Axel Weber hält wenig von den neuen Krisenbekämpfungsmaßnahmen der Europäischen Zentralbank. Er sieht darin einen Risikotransfer von den Banken an die Notenbank.

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STANDARD: Basel III und Stresstest belasten die Banken, die Kreditvergabe in der Eurozone ist rückläufig. War es richtig, die Geldinstitute inmitten eines Konjunkturabschwungs zu strapazieren?

Weber: Die grundsätzliche Entscheidung, die Bankenregulierung nach der Krise anzuziehen, war ohne Alternative. Was wir damals gehofft haben, war, dass über die stufenweise Einführung der Regulierung bis 2019 der Prozess in ein freundlicheres wirtschaftliches Umfeld fällt. Doch auch der Markt hat den Banken gar nicht so lange Zeit gegeben, das Kapital zu erhöhen. Das hat die Konjunktur in einer entscheidenden Phase sehr belastet.

STANDARD: Wie gehen die Banken mit den Herausforderungen um?

Weber: Die Regulierung ist nicht ohne Preis zu haben. Die Bilanzen wurden stark abgebaut, insbesondere in Bereichen mit hohem Risiko. Das geht zulasten der Kreditgewährung, aber auch komplexer Finanzprodukte. UBS hat die Bilanz beispielsweise halbiert, der Großteil der Reduktion erfolgte über den Abbau von Risikopositionen. Dazu kommt der von den niedrigen Margen ausgehende Druck, der den Kapitalaufbau erschwert. Insofern befinden sich die Banken in einem negativen Kreis aus schlechter Wirtschaft, erodierenden Margen und den Herausforderungen des Stresstests. Dass daher die Institute nicht auf Kreditvergabe konzentriert sind, sondern danach trachten, ihr Haus in Ordnung zu bringen, ist klar ersichtlich.

STANDARD: Selbst wenn die Banken nicht auf der Bremse stünden: Gäbe es überhaupt mehr Kreditnachfrage?

Weber: Die Kreditnachfrage ist in vielen Ländern gering, Haushalte, aber auch Unternehmen sind schon jetzt stark verschuldet. Die Kreditnachfrage leidet auch darunter, dass ein Überhang an Projekten besteht, die schon kreditfinanziert sind. Dazu kommt die generelle Zurückhaltung bei Investitionen.

STANDARD: Rechnen Sie damit, dass die Steuerzahler neuerlich einspringen müssen, weil Banken beim Stresstest durchfallen?

Weber: Die Banken sind heute sehr viel stabiler als vor der Krise. Der Stress, dem die EZB die Banken aussetzt, ist ja nur simuliert. Ein glaubwürdiger Test wird zeigen müssen, dass einige Bankbilanzen gestärkt werden müssen. Die Frage ist nur, wie konsequent Europa in einem wirtschaftlich schwachen Umfeld die im Stresstest offenbarten Probleme lösen kann. In den USA wurde das Problem gelöst, indem gleich Kapitalinjektionen bereitstanden. In Europa kündigt man das Problem jetzt an und überlässt es dann den Banken, am Markt Kapital aufzunehmen. Das wird schwierig werden. Einige der Banken werden sich an die staatlichen Rettungsfonds wenden müssen, andere müssen eben am Markt Kapital aufbringen. Das könnte zu Verwerfungen führen.

STANDARD: In welchen Bereichen genau erwarten Sie Verwerfungen?

Weber: Das gilt vor allem für jene Institute, bei denen ein negatives Ergebnis bereits vom Markt erwartet wird. Es gibt aggressive Investoren, die die Finanztitel dieser börsennotierten Unternehmen mit ungedeckten Leerverkäufen belegen und schon einmal vorausschauend verkaufen wollen. Da entsteht ein erheblicher Druck, weshalb man einen vorübergehenden Bann für diese Instrumente überlegen sollte. Diese Instrumente können die Abwärtsdynamik an den Märkten verstärken und für hohe Volatilität sorgen. Es wird auch bei Banken mit fixen Eigentümerstrukturen schwierig werden, Kapital einzuschießen, weil das ja nur der bestehende Eigentümer vornehmen kann. In diesen Fällen ist absehbar, dass der Abbau der Bilanzsumme weitergeht. Auch bei öffentlich-rechtlichen Banken ist die Lage nicht gerade einfach. Einige der Probleme sind hier noch nicht komplett gelöst, da die Bereinigung der Bilanzpositionen noch läuft. Das wird die Qualitätsprüfung der EZB auch offenlegen.

