Wir führen kleinliche, zynische Diskussionen über Rauchverbote, statt entschlossene Maßnahmen zu setzen.

Foto: derStandard.at

Ich kann mich gar nicht mehr erinnern, wann ich das letzte Mal auf einer Pressekonferenz war. Viele Jahre ist das her. Aber jetzt musste es wieder einmal sein. Es war das Thema, das mich anzog. Es ging um das Rauchen. Besser gesagt: um das Nichtrauchen. Noch besser gesagt: Was ist los in diesem Land? Warum sind die Diskussionen um die Zigaretten mehr als anderswo so ein Theater?

Ich wollte auch Kurt Kuch zuhören. Jenem Journalisten, der dreißig Jahre lang 60 Zigaretten täglich geraucht und in den vergangenen Monaten seinen Kampf gegen den Krebs via Facebook und Twitter öffentlich ausgetragen hat. Seine Botschaft: "Mit dem Rauchen anzufangen, war der größte Fehler meines Lebens." Kurt Kuch kam aber nicht. Er, der vor wenigen Wochen mit dem vorsichtigen Befund "Geheilt" nachhause zu seiner Familie hatte dürfen, ließ sich ehntschuldigen. Der Grund: Rückfall. Sein Tweet lautete: "Der Krebs ist leider schon wieder da. Seit gestern bekomme ich am LKH Graz wieder meine Chemotherapie. Und wie bisher gilt auch jetzt: #fuckcancer."

Initiative "Don't smoke"

Aber Universitätsprofessor Hellmut Samonigg war da. Der Leiter der Onkologie am LKH Graz wollte nämlich seine Initiative "Don't smoke" präsentieren. Und auch seiner Wut auf eine feige, tatenschwache Politik Ausdruck verleihen. Genau dabei wollte ich ihm zuhören. Weil das Thema ein einziger gesellschaftlicher Hustenanfall ist. Weil ich die öffentlichen Streitereien und öden Kompromisse mindestens so satt habe wie der Arzt, der täglich mit den Folgen des Rauchens auf grausamste Art konfrontiert ist. Und weil die elenden Lungenzüge für mich zuletzt eine völlig neue Dimension gewonnen haben. Doch dazu später.

Samonigg erzählte viel. Vor allem Fakten, die Raucher nicht hören wollen. Oder sie sind ihnen wurscht. Beides ist fatal. Denn es geht um ein Bewusstsein. Um Klarheit hinter den Schwaden. Jede Stunde stirbt in Österreich ein Mensch an den Folgen des Rauchens. Das sind fast 9.000 Tote pro Jahr. Dazu kommen mehr als 1.000 Tote als Konsequenz jahrelangen Passivrauchens (im Vergleich dazu sterben im Straßenverkehr jährlich zwischen 400 und 500 Menschen). Ja, eh, sagen wir alle immer.

Österreicher rauchen besonders viel

Jeder dritte Österreicher raucht, alle zusammen 35.500 Zigaretten. Und zwar pro Minute. Aber was noch viel dramatischer ist: Jeder zweite österreichische Jugendliche zwischen 15 und 19 Jahren raucht. Das ist einzigartig in Europa. Ja, eh, sagen wir alle immer.

Drei Viertel aller Herzinfarkte vor dem 55. Lebensjahr sind auf das Rauchen zurückzuführen. Jede Zigarette enthält 40 bis 70 Giftstoffe, die eine oder mehrere von 15 Krebserkrankungen auslösen, die unmittelbar mit dem Rauchen in Zusammenhang stehen. Die Lebenszeit von Rauchern verkürzt sich im statistischen Schnitt um rund acht Jahre. Ja, eh, sagen wir alle immer.

Und deshalb sagen Samonigg und alle Initiatoren von "Don't smoke", wissend, dass Österreich in nahezu allen Rauchstatistiken als eines der Schlusslichter Europas auftaucht: Es muss etwas geschehen! Ein Umdenken. Ein Kraftakt. Daher ertönen die Forderungen nach umfassendem Nichtraucherschutz, nach besserem Jugendschutz, nach Unterstützung der Betriebe, die umbauen mussten, und, und, und. Ich will das im Detail gar nicht genauer ausführen. Es kann sich jeder bei Bedarf informieren.

