Auch heuer hat man mit einer Reihe von Veranstaltungen den 26. September, den Europäischen Tag der Sprachen, gefeiert. In einer offiziellen Aussendung sprach die Europäische Kommission davon, wie wichtig ist es, im vereinten Europa "die Sprachenvielfalt zu schützen".

Tatsächlich schreibt sich die EU auf die Fahne, die Amtssprachen ihrer Mitgliedsstaaten in den Institutionen der Union gleichberechtigt zu verwenden. Das zieht zwar einen riesigen und vor allem teuren Beamtenapparat mit sich – bis zu 1.000 Dolmetscherinnen und Dolmetscher können während einer Plenarsitzung des Europäischen Parlaments für die Übersetzungen in alle 24 EU-Sprachen herangezogen werden.

Widerspiegelt aber die europäische Realität diese in Brüssel demonstrierte Sprachenvielfalt? In einer großen und vor zwei Jahren veröffentlichten Eurobarometer-Studie zur Fremdsprachenkompetenz steht zum Beispiel, dass nur 42 Prozent der EU-Teenager die erste Fremdsprache wirklich beherrschen. Ein Sechstel (14 Prozent) von ihnen erreicht nicht einmal das Niveau "Grundkenntnisse". Die Fremdsprachenbeherrschung kann laut derselben Studie von Land zu Land deutlich variieren: Während in Luxemburg, Malta, Lettland, Slowenien und Schweden mehr als 90 Prozent der Bevölkerung eine oder sogar mehrere Fremdsprachen beherrschen, sind 65 Prozent der Ungarn einsprachig.

Ernüchternde Zahlen

In Österreich ist der Trend positiv: Die besagte Studie zeigt, dass 78 Prozent der Befragten behaupten, eine weitere Sprache neben ihrer Muttersprache zu sprechen – das sind immerhin 16 Prozent mehr als bei der vorletzten Erhebung (2005).

Die häufigsten Fremdsprachen, die man in der EU lernt, sind Englisch, Französisch, Deutsch, Spanisch und Russisch. Das soll uns nicht weiter wundern: Die Attraktivität einer Fremdsprache hängt vor allem von ihrem Prestige beziehungsweise von der Volkswirtschaft ab, die diese Sprache als Muttersprache spricht. Doch wie sieht es aus mit den Sprachen unserer Nachbarn beziehungsweise Mitbürger?

Die Zahlen sind ernüchternd: In den vergangenen Jahren lernten lediglich 0,5 Prozent aller österreichischen Schüler Slowakisch, Tschechisch, Ungarisch oder Slowenisch als Fremdsprache. Gleichzeitig liegt ein wichtiger wirtschaftlicher und auch politischer Schwerpunkt Österreichs nach wie vor in dieser Region, außerdem pendeln oder leben hier viele Menschen aus diesen Nachbarländern. Doch wenn es um das Erlernen ihrer Sprache und Kultur geht, mangelt es in unserem Schulsystem an Angeboten beziehungsweise Anreizen.

(Unerwünschte) Sprache der Nachbarn

Ein noch größeres Misstrauen herrscht den zahlenstarken Zuwanderersprachen gegenüber. In Österreich sind diese Sprachen und ihre Beherrschung immer noch ein umstrittenes Politikum. Während die Zwei- oder Mehrsprachigkeit mit Englisch, Französisch oder Spanisch als Fremdsprache in weiten Teilen der Öffentlichkeit als wünschenswert erachtet wird, wird diese gleiche Mehrsprachigkeit etwa mit den Balkansprachen oder Türkisch oft als Signal einer "Parallelgesellschaft" oder mangelnder Integration interpretiert – siehe etwa das immer noch nicht implementierte Türkisch als Maturafach.

Alles unnötig und unbegründet. Denn gerade Wissenschaft und Wirtschaft sprechen eine komplett andere Sprache: In einer kürzlich veröffentlichten und mit dem diesjährigen Integrationspreis von Baden-Württemberg prämierten Studie der deutschen Linguistin Seda Tunç wurde anhand von 510 Texten noch einmal bewiesen, was Sprachwissenschafter schon längst behaupten: Migrantenkinder, die ihre Erstsprache schlecht beherrschen, haben auch Probleme in Deutsch.

In den Großstädten Deutschlands und Österreichs liegt die Zahl dieser Kinder mit nichtdeutscher Muttersprache bereits über 50 Prozent. Selbstverständlich ist die Beherrschung des Deutschen hier die Pflicht, aber unser Schulsystem wird sich früher oder später dorthin bewegen müssen, wo auch die gepflegte Muttersprache keine Kür – wie einmal der Integrationsminister Sebastian Kurz sagte –, sondern ebenfalls die Pflicht sein wird.

Mehr Mut

Unsere Schüler mit Migrationshintergrund sind zu einem großen Anteil bereits jetzt mehrsprachig. Vor ihrer Mehrsprachigkeit braucht niemand in diesem Land Angst haben. Sie gehört hingegen gefördert – denn damit baut Österreich bessere Kompetenzen seiner Schülerinnen und Schüler auf und kann sie schließlich auch wirtschaftlich nutzen. Mit vielen Ländern, aus denen unsere Zuwanderer kommen, wie der Türkei oder dem Balkanraum, schreiben wir erfreulicherweise positive Wirtschaftszahlen. Auf dieses Sprachpotenzial unserer Schüler zu verzichten können wir uns einfach nicht mehr leisten. Dafür brauchen wir aber mehr Mut, weniger Populismus und eine neue, deutlich sprachenfreundlichere Politik. (Nedad Memić, daStandard.at, 1.10.2014)