STANDARD: Die EZB greift gleichzeitig den Banken mit neuen Maßnahmen unter die Arme. Wie bewerten Sie die Vorgangsweise?

Weber: Die EZB will ihre Bilanzsumme von derzeit zwei Billionen wieder auf das Niveau von drei Billionen Euro erhöhen. Ich glaube, dass es ein Politikfehler der Zentralbank war, die vorzeitige Rückzahlung der langfristigen Liquiditätsmaßnahmen (LTRO, Anm.) zu erlauben. Hätte man das nicht erlaubt, müsste man die Bilanz jetzt nicht wieder über neue Bilanzmaßnahmen erweitern. Dass der jetzige erste LTRO nur bedingt aufgenommen wurde, zeigt auch, dass Liquidität nicht das Problem ist.

STANDARD: Umstrittener ist das Programm zum Aufkauf von verbrieften Krediten durch die EZB?

Weber: Das größere Problem dieser Maßnahme ist, dass die Bilanzpositionen der Banken nicht verpfändet, sondern verkauft werden. Damit findet ein Eigentumsübergang an die EZB mit allen Konsequenzen für Risiko und Haftung statt. Es geht also um einen Risikotransfer von den Banken zu der Notenbank. Genau dieses Instrument wurde bei den Rettungsaktionen der Staaten ausgeschlossen. Für mich ist ebendieser Risikotransfer problematisch, durch den die Programme sehr nahe an die Finanzpolitik rücken.

STANDARD: Wenn jetzt auch Kreditverbriefungen aus Griechenland und anderen Ländern aufgekauft werden, droht die EZB dann zu einer Mülldeponie zu werden?

Weber: Die EZB legt Wert darauf, nur weniger riskante Verbriefungen aufzukaufen, aber Risiken sind auch darin enthalten. Daher sollten derartige Schritte von den Politikern und Parlamenten gutgeheißen werden, etwa in Form einer Verlustgarantie. In Deutschland wurde die Übertragung problematischer Aktiva an den Rettungsfonds 2008 bewusst ausgeschlossen. Für mich war das als damaliger Notenbanker eine wichtige Einsicht, dass derartige Maßnahmen nicht über den Umweg der EZB implementiert werden dürfen.

STANDARD: Kann man davon ausgehen, dass Sie den Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB erst recht ablehnen?

Weber: Bei Staatspapieren ist die Aktion zu nahe an der Staatsfinanzierung. Ich habe mich immer dagegen ausgesprochen und meine Meinung nicht geändert. Der Ankauf von Staatsanleihen von Ländern in Finanzschwierigkeiten setzt falsche Anreize.

STANDARD: Trotz deutschen Widerstands beschließt die EZB regelmäßig neue expansive Maßnahmen. Ist Deutschland in der EZB isoliert?

Weber: Das weiß ich nicht, ich bin ja nicht mehr im Tagesgeschäft der Geldpolitik. Grundsätzlich stellt sich die Frage: Wenn nach sieben Jahren der Bekämpfung die Maßnahmen zur Krisenbekämpfung und zur Ankurbelung der Wirtschaft nicht wirken, dann ist es möglicherweise das falsche Instrument. Vielmehr stellt sich die Frage, ob es nicht an der Zeit ist, den Stab von der Notenbank an die Regierungen zurückzugeben, die letztendlich durch Arbeitsmarktreformen und stabile Finanzpolitik langfristig für Wachstum sorgen müssen. Wenn die Zukunft immer stärker mit Schulden belastet wird, können auch die Wachstumsperspektiven nicht gut sein - anders als in den USA. Vielleicht ist ja die Medizin falsch, und in diesem Fall sollte man die Dosis nicht erhöhen. Was wir derzeit in Europa machen, ist, die Krankheitssymptome kurzfristig zu kurieren - wir gehen aber nicht an die Wurzel des Problems. (Andreas Schnauder, DER STANDARD, 3.10.2014)