Kobanê ist noch nicht gefallen, doch die Türkei hat eine historische Chance für einen Ausgleich mit den Kurden verspielt. Wäre ihre Armee den weit unterlegenen syrischen Kurden bei der Verteidigung ihrer Stadt gegen die Terrormiliz Islamischer Staat beigesprungen, hätte die Türkei den Grundstein für eine politische Neuordnung mit ihren Nachbarn und mit ihrer Minderheit im eigenen Land gelegt. Eine Jahrhunderttat.
Freilich: Eine solch großmütige, heroische Tat gegen einen gemeinsamen Feind, eine fanatisierte Barbarenarmee, hätte Risiken für die Sicherheit der Türkei geborgen und wäre völkerrechtlich auch nicht leicht zu stützen gewesen. Der Punkt aber ist: Die türkische Führung und der Großteil der Opposition sehen auch gar keinen Anlass, den Kurden militärisch zu helfen, und sei es auch nur indirekt. Ankara wartet die Niederlage der Kurden in Syrien ab. Sind die PYD und ihre Miliz aufgerieben, ist Platz für eine "Sicherheitszone" im syrischen Grenzgebiet - organisiert nach Vorstellungen der türkischen Regierung.
Die Kurden in der Türkei verfolgen mit Bitterkeit, wie ihr Staat die Verwandten auf der syrischen Seite zugrunde gehen lässt. Kobanê treibt einen Keil in die Gesellschaft der Türkei. Ankara verweist auf die humanitäre Hilfe für die kurdischen Flüchtlinge. Doch wie die Friedensgespräche mit der PKK über die Kurdenfrage in der Türkei noch eine Zukunft haben sollen, ist nicht zu sehen. (Markus Bernath, DER STANDARD, 3.10.2014)