Wien - Was ist für Interpreten schwieriger? Einer ganz neuen Komposition zu plastischer Präsenz zu verhelfen oder einem oftmals gehörten - um nicht zu sagen: abgedroschenen - Klassikhit neues Leben einzuhauchen? Andrés Orozco-Estrada gelang am Samstag im Musikverein beides gleichermaßen: Das Tripelkonzert für Trompete, Posaune, Tuba und Orchester von Bernd Richard Deutsch wirkte so, als sei zeitgenössische Musik das Selbstverständlichste auf der Welt.
Dem mag der Umstand entgegenkommen, dass Deutsch vielfach bei Vertrautem ansetzt, es allerdings lustvoll und intelligent überdreht und seinen Solisten (fulminant: Thomas Bachmair, Andreas Eitzinger und Michael Pircher) aberwitzige Virtuosität abverlangt. Kunstvoll sind die Soloparts mit dem Orchestergeschehen verwoben - die Tonkünstler wirkten so, als hätten sie nie etwas anderes gespielt, etwa unmittelbar zuvor Maurice Ravels zweite Daphnis et Cloé-Suite, die der Dirigent subtil austarierte.
Zum Ereignis des Abends wurde dennoch gerade das Populäre. Antonín Dvoráks 9. Symphonie (Aus der Neuen Welt) klang aber derart frisch, als sollte hier das Diktum Nikolaus Harnoncourts, jede Interpretation eines alten Stücks müsse wie eine Uraufführung wirken, unmittelbar umgesetzt werden.
Die Tempi waren flexibel und straff, jede Phrase schien zu atmen, jede noch so unscheinbare Begleitfigur wurde mit Leben und Sinn erfüllt. Wie nebenbei zeigte Orozco-Estrada sowohl die engen motivischen Zusammenhänge als auch in der stilistischen Hybridität zwischen Folkloristischem und Symphonischem eine frappierende Nähe zu Gustav Mahler.
Fantastisch, wie das Orchester all dem folgte und auch den Raum spontanen Gestaltens mitnutzte, während der Dirigent mit traumwandlerischer Sicherheit einen unmittelbar musikantischen Zugang mit analytischem Scharfsinn verband. Man konnte es schon seit langem ahnen - jetzt ist es allerdings so etwas wie Gewissheit: Dieser Mann hat das Zeug zur Weltklasse. (Daniel Ender, DER STANDARD, 6.10.2014)