Am 1. Oktober 2004 ist das Universitätsgesetz von 2002 an den Universitäten Realität geworden. Zehn Jahre später bestimmt es die Normalität des universitären Alltags in so starkem Maße, dass kaum jemand noch darüber nachdenkt. Die Verfechter des Gesetzes verteidigen es nicht, und die Kritiker des Gesetzes bekämpfen es nicht.
Im Zentrum des UG 2002 steht die Autonomie der Universität und damit der Rückzug des Staates aus einer entscheidenden in eine ermöglichende Funktion. Mit diesem Gesetz ging Österreich einen ungewöhnlichen Weg, der risikobehaftet und dennoch vielversprechend war und ist. Ich bin im Jahr 2002 einem Ruf der Universität Wien gefolgt, weil ich dieses Risiko als Herausforderung empfand. Ich sah in Wien die Möglichkeit, an einer Institution zu arbeiten, die ihre Verantwortung für Wissenschaft und Gesellschaft auch dann selbst wahrnimmt, wenn die Ansprüche von Staat und Gesellschaft an diese Institution wachsen.
Während seit etwa 20 Jahren in vielen Ländern die staatliche Planung von wissenschaftlichem Fortschritt gefordert und vielfach umgesetzt wurde, wurde Österreich für mich und andere gerade deshalb attraktiv, weil es den umgekehrten Weg ging: die Wissenschaft der Wissenschaft zu überlassen und daraus das zu generieren, was wir alle brauchen - neue Ideen für die Lösung großer gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Herausforderungen.
Gemeinsame Verantwortung
Diesen hochgesteckten Zielen kann eine Universität nur entsprechen, wenn die Wissenschafterinnen und Wissenschafter genauso wie die Studierenden ihre Verantwortung für die Institution Universität gemeinsam wahrnehmen. Die Universität darf unter diesen Bedingungen also nicht als Parkplatz für unentschlossene Jugendliche bereitstehen, die dort eine Zeitlang verweilen, bis ihnen etwas Besseres eingefallen ist; noch weniger darf sie als Rückzugsort für Menschen dienen, welche sich der immer härter gewordenen gesellschaftlichen Konkurrenz entziehen möchten. Sie muss stattdessen ein Ort sein, in dem die Zukunft Gegenwart ist, ein Labor, in dem wir miteinander um die besten Lösungen ringen.
Eine solche Universität braucht Menschen, die sich zutrauen, ihre Institution immer wieder neu zu erfinden. Die "Gelehrtenrepublik" braucht Führung, aber sie braucht auch den Diskurs. Das Kooptationsprinzip zur Rekrutierung der Besten wirft man - wie die Phase des zuvor gültigen Gesetzes zeigte - nicht ungestraft über Bord. In Gremien ausgehandelte Kompromisse sind keine Gewähr für wissenschaftliche Qualität.
Das UG 2002 zieht aus diesem Umstand keine eindeutigen Schlüsse. Deshalb hält es sich zurück, was die innere Struktur der Universität betrifft. Es hat allerdings - in josephinischer Tradition - genauso, wie es selbst im Sinne eines von oben eingeleiteten Reformprozesses zur Welt kam, die Macht in der Universität den Führungsorganen gegeben und den Gremien genommen. Aus der sich demokratisch nennenden Universität wurde per Gesetz eine monokratische Organisation, ohne dass je darüber gesprochen wurde, warum.
Der Grund, so meine ich ihn zu verstehen, besteht darin, dass dem Prinzip Wissenschaft das Prinzip Demokratie entgegensteht. Aussagen werden in der Wissenschaft nicht deshalb als wahr angenommen, weil sie von der Mehrheit akzeptiert werden, sondern weil sie von denjenigen, die über die höchste Expertise im entsprechenden Feld verfügen, überprüft und bis zum Beweis des Gegenteils für richtig erachtet werden. Wissenschafterinnen und Wissenschafter dürfen dieses Prinzip keinen anderen Ansprüchen opfern, auch nicht dem der sozialen Gerechtigkeit, der Gendergerechtigkeit oder sonstigen außerwissenschaftlichen Machtansprüchen.
Nun wissen wir alle, dass menschliche Gesellschaften diesen hehren Prinzipien kaum entsprechen. Das Gesetz sieht die monokratische Ordnung der Universität als die an, welche am ehesten geeignet ist, die komplexen Aufgaben einer unserer Zeit entsprechenden Universität zu erfüllen. Frühere Gesetze sahen dies durch eine in Gremien organisierte Form der demokratischen Verfasstheit der Universität garantiert. Heute wissen wir, dass beide Organisationsformen nicht angemessen sind. Die Gremienuniversität behindert die Kreativität durch Vergeudung von Kapazitäten im Streit um Interessen; die Monokratie verbreitet Passivität und verleitet zur Nutzung von informellen Kanälen der Beeinflussung von Entscheidungsträgern.
Zehn Jahre sind ins Land gegangen und haben die Universitätslandschaft in Österreich erheblich verändert. Die Internationalisierung der Universitäten hat wie ihre Wettbewerbsfähigkeit ein vorher fast unvorstellbares Niveau erreicht. Trotzdem scheint die Politik nicht zu ihrer mutigen Entscheidung von 2002 stehen zu wollen. Immer wieder hört man, dass die Autonomie zu weit gehe und die Internationalisierung den "Braindrain" befördere. Das Gegenmittel: mehr staatliche Vorgaben und mehr Gremien.
Sollten sich die entsprechenden Gerüchte als richtig erweisen, wäre dies ein bedauerlicher Schritt in die falsche Richtung. Viel angebrachter wären Mut und Zukunftsorientierung genauso wie im Jahr 2002. (Susanne Weigelin-Schwiedrzik, DER STANDARD, 3.10.2014)