Meine persönliche Geschichte

Aber ich will dazu etwas erzählen.

Die eine Geschichte, …
… dass ich einst ein leidenschaftlicher Raucher war. Der erst nach 15 Jahren, die er in vollen Zügen genossen hat, die Geburt seiner Tochter zum Anlass genommen hat, mit dieser sinnlosesten aller sinnlosen Tätigkeiten nach hartem Kampf aufzuhören. Um dann zwei Jahre später wieder anzufangen. Der dann dreimal, viermal, was weiß ich wie oft versucht hat, seine Sucht zu besiegen. Immer vergeblich.

Bis zum 17. November 2012. An diesem Tag hat mir ein Seminar zum großen Schritt des letzten Ausdämpfens verholfen. Ein glorreicher Sieg. Seit damals bin ich Nichtraucher. Seit damals habe ich rund 20.000 Zigaretten nicht geraucht. Oder: rund 200.000-mal nicht pures Gift inhaliert. Und seit damals weiß ich vor allem, was ich immer nur geahnt habe, aber niemals zugegeben hätte: Es gibt kein einziges Argument für das Rauchen. Ich wiederhole: keines. In Zahlen: null.

Sich selbst anlügen

Wer im Zusammenhang mit Tschick ernsthaft von Genuss oder Entspannung redet, hat die Selbstlüge zum Lebensmotto erklärt. Ich weiß das. Ich war ein von der Tabakindustrie auf Herz und Nieren geprüfter Selbstlüge-Großmeister. Es gab keine Zigarette (davor, dazu, danach), die ich nicht mit der Geste der großen Freiheit wortgewandt zum Glück spendenden Muss erklärt hatte.

Alles Quatsch. Blöd. Absurd. Krank.

Aber jeder soll sein Leben so gestalten, wie er will. Und wer einen ganzen Tag lang zig Giftstoffe durch seinen Körper jagen und seine zerstörerische Sucht als Leidenschaft definieren will, soll das tun. Bis zum Umfallen.

Solange niemand anderer dabei geschädigt wird. Und das muss ich mit aller Härte sagen dürfen, ohne dass mir dieses dummdreiste, alles relativierende Etikett des militanten Exrauchers aufs Hirn gepickt wird. Solange niemand anderer geschädigt wird, das ist der wahre Punkt.

Die andere Geschichte …
… ist jene meines Kindes. Das ist nämlich geschädigt. Von einer vor sich hindampfenden rauchenden Gesellschaft. Gar nicht so sehr vom Rauch, dessen Partikel hier und dort in vielen kleinen Dosen in den Kinderkörper eindringen. Sondern vielmehr von den Bildern, die beim Heranwachsen ständige Begleiter sind. Bilder von Zigaretten. Bilder von Menschen, die stinkenden Rauch tief einatmen, durch Nase und Mund ausstoßen und das zum Lustprinzip erklären.

Rauchen als Normalität

Meine Tochter hat mich so gesehen. Zu jeder Zeit. An jedem Ort. Und sie hat es als Normalität wahrgenommen. Bis sie älter wurde und herausfand, dass sich ihr Vater mit nachweislich schwer krank machenden Substanzen einnebelt, das auch genau wusste, ihre Fragen nach dem Warum aber nicht beantworten konnte. Sehr wohl aber einen Ratschlag parat hatte: Fang nie mit dem Scheißzeug an! Eine sonderbare Logik.

