Die Zentralbanken verzerren die Kapitalmärkte aktuell, warnt DWS-Fondsmanager Klaus Kaldemorgen. Gleichzeitig sieht der Fondsveteran erhebliche Lerneffekte nach der jüngsten Krise.

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STANDARD: Es mehren sich Stimmen, die von einer Ruhe vor dem Sturm an den Börsen sprechen. Sehen Sie das auch so?

Kaldemorgen: Da man nicht davon ausgehen kann, dass wir nie mehr Stürme erleben, und ob der Beobachtung, dass wir eine relative Ruhe an den Märkten haben, kann diese Aussage richtig sein. Die Frage ist, wann kommt der Sturm, wie stark wird er, und was wird ihn auslösen. Was mich beunruhigt ist, dass die Ruhe an den Märkten schon sehr lange anhält. Es gab nur zwei Perioden, die ruhiger waren als die gegenwärtige Phase.

STANDARD: Welche waren das, und was ist danach passiert?

Kaldemorgen: Das waren die Phasen von 1991 bis 1997 und von 2003 bis 2007. Danach gab es mit der Dotcom-Blase und der Finanzkrise heftige Kursverwerfungen. Die gegenwärtige "Ruhe" läuft seit Juli 2011.

STANDARD: Wo sehen Sie derzeit das größte Risiko? Gewarnt wird immer wieder vor einer Immobilienblase in China oder in Großbritannien. Auch das Wachstum schwächt sich wieder ab ...

Kaldemorgen: Typischerweise sind ja die Themen, die man befürchtet, dann nicht die, die für Verwerfungen sorgen. Die Preise für Immobilien in China sind ein Dauerthema. Aber ich glaube, China verfügt über genügend Ressourcen, auch geldpolitischer Natur, um aus dieser Blase langsam die Luft rauszulassen. Wenn ich auf ein Thema setzen soll, ist es im Augenblick die Geldpolitik in den USA. Es wird ja viel gerätselt, wann die Zinserhöhung in den USA kommt. Bisher haben die Märkte auf diese Ankündigung noch nicht reagiert. Bei bisherigen Zinsanpassungen haben wir Korrekturen von bis zu zehn Prozent gesehen, dieses Mal noch nicht.

STANDARD: Aussagen der Notenbank-Chefs bewegen die Börsen aber schon ...

Kaldemorgen: Das ist richtig. Denn den Rohstoff, den die Notenbank liefert, kann sie selber produzieren. Daher hat die Rede von EZB-Chef Mario Draghi im September 2012, alles zu tun, um den Euro zu retten, den Strich unter der Krise gezogen. Seitdem verlassen sich die Börsen darauf, dass die Notenbanken uns die systemischen Risiken vom Hals halten.

STANDARD: Kann man mit dieser Strategie ruhig schlafen? Denn es wird der Tag kommen, wo Hilfen auslaufen und aufgeräumt werden muss.

Kaldemorgen: Das Problem ist wie gesagt, dass die Maßnahmen der Notenbanken zu einem dramatischen Rückgang der Zinsen über alle Laufzeiten und zu Kreditrisiken führen. Wir beobachten im Augenblick eine enorme Verzerrung der Risikoprämien. Am Kapitalmarkt sind Letztere meines Erachtens nach nicht mehr richtig gepreist. Der Kapitalmarkt sollte ja eigentlich für die Preisfindung sorgen, doch das wird aktuell von den Maßnahmen der Zentralbanken überlagert. Tauchen eines Tages Risiken auf, die von den Zentralbanken nicht mehr gemanagt werden können, kann das problematisch werden und zu Verwerfungen führen.

STANDARD: Um Rendite zu machen, muss man wieder mehr ins Risiko gehen. Lauert hier die Gefahr, dass Anleger eigentlich schon wieder viel zu viel Risiko in ihren Portefeuilles haben?

Kaldemorgen: Was die privaten Anleger angeht, so besteht in puncto Aktienanlagen noch immer Nachholbedarf. Das Einzige, was man sieht, ist, dass der Immobilienmarkt stark profitiert hat. Solange diese aber relativ solide finanziert sind, erwarte ich hier keine größeren Probleme. Ich sehe aber schon einen Unterschied zwischen der Realwirtschaft und dem Kapitalmarkt. Die Kapitalmärkte boomen, die Realwirtschaft wächst, aber doch eher blutarm. Dieses Auseinanderdriften ist nicht gut. Die Zentralbanken können zwar die Märkte beruhigen, aber ihre Wirkung auf die reale Wirtschaft ist begrenzt. Mit Geld kann man keinen Wohlstand drucken, dieser muss erarbeitet werden.

