wir haben ja schon viel gesehen, aber so etwas noch nie!" Mit Kamera bewaffnet, steht das Paar vor der neuen Rotterdamer Markthalle, laut CNN eines von weltweit zehn Bauwerken, die man 2014 unbedingt gesehen haben sollte. So groß wie ein Flugzeughangar macht sie sich in der Rotterdamer Innenstadt breit, mit Läden, Wohnungen und Büros in den gebogenen Außenwänden. Königin Maxima bezeichnete sie am Dienstag bei der Eröffnung als modernste Europas.

Besucher reiben sich bei ihrem Anblick verwundert die Augen, auch viele Rotterdamer können es kaum glauben. "Da würde ich gerne wohnen, am liebsten in einer der Wohnungen ganz oben, genau über den Marktständen!" , staunt die 27-jährige Loes Faber, die in Rotterdam geboren und aufgewachsen ist. Schwindelfrei allerdings sollte man dann schon sein, denn diese Wohnungen haben Patios mit durchsichtigem Boden, sodass die Bewohner das Treiben auf dem Markt 45 Meter unter ihnen mitverfolgen können.

"Essen monumental präsentieren"

Der spektakuläre Entwurf stammt vom Rotterdamer Architekturbüro MVDRV, das seinerzeit mit seinem Pavillon aus übereinandergestapelten Landschaften bei der Expo in Hannover Aufsehen erregte. "Wir sollten Wohnen und Essen kombinieren und wollten das Essen monumental präsentieren", erklärt Winy Maas, einer der drei Architekten.

Die gebogene Decke in 45 Meter Höhe über den Marktständen wurde als knallbuntes Früchte- und Gemüsestillleben gestaltet. Es entstand am Computer und besteht aus 400 Milliarden Pixeln. Eine Anspielung auf die Sixtinische Kapelle, so Künstlerin Iris Coenen, die dieses gigantische Deckengemälde mit ihrem Mann Arno entworfen hat: "Eigentlich ist es noch beeindruckender als das der Sixtinischen Kapelle", lacht sie. "Aber gut - Michelangelo hatte ja auch noch keinen Computer!"

Spielwiese für Architekten

Mit seiner neuen Markthalle macht Rotterdam seinem Namen als Mekka für Architekturfans einmal mehr alle Ehre. Seit deutsche Bomben im Zweiten Weltkrieg die historische Altstadt ausradierten, gilt die Hafenstadt an der Maas als Spielwiese für Architekten. Hier gibt es keine romantischen Grachten und Kopfsteinpflaster. Stattdessen eine Kunsthalle von Rem Koolhaas, die Erasmusbrücke von Ben van Berkel, die auf die Spitze gestellten Würfelhäuser von Piet Blom oder Renzo Pianos schrägen Telecom-Turm. Dennoch gelang es der Stadt nicht, ihr Negativ-Image abzuschütteln: Rotterdam galt weiterhin als "Stadt ohne Herz". Hier wird das Geld verdient - und in Amsterdam ausgegeben.

Aber das dürfte die längste Zeit so gewesen sein: Neben CNN haben auch die New York Times und der Rough Guide Rotterdam als "Place to be" bezeichnet.

Für einen angemessenen Empfang sorgt der Hauptbahnhof mit seinem spektakulär geschwungenen Dach, ein Entwurf des Amsterdamer Architekturbüros Benthem Crouwel.

"Amsterdam das Wasser reichen"

Ebenfalls ganz neu ist die "Vertikale Stadt" aus dem Büro von Rem Koolhaas: ein Ensemble aus drei Wolkenkratzern mit Wohnungen, Büros, Geschäften, Restaurants, Fitnessstudio und Hotel. 165 Meter hoch und damit die höchsten Gebäude des Landes. In einem der Räume ganz oben steht Architektin Ellen van Loon, ebenfalls überzeugte Rotterdamerin: "Nirgendwo kann man besser sehen, wie diese Stadt wiederaufgebaut wurde!", sagt sie und genießt die überwältigende Aussicht über Stadt, Fluss und Hafen. "Bald können wir Amsterdam das Wasser reichen." (Kerstin Schweighöfer aus Rotterdam, DER STANDARD, 1.10.2014)