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Telfs in Tirol: Das säkulare Europa ist für Muslime ein relativ neues Umfeld. Religion und Kontext zusammendenken - das gilt als eine zentrale Aufgabe der Religionspädagogik.

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Zekirija Sejdini: "Der Islam hat eine sehr reiche Tradition. Diese ist aber ganz woanders und zu einer völlig anderen Zeit entstanden."

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STANDARD: Was macht eine qualitativ hochwertige Religionspädagogik aus?

Zekirija Sejdini: Es gibt einige Kriterien wie etwa ein hohes Bewusstsein für die Besonderheiten religiöser Bildungsprozesse, deren Komplexität sowie deren Biografie- und Kontextbezogenheit. Letztlich geht es aber darum, dass man durch religiöse Bildung zu einer religiösen Mündigkeit gelangt.

STANDARD: Gibt es für die islamische Religionspädagogik noch mal eigene Kriterien, die besonders berücksichtigt werden sollten?

Sejdini: Die spezielle Herausforderung liegt in der Entwicklung einer kontextbezogenen Religionspädagogik, die europäische Zusammenhänge und somit unser säkulares Umfeld berücksichtigt. Diese Betrachtungsweise ist für Muslime relativ neu. Wir müssen zeigen, dass es dieser Kontext ist, der uns überhaupt Religionspluralität ermöglicht, und dass er die Grundlage ist, auf der alle Religionsgemeinschaften als gleichwertig angesehen werden, und das Recht besteht