Ein ukrainisches Szenario malten manche lettische Politiker vor den Parlamentswahlen in taktischem Zweckpessimismus an die Wand. Nils Usakovs, Bürgermeister von Riga und Chef des "Harmoniezentrums", hatte es ihnen mit seiner Moskaureise und lobenden Worten über Wladimir Putin leicht gemacht.

Die befürchtete - oder herbeigeredete - Polarisierung blieb aus. Zwar ist das "Harmoniezentrum" weiterhin stärkste Kraft, aber mit deutlichen Verlusten. Offenbar gibt es auch unter den ethnischen Russen, die rund 27 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachen, viele, denen Putins "Heimholungspolitik" nicht geheuer ist.

Dem entspricht auf der "lettischen" Seite der deutliche Stimmengewinn für die liberal-konservative "Einheit" von Ministerpräsidentin Laimdota Straujuma. Mit ihrer besonnenen, ruhigen, völlig uneitlen Art scheint die Regierungschefin auch vielen russischstämmigen Wählern eine Garantin für Verständigung und Kompromiss.

Darin liegt eine Chance. Lettlands ethnisches Problem geht auf die sowjetische Zwangskolonisierung nach 1945 zurück. Das ist ein historisches Faktum. Aber mit Ausgrenzung der russischen Bevölkerung, vor allem der 300.000 "Nichtbürger", die keinen lettischen Pass haben, weil sie nicht ausreichend Lettisch können, ist das Problem nicht zu lösen. Ihre Integration würde nicht nur dem Land nützen. Sie wäre auch ein starkes Signal in Richtung Moskau. (Josef Kirchengast, DER STANDARD, 6.10.2014)