Hongkongs Verwaltungschef Leung Chun-ying suchte sein Heil aus der eskalierenden Krise buchstäblich im letzten Moment. Wenige Minuten bevor in der Nacht von Donnerstag auf Freitag das Ultimatum der Studenten für ihre Forderung nach seinem Rücktritt ablaufen sollte, öffnete er mit seinem Angebot zum Dialog das Ventil, um den aufgestauten Zorn der Straße abzulassen.

Er habe seine Stellvertreterin Carrie Lam und weitere Regierungsbeamten beauftragt, sich mit den Vertretern des Studentenverbandes zu treffen, verkündete er auf einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz.

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Leung Chun-ying mit seiner Stellvertreterin Carrie Lam auf dem Weg zur Pressekonferenz
Foto: REUTERS/Bobby Yip

Massenweise belagerten da bereits Demonstranten den von Polizeihundertschaften geschützten Amtssitz des Verwaltungschefs. Sie drohten einzudringen, wenn Leung nicht seinen Hut nimmt. Seine plötzliche Bereitschaft zum Gespräch, das der Studentenverband lange zuvor vergebens eingefordert hatte, entschärfte die Situation.

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Polizeisperre vor Leungs Amtssitz
Foto: REUTERS/Bobby Yip

Gerade wegen dieser Wahlreformen, aber anders als es Leung meint, demonstrieren seit sechs Tagen Zehntausende junger Hongkonger und halten die Straßen in drei Regierungs- und Geschäftsvierteln besetzt. Sie verlangen ein Ende ihrer Entmündigung. Peking soll seiner Verpflichtung nachkommen, gemäß seiner Politik "ein Land zwei Systeme" den Hongkongern "wirklich freie Wahlen" 2017 zu erlauben, um ihren Verwaltungschef zu bestimmen.

"Zwei bis drei Kandidaten"

Chinas Regierung hatte Ende August von ihrem Ständigen Parlamentsausschuss dagegen eine Wahlreform beschließen lassen, bei der die Hongkonger nur unter "zwei bis drei Kandidaten" auswählen dürfen, deren Nominierung in Peking vorab gebilligt wird.. Dieses Diktat, wie Hongkong zu wählen hat und das von Leung unterstützt wird, gab erst den Anlaß für die jüngsten Proteste.

Sie hielten den Freitag über weiter an trotz strömenden Regens. Dutzende Buslinien blieben stillgelegt, oder mussten Umwege fahren. Die Schulen waren weiter geschlossen, ebenso wie viele Geschäfte in den Protestvierteln. Es kam zu Rempeleien, als sich Beamte oder Angestellte den Weg zu ihren Arbeitsplätzen durchboxen wollten. Ernsthaftere Probleme blieben aber aus.

Erste Berichte in China

Chinas Staatsfernsehen CCTV dramatisierte dagegen die Lage. In ihren ersten Nachrichtenfilmen über den Alltag seit Beginn der Proteste suggerierte sie schwere Störungen im öffentlichen Leben. Fast die Hälfte des Busverkehrs stände still. 1.5 Millionen Passagiere seien betroffen.

Die wirtschaftlichen Verluste der Geschäfte und Restaurants bis zum ausbleibenden Tourismus würden die Mehrheit der Bürger ängstigen. "Xinhua" bezifferte am Freitag sogar in einer ersten Hochrechnung der angeblichen Negativkosten für Hongkong mit 40 Milliarden Hongkong Dollar (rund vier Milliarden Euro).

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Der Hang-Seng-Aktienindex sank am Freitag weiter
Foto: AP/Wong Maye

Allein 20 bis 30 Prozent weniger Touristen würden aus China über die Oktober-Ferienwoche des Nationalfeiertags kommen. CCTV zeigte vor allem prochinesische Hongkonger Bürger als zornige Gegner der Studenten. Demonstrativ tragen sie blaue Schleifen statt der gelben Schleifen der Studenten.

Gegendemonstration angekündigt

Die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua kündigte an, dass die Anhänger der "Blauschleifen" für Samstag Nachmittag zur großen Gegendemonstration gegen die "Occupy Central"-Protestbewegung aufrufen würden.

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Causeway Bay, 3. Oktober: Anrainer fordern, die Barrikaden zu entfernen
Foto: AP/Wally Santana

Solche Kundgebungen sieht Peking gern. Die Organisatoren der Studentenproteste und besonders der "Occupy Central" Bewegung werden dagegen nach altbewährter Propaganda-Methode diffamiert und kriminalisiert. Am Freitag wurden dazu auch die Juristen mobilisiert. Sie verurteilten die "illegalen" Proteste, die nicht durch die in Hongkong gewährten Demonstrations- und Versammlungsfreiheiten gerechtfertigt seien.

Im staatlichen CNR-Rundfunk behauptete der Rechtsforscher Mo Jihong von der Akademie für Sozialwisssenschaften, dass die Demonstrationen "starke anarchistische Züge tragen". Funktionär Chen Yonghua von der Rechtsgesellschaft sieht das internationale Ansehen Hongkongs und das seines Rechtssystems "schwer verletzt."

Auch das Parteiorgan "Volkszeitung" verschärfte wieder den Tonfall. Am Donnerstag hatte es sich in einem Leitkommentar hinter Verwaltungschef Leung gestellt, der Pekings Vertrauen habe, die Probleme allein lösen zu könnne. Am Freitag warnte die Volkszeitung Hongkongs Demonstranten, den Bogen nicht zu überspannen.

Sie würden sich mit ihren illegalen Forderungen und Aktionen direkt gegen China wenden. Ihre "politschen Absichten drehen sich gar nicht um ihre Forderung nach sogenannten echten Wahlen, sondern fordern sowohl des höchsten Machtorgan Chinas als auch die demokratischen Rechte der Hongkonger heraus."

"Hongkong ist kein Staat"

Der Kern ihrer Forderung nach "echten Wahlen" sei, dass sie selbst ihre Vertreter für das Amt des Verwaltungschefs aufstellen wollten, "einschließlich von Leuten, die in Opposition zu China stehen." Das sei weder "legal noch legitim." Der Kommentar erinnert daran, dass Hongkong trotz seines besonderen Status nur eine "regionale Verwaltungszone von China ist, die der Zentralregierung direkt untersteht, aber kein Staat oder ein unabhängiges politsches Gebilde ist."

Wenn die derzeitige Wahlreform nicht akzeptiert wird, gelte "rechtlich gesehen das bestehende Wahlverfahren weiter. In dieser wichtigen prinzipiellen Frage gibt es (für Peking) keinen Bewegungsraum für Konzessionen." (Johnny Erling, derStandard.at, 3.10.2014)