Irgendwann einmal lag sie im Bett und weinte und schluchzte. Sie sagte zu mir: "Ich will nicht, dass du stirbst wegen diesen Zigaretten." Und ich habe sie gegen meine Überzeugung getröstet. Und mich dafür gehasst. Und ich habe alle rauchenden Freunde gehasst. Und überhaupt alle rauchenden Menschen. Weil sie schuld daran waren, dass mein Kind diese Angst entwickelte. Ich habe so oft gesagt: Ich liebe mein Kind mehr als alles andere auf dieser Welt. Und das war eine verdammte beschissene Lüge. Denn ich liebte die Zigaretten mehr. Ich wollte trotz der offensichtlichen Verstörung nicht auf sie verzichten. Das war so jämmerlich. So unverzeihlich. So folgenschwer.

Denn am 17. November 2012 schaffte ich es tatsächlich. Das Ausdämpfen für die Ewigkeit. Und meine Tochter gab mir im Zuge dieses Prozesses täglich Kraft, weil sie mir wieder und wieder sagte: "Papa, ich bin stolz auf dich."

Heute ist sie vierzehneinhalb Jahre alt und raucht. Also noch nicht richtig. Aber doch gelegentlich, wenn Freundinnen dabei sind und wenn sie am Freitag- oder Samstagabend unterwegs sind. Sie hat meinen so unfassbar beschwerlichen Weg über Jahre hinweg verfolgt und mit mir gelitten, um jetzt plötzlich in jugendlicher Dynamik die ganze Gefahr und den ganzen Irrsinn nicht mehr zu sehen. Sie spielt mit dem Feuer.

Und ich rede mit ihr darüber. Oft. Sie ist sehr offen, das tut gut. Und sie erzählt, dass sie sicher nie richtig anfangen werde. Es ist jetzt nur so. Nur Spaß. "Das chillt." Und ihre Mutter (ehemalige Raucherin) redet auch mit ihr. Und ihre Schwester (ehemalige Raucherin) redet auch mit ihr. Es gibt keine Verbote, keine Drohungen. Und es gibt garantiert kein Argument gegen die idiotische Entscheidung, sich eine Zigarette anzuzünden, das sie noch nicht gehört hätte. Und sie spielt trotzdem weiter mit dem Feuer. Sie steht gerade an der Schwelle. Andere Freundinnen gleichen Alters haben diese Schwelle längst überschritten und sitzen schon qualmend in der tödlichen Falle. Sie basteln sich jetzt ihren Krebs. Und sie lachen dabei herzlich.

Das schmerzt mich so. Ich könnte mit der Faust in die Wand schlagen vor Wut, wenn ich das sehe. Ich könnte losheulen, wenn ich daran denke, wie meine geliebte Tochter gegen jede Vernunft dieser Welt mit diesem Feuer spielt. Aber ich muss akzeptieren: Es ist ihr Leben.
Wenn das nicht so furchtbar schwer wäre mit der Schuld, die ich empfinde. Was habe ich falsch gemacht? Wie sehr habe ich ihre Entscheidung beeinflusst? Weshalb konnte ich das nicht verhindern?

Und das sind längst nicht alle Fragen: Warum sehen unsere Kinder in Trafiken, an Tankstellen, in Lokalen die lustigen, bunten Packerln seit immer schon so verführerisch nett aufgereiht? Warum sehen sie an allen Ecken und Enden Zigarettenautomaten? Warum sehen sie Zigaretten niemals als das, was sie sind, als chemische Waffen, die man gegen sich selbst richtet? Und warum um Himmels können Vierzehnjährige so leicht an Zigaretten kommen? Warum? Warum? Warum?

Wir sind selbst schuld

Diesen fahrlässigen Umgang mit Wahrheit und Lebensqualität haben wir alle gemeinsam zu verantworten. Weil wir trotz unseres modernen Wissens speziell in Österreich immer noch lächerliche, kleinliche, zynische Diskussionen über Rauchverbote führen statt mit aller Ernsthaftigkeit, aller Entschlossenheit und allen (politischen) Maßnahmen zumindest der nächsten Generation die Botschaft zu vermitteln: Zigaretten sind nicht gut. Gar nicht gut. Nie und nimmer gut. (Michael Hufnagl, derStandard.at, 2.10.2014)