Ab geht die rote Rakete: Ogris trifft bei der WM 1990 gegen die USA.

Marco Cardelli

Gelingt nicht jeden Tag: ein Tor mit der Ferse gegen den FC Barcelona.

jonathanjackson

Im Wiener Derby war immer was los. Vor allem, wenn Ogris am Platz stand.

Andreas Ogris ist kein Mann großer Worte. Erst recht nicht, wenn es um die eigene Vergangenheit geht. Will man heute mit ihm über seinen fulminanten WM-Treffer gegen die USA sprechen, ist er perplex: "Nicht Ihr Ernst, oder?" Doch, doch. Wie könnte man nur vergessen. Energieanfall, dein Name am 19. Juni 1990 war Andi Ogris.

In der 49. Minute trat Tab Ramos einen Corner für die USA, der Ball wird am kurzen Eck aus der Gefahrenzone geköpfelt und von Gerhard Rodax präzise in den Lauf der mit hellseherischen Fähigkeiten ausgestatteten roten Rakete verlängert. Der Rest spielt sich im sommerlichen Florenz in Zeitraffer ab, die Gegner in Zeitlupe. Drei US-Spieler werden gnadenlos überlaufen, zu Hydranten degradiert. So brutal er diesen Konter lief, so gefühlvoll schloss er ihn ab, mit einem Lupfer ins lange Eck. Ogris hat für seinen Sololauf eine simple Erklärung: "Ich habe gemacht, was ein Fußballer macht: ich bin einfach losgerannt" Aber die Gegner? "Welche Gegner?"

Mit Instinkt

Der Spieler Andreas Ogris war ein Biest, eine Kampfmaschine. Eine Krätzn, die man lieber im eigenen Team wusste. Aber in erster Linie war er ein schlitzohriger Instinktfußballer. So beschreibt er sich selbst, und so beschreibt ihn auch Josef Hickersberger. Und der muss es wissen. Schließlich war er Austria-Trainer, als Ogris 1993 in der Qualifikation zur Champions League die Verteidigung des FC Barcelona narrte: Als die Katalanen eine Situation bereits bereinigt dachten, schob Ogris im Happel-Stadion den Ball mit der Ferse ins kurze Eck. Gegen Hristo Stoitschkov und Co. war für Violett zwar nichts zu holen, die Szene bringt Fußallfeinschmecker aber noch heute zum Schmunzeln.

Die Austria war für Ogris immer Heimat: "Ich habe mir für den Verein den Arsch aufgerissen, ich bin violett bis in die Knochen." Vierzehn Saisonen hat er zwischen 1983 und 1997 am Verteilerkreis absolviert, dabei in 276 Spielen 99 Tore erzielt. Mittlerweile trainiert er die Amateure des Vereins in der Regionalliga Ost. Und schlägt sich dabei besser, als es viele von ihm erwartet hätten. Nach zehn Runden steht seine Mannschaft an zweiter Stelle. Gelernt hat er als Aktiver von den besten der Zunft: im Nationalteam gab er unter Ernst Happel den Kapitän, im Verein spielte er unter Luis Aragones. Ja, jener Aragones, der das spanische Nationalteam 2008 mit Tiki-Taka zur Europameisterschaft führte, lehrte einst den goscherten Ogerl aus Strebersdorf das Spiel. Und zwar in Barcelona. Nicht der große FC hatte Ogris nach der WM in Italien geködert, sondern dessen Lokalrivale Espanol.

"Rekordtransfer!", so titelte die Kronenzeitung als der Stürmer nach Spanien zog. Über Ablösesummen wurde zwar auch damals Stillschweigen vereinbart, Austria-Boss Joschi Walter soll den Spaniern aber auf Anhieb zwölf Millionen Schillinge abgerungen haben. Als weitere Zahlungen fällig wurden, konnte man sich finanziell nicht einigen. Nach einem Jahr, vier Toren und 29 Einsätzen in der Primera Division folgte die Rückkehr nach Wien-Favoriten. Ogris wäre gerne noch geblieben, bei aller Liebe zur Austria hatten auch die Spiele in Camp Nou oder im Bernabeu einen gewissen Reiz. Vor dem Bosman-Urteil war die Situation für Legionäre aber weit weniger einfach, es gab keine Alternative: "Schade, ich hätte gerne länger mit Aragones gearbeitet. Er war ein super Trainer, er hat die Zeichen der Zeit erkannt." Schon damals hätte der Spanier das Kurzpassspiel forciert, natürlich weit weniger erfolgreich als Jahre später mit der Furia Roja.

Coordes und die fünf Minuten

Am Dienstag also feiert Ogris seinen Fünfziger, auch darüber will er nicht zu viele Worte verlieren: "Andere machen sich dazu mehr Gedanken als ich selbst." Zum Beispiel der Verein. Stirn an Stirn posierte er am Samstag mit Didi Kühbauer in der Generali-Arena, eine Reminiszenz an alte Derby-Tage. Die Aggression ist längst einem freundschaftlichen Verhältnis gewichen, sogar Blumen überreichte Kühbauer zum feierlichen Anlass. Beide waren früher Häferln, der eine ist es noch immer, der andere ist merklich ruhiger geworden. Die Arbeit mit dem Austria-Nachwuchs mache großen Spaß, die Spieler nehmen an, wollen sich verbessern: "Es ist wichtig, dass sie diszipliniert sind, ich war es auch". Egon Coordes sah das anders. Der ehemalige Austria-Trainer, sie nannten ihn einen Schleifer, stellte Ogris 1994 aus dem Kader. Er hatte ihn nach einem Testspiel angeblich zu später Stunde an der Bar erwischt. "War alles halb so wild. Ich war um fünf Minuten zu spät", sagt Ogris. Ob er als Trainer mit dem Spieler Ogris Freude gehabt hätte? "Ich denke schon. Ich war nicht immer gut, aber ich habe immer alles gegeben." (Philip Bauer, derStandard.at, 7.10.2014)