Berlin ist hip. Das merkt man spätestens dann, wenn man um Mitternacht auf der Oranienstraße in Kreuzberg unterwegs ist und als gelernter Wiener eines beeindruckt feststellen muss: Hier wird man eher dann schief angeschaut, wenn man nicht bis spätabends rauchend und trinkend herumsitzt und zur Aufrechterhaltung des Lärmpegels beiträgt. Hat man dann auch noch ein paar Anzugträger in der Gruppe, die raumgreifende Erklärungen abgeben und dabei auf den Altbestand deuten, kann es passieren, dass jemand im Vorbeigehen ein paar Worte zischelt, von denen jedenfalls "Gentrifizierung" klar herauszuhören ist.
Robert Neumüller, einer der Männer im Anzug, lässt sich davon aber nicht beirren. Er ist Geschäftsführer der s Immo AG für Deutschland und will hier in der Oranienstraße auf einer unbebauten Eckparzelle Wohnungen errichten. Die Parzelle war vor dem Krieg bebaut, das darauf befindliche Gebäude wurde im Krieg zerstört, heute ist dort ein kleiner Park. Die Bäume wegzubekommen könnte schwierig werden, weiß Neumüller, doch er verweist darauf, dass die Stadt Berlin grundsätzlich solche "Lückenschlüsse" in der gründerzeitlichen Blockrandbebauung sehr willkommen heiße.
Zuzug von 40.000 Menschen
Berlin braucht nämlich Wohnungen, und zwar jede Menge. 40.000 Menschen kommen derzeit jedes Jahr in die Spree-Metropole, und zwar "netto" - Wegzügler sind da schon subtrahiert (siehe dazu auch Artikel unten). Die s Immo Germany, eine 100-Prozent-Tochter der heimischen börsennotierten s Immo AG, setzt deshalb auf dieses enorme Potenzial und entwickelt neuerdings auch vermehrt selbst Wohnimmobilien - auf Flächen, die man schon in der Vergangenheit erworben hat. Müsste man sie jetzt kaufen, wären sie nämlich "teilweise teurer als in Wien", sagt s-Immo-Vorstandschef Ernst Vejdovszky. Da die erzielbaren Verkaufspreise in Berlin weit unter jenen in Wien liegen, wäre das nicht rentabel.
Fünf Projekte hat man derzeit in Bau oder Bauvorbereitung. Auf einem Grundstück in der Stralauer Allee sind Loftwohnungen mit Spreeblick geplant, die zu Quadratmeterpreisen zwischen 2400 und 2800 Euro verkauft werden können, schätzt Neumüller. Selbst auf bereits vorhandenem Grund wären Lückenschlüsse wie diese "vor fünf, sechs Jahren noch unrentabel gewesen", machten mit den nunmehr erzielbaren Preisen aber Sinn. Dies auch deshalb, weil hier etwas wegfällt, was solche kleinstrukturierten Nachverdichtungsprojekte etwa in Wien immer so besonders teuer macht: Tiefgaragen-Stellplätze. Diese kosten im dicht verbauten Gebiet ein Vermögen.
In Berlin sind sie nicht nötig, weil es hier (anders als in Wien, wo diese kürzlich gelockert, aber nicht abgeschafft wurde) gleich gar keine Stellplatzverpflichtung mehr gibt. Ganz generell gehe in der deutschen Hauptstadt "der Trend eher hin zum Zweit- und Drittfahrrad, jedenfalls ganz klar weg vom Auto", sagt Neumüller.
Fokus auf Berlin
Seit 2005 gibt es die deutsche Tochter der s Immo, sie besitzt aktuell 153 Objekte mit einer Mietfläche von 382.000 m². Genau 101 davon sind reine Wohnobjekte in Berlin; der "Grundstock" dieses Bestands ist ein 2007 vom Filmproduzenten Artur Brauner übernommenes Zinshausportfolio.
Buchstäblich "naheliegend" ist für CEO Vejdovszky deshalb der klare Berlin-Fokus innerhalb Deutschlands, "angesichts der dortigen Chancen" - und auch deshalb, weil man hier schon eine zwölfköpfige Mannschaft vor Ort habe. In Leipzig oder Rostock seien dafür Verkäufe möglich.
Das Unternehmen setzt somit vor allem, aber nicht nur auf Wohnimmobilien. In der Sonnenallee, unweit des S-Bahn-Rings, hat man beispielsweise auch ein altes Büroobjekt - ein Altbau samt Zubau aus den 1990er-Jahren, der als Finanzamt diente - kostenbewusst saniert und nun an Start-ups vermietet, wobei sich ein Musikcluster herausbildete, wie Vejdovszky erzählt. Auch das Lützowcenter am Lützowufer, in dem sich die Deutschland-Zentrale der s Immo befindet, soll demnächst revitalisiert und aufgestockt werden. Die Finanzierung ist kein Problem: "Noch vor zwei Jahren waren die Banken sehr zurückhaltend. Jetzt rufen sie schon bei uns an und sagen, sie würden gerne mit uns ins Geschäft kommen." (Martin Putschögl aus Berlin, DER STANDARD, 4.10.2014)