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Die Gummihandschuhe an der Wursttheke können im schlimmsten Fall gefährlich werden.

Foto: AP Photo/Rich Pedroncelli

Der Schauplatz: ein Fischgeschäft. Der Verkäufer zieht pflichtbewusst Gummihandschuhe über, schneidet Lachs in Scheiben, kassiert – und setzt dann seine Arbeit am Fisch fort.

Immer häufiger werden im Lebensmittelverkauf Handschuhe getragen. Gesetzlich vorgeschrieben ist das nicht, wie Alexander Hengl vom Wiener Marktamt betont. Aber von den Kunden wird es zunehmend gewünscht: Immer wieder würden sich Menschen bei ihm beschweren, wenn keine Handschuhe getragen werden, so Hengl. "Ich sage dann immer: Seien Sie froh." Er empfiehlt stattdessen das regelmäßige Waschen der Hände. Anstatt mit der Hand sollten Waren außerdem mit Hilfsmitteln wie Gabeln angegriffen werden.

Gefahr bei falscher Anwendung

Die Handschuhe würden lediglich ein "subjektives Gefühl des Schutzes" geben, meint auch Ojan Assadian von der Universitätsklinik für Krankenhaushygiene und Infektionskontrolle am Wiener AKH. Das genaue Gegenteil kann der Fall sein: "Bei falscher Verwendung sind solche Einmalschutzhandschuhe sogar gefährlich."

Denn mit den Handschuhen, die im Handel verwendet werden, werde selbst im besten Fall nur der Träger geschützt. Wenn dieser mit verschmutzten Handschuhen hantiert, werden auch Bakterien übertragen – und mit Handschuhen sogar eher als ohne, wie Studien belegen. So ist die Menge der Bakterien, die bei der Arbeit auf die Hand beziehungsweise den Handschuh gelangen, zunächst gleich. Weil aber die Oberfläche der Handschuhe viel glatter ist als die Haut, werden 10.000-mal mehr Bakterien vom Handschuh wieder abgegeben, erklärt Assadian. Das könne, wenn mehrere Faktoren zusammenkommen, zu einer Erkrankung des Konsumenten führen.

Zurück an die Fischtheke: Es ist wahrscheinlich, dass sich auf dem Geldschein, den der Verkäufer entgegennimmt, Bakterien tummeln – beispielsweise Kolibakterien aus dem menschlichen Darm. "Wenn der Verkäufer dann ohne weitere Maßnahmen zurück zum Fisch geht und diesen ohne vorherige Händehygiene berührt, ist der Fisch kontaminiert", sagt Assadian. Die gute Nachricht: Bei jeder Übertragung reduziert sich die Anzahl der Bakterien. Bis die Koli-Bakterien also beim Fisch angekommen sind, sind nur noch wenige davon übrig, so der Experte.

Diagnose: Bakterielle Lebensmittelvergiftung

Wird der Fisch gekühlt transportiert und später durchgekocht, wird dadurch den Bakterien höchstwahrscheinlich der Garaus gemacht. Wird die Ware aber nicht kühl gelagert, vermehren sich die Bakterien exponentiell. Aus zehn Bakterien werden dann an einem warmen Tag innerhalb von fünf Stunden 500.000.

"Zum Teil finden sehr viele bakterielle Übertragungen statt, die aber oft gar nicht relevant sind", sagt Assadian. Denn entweder sei die Zahl der Bakterien nicht ausreichend, oder es würden die richtigen Maßnahmen getroffen – eben beispielsweise das Durchkochen. "Aber wenn mehrere Faktoren zusammenkommen, kann jemand tatsächlich krank werden." Das passiere jeden Tag in Österreich. Die Diagnose: bakterielle Lebensmittelvergiftung.

Besonders kritisch sieht der Hygienemediziner die locker sitzenden und besonders billigen PE-Folienhandschuhe: "Die haben weder eine Schutzwirkung für den Träger, noch schützen sie den Konsumenten."

Arztserien als Inspiration

Einen Grund, dass immer häufiger zu den Handschuhen gegriffen wird, sieht Assadian in amerikanische Ärzteserien: "Da laufen die Protagonisten 24 Stunden am Tag mit bunten Untersuchungshandschuhen herum. Das schauen sich die Leute dann leider Gottes ab." Selbst in seinem Klinikalltag bemerke er, dass vermehrt Handschuhe getragen werden – ohne dass es dafür eine fachliche Indikation gebe.

Noch vor wenigen Jahren wäre das unvorstellbar gewesen. Bis in die 1990er-Jahre seien Handschuhe in der Medizin kaum zum Einsatz gekommen, sagt Assadian, abgesehen von Bereichen wie der Chirurgie. Geändert habe sich das erst mit dem Beginn der HIV-Epidemie. Damals griff man in der Medizin zunehmend zu den Handschuhen: "Das war ein reiner Schutz vor einer Blutkontamination."

Egal in welchem beruflichem Umfeld sie getragen werden: Ganz unproblematisch sind die Handschuhe auch für die Träger nicht. Wer mit feuchten Händen in die Handschuhe schlüpft, riskiert, dass die Haut aufquillt und damit ihre Schutzfunktion verliert. Auch Allergien sind für viele ein Problem, beispielsweise die Kontaktdermatitis, bei der es zu Rötungen und Schuppenbildungen auf den Händen kommt.

Händewaschen und Hilfsmittel

Den Rückschluss, dass die nackte Hand hygienischer ist als Gummihandschuhe, lässt der Mediziner allerdings nicht gelten: "Die bloße Hand, falsch eingesetzt, führt genauso zu Problemen – und außerdem ist man dann nicht einmal selbst vor einer Kontamination geschützt."

In Betrieben wie dem eingangs erwähnten Fischgeschäft rät Lebensmittelinspektor Hengl den Kunden dazu, die Verkäufer direkt auf ihr Verhalten anzusprechen. Oft ist das Wissen über Handhygiene nämlich nicht vorhanden, sagt Hygienemediziner Assadian. Schlimmer noch: "Das, was vor den Konsumenten passiert, ist zum Teil Show und Hygienezirkus." (Franziska Zoidl, derStandard.at, 15.10.2014)