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Will nur allein regieren: Ex-Premier Boiko Borissow.


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Mahnmal für eine Verzweiflungstat: Ein Steinhaufen vor dem Rathaus von Warna erinnert an die Selbstverbrennung von Plamen Goranow.

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Der Steinhaufen liegt noch vor dem Rathaus. Betonbrocken, Ziegelquader, Pflastersteine - was die Leute eben gefunden haben. Der neue Bürgermeister wagt nicht, ihn wegräumen zu lassen, auch mehr als ein Jahr danach. Ein Treppenaufgang, breit wie eine Opernbühne, führt zum Rathaus, einem Betonbau aus sozialistischen Tagen mit dunkel getöntem, orangefarbenem Glas. Man liebt es großzügig in Warna, der Hafenstadt am Schwarzen Meer.

Plamen Goranow kam an einem kalten Februarmorgen 2013 hierher zum Treppenaufgang, zwei Benzinkanister in der Hand. Bulgarien protestierte schon seit Wochen landauf, landab gegen die Armut und die Oligarchen. Goranow aber wollte sich opfern, so groß war seine Verzweiflung. Er goss sich einen Kanister Benzin über den Kopf, und als er lichterloh brannte, schrie er noch den Namen des Bürgermeisters, der vielen in Warna als Symbol für die Verquickung von Politik und Mafia galt. Der Steinhaufen ist das Mahnmal für Goranow. Manche sagen, die Steine seien eine Erinnerung an den 36-Jährigen, der ein passionierter Bergsteiger war; andere sehen darin einen archaischen Brauch: Dorfbewohner legen Steine vor das Haus des Mächtigen und erklären ihn für vogelfrei.

Boiko Borissow, der konservative Premier, trat noch am Morgen desselben Tages zurück. Bei Kiril Jordanow, dem Bürgermeister, dauerte es ein bisschen länger. Ein Hotelmanager und Mann der Borissow-Partei folgte ihm im Amt nach.

"Armer Kerl", brummt ein Mann und deutet auf Goranows Steinhaufen, "es hat nichts gebracht. Sie machen doch, was sie wollen." Aber so sicher ist das nicht. Sonntag ist wieder Wahltag in Bulgarien. Borissows Comeback steht an, eineinhalb Jahre nach seinem Rücktritt, zwei Übergangsregierungen und einer Koalition, die das Problemland der EU nur tiefer in die Krise ritt.

Bank mit Milliardenloch

Dieses Mal scheint das Volk nicht zu vergessen. Der Steinhaufen ist immer noch da, und so ist es auch mit dem Problem der Intransparenz von Politik und Wirtschaft. Eine Bank mit einem mutmaßlichen Milliardenloch ist dazugekommen. Der Staat erwies sich als unfähig, Sparern bei der faktisch insolventen Corporate Commercial Bank die EU-weit garantierte Entschädigung von bis zu 100.000 Euro auszuzahlen.

"Wählen? Ich verstehe die Bedeutung dieses Wortes nicht. Wen soll ich auswählen unter diesen Politikern?", sagt ein junger Bulgare ironisch, der in einem Buchladen in der Fußgängerzone arbeitet, schräg gegenüber von dem gewaltigen Gebäude des Hotels Schwarzes Meer mit seinem Kasino, dem stiernackigen Männerpublikum und den leicht beschürzten jungen Frauen.

"Ich habe im Sommer letzten Jahres gewählt und bin enttäuscht worden", sagt der Buchhändler und meint damit die Sozialisten, die den Bulgaren mehr soziale Gerechtigkeit versprochen hatten und dann versuchten, einen Medienmogul und umstrittenen Abgeordneten zum Chef der Staatssicherheit zu machen. "Vielleicht geh ich ja am Sonntag zur Wahl, wenn ich Zeit habe. Vielleicht gehe ich auch ins Ausland. Es ist sinnlos hier."

Warna ist eine schwindsüchtige Stadt, im Griff des mächtigen Geschäftsmännertrios TIM, heißt es, so benannt nach den Vornamen der drei - Tihomir, Iwo und Marin. Der Flughafen von Warna gehört ihnen, oder auch eine Bank, in die alle Bulgaren praktischerweise ihre Verwaltungsgebühren einzahlen. Pensionisten mit Baseballmützen und ausgebeulten Jacken schlurfen auf Warnas Straßen entlang. Am Vormittag füllen sich die Cafés mit jungen Arbeitslosen und Unterbeschäftigten. Recht viel hat sich im Stadtbild in den letzten zehn Jahren nicht getan. Längst ist Warna von der kleineren, wirtschaftlich bessergestellten Hafenstadt Burgas überholt worden.

Die Umfragen spiegeln Ratlosigkeit und Frustration der Bulgaren nach der gescheiterten Wende vom Sommer 2013 wieder. 54 Prozent glauben, die Neuwahlen werden nichts im Land ändern. Mehr als die Hälfte hält eine Koalition für besser als eine Alleinregierung. Die aber will Borissow, der Mitte-rechts-Populist, für sich am liebsten. Die Bulgaren werden diesen Winter hungern, wenn er von ihnen keine Mehrheit zum Regieren bekommt, tönte er.

Borissows Partei dürfte über 30 Prozent kommen und könnte dann etwa 110 der 120 Mandate im Parlament erhalten. Den Rest wird am Ende wohl der neue Reformistenblock beisteuern, auch wenn er sich ziert - ein Bündnis rechter Kleinparteien, das während der Proteste gegen die Sozialistenregierung im Sommer 2013 noch als Hoffnung für den demokratischen Neubeginn in Bulgarien gehandelt wurde, sich dann aber zerstritt.

Alles hänge davon ab, ob Borissow die Lektion aus den Protesten gelernt habe, sagt Sasha Bezuhanowa, eine erfolgreiche Unternehmensmanagerin, die ihren Beruf an den Nagel gehängt und moveBG gegründet hat, eine zivilgesellschaftliche Plattform. Einen Stein hat die derzeitige Interimsregierung Borissow vorsorglich aus dem Weg geräumt und knapp zehn Prozent Strompreiserhöhung noch vor der Wahl am Sonntag beschließen lassen. Über Strompreise und Sparkurs ist Borissow schon einmal gestolpert. (Markus Bernath, DER STANDARD, 4.10.2014)