STANDARD: Die Pensionsvorsorge ist in Österreich derzeit großes Thema. Das Thema Vorsorge rückt in den Mittelpunkt. Aber kann man wirklich sagen, mit dem Besitz einer Versicherung oder eines Fonds lässt sich die Pensionslücke schließen?

Kaldemorgen: Vorsorge für das Alter ist ein wichtiges, aber vor allem langfristiges Thema. In der Vergangenheit war das leichter, weil man eine einigermaßen ordentliche Rendite auf sein Kapital am Sparbuch bekommen hat. Das ist jetzt nicht mehr so. Daher liegt der Gedanke nahe, dass man in riskantere Anlagen gehen muss. Dem ist aber nicht zwingend so. Ein bisschen mehr Aktienveranlagung würde der Altersvorsorge schon guttun. Auf die richtige Auswahl und Gewichtung kommt es an. Und einen guten Vermögensverwalter. Denn Aktien sind zwar attraktiv, aber eben nicht risikolos.

STANDARD: Sie managen einen Mischfonds. Welche Mischung macht Ihrer Meinung nach derzeit Sinn?

Kaldemorgen: Meine Zielsetzung ist es, das Risiko zu kontrollieren. Wenn ein Anleger eine Aufteilung zwischen Aktien und festverzinslichen Anlagen macht und pro Jahr nicht mehr als zehn Prozent verlieren möchte, stellt sich die Frage, wie viele Aktien er sich damit leisten kann. Eine Quote von 20 Prozent ist dann möglich. Mit einem Fonds, der nicht statistisch, sondern flexibel investiert und ein professionelles Risikomanagement hat, kann man dem Anleger eine höhere Aktienquote zumuten, um eine bessere Performance zu erzielen. Das war die Idee des Fonds. Die Schwankungsbreite soll in einer Wohlfühlzone bleiben. Das versuche ich, im Fonds zu realisieren.

STANDARD: Welche Schwellenländer gefallen Ihnen derzeit am besten?

Kaldemorgen: Ich glaube, das Schicksal der Schwellenländer wird im Wesentlichen am chinesischen Markt entschieden. Daher wird dieser Markt, was die Aktienanlagen angeht, spielentscheidend sein. Was Aktien angeht, würde ich daher auf China setzen. Ansonsten glaube ich, dass Schwellenländer-Anleihen in US-Dollar attraktiv sind. Dort gibt es wesentlich höhere Renditen als in den USA oder Europa.

STANDARD: Sie haben als Fondsmanager viele Krisen miterlebt, die Peso-Krise, die Tech-Blase, die Finanzkrise. Kann man im Rückblick sagen, dass es Lerneffekte gab?

Kaldemorgen: Krisen haben immer ganz unterschiedliche Hintergründe. Hat man einmal eine Krise erlebt, wird man automatisch vorsichtiger. Der Lerneffekt aus der Finanzmarktkrise ist sicherlich, dass Banken besser kapitalisiert werden müssen. Im Jahr 2000 hatten wir eine Überbewertung und eine große Euphorie an den Märkten. Dies hätte man zwar erkennen können, die meisten mochten dann aber lieber die Party bis zum Ende mitfeiern.

STANDARD: Gerade im Tech-Bereich gibt es jetzt aber wieder ein Mega-IPO nach dem anderen. Stichwort Alibaba. Droht hier eine neue Blase?

Kaldemorgen: Nein. Natürlich sind die Bewertungen sehr hoch. Man ist bereit, für Wachstum eine hohe Prämie zu bezahlen. Die Papiere muss ja niemand kaufen. Diese IPOs sind ja nur ein kleiner Ausschnitt aus dem Gesamtmarkt. Von einer Überbewertung kann in Summe nicht gesprochen werden.

STANDARD: Sie gelten in der Branche als Star-Fondsmanager. Baut diese Bekanntheit einen Druck auf?

Kaldemorgen: Ein bekanntes Gesicht zu haben hat den Vorteil, dass man einen Vertrauensvorschuss bekommt. Aber es bringt auch eine große Verantwortung mit sich, dem Vertrauen und Erwartungen der Anleger gerecht zu werden. (Bettina Pfluger, DER STANDARD, 3.10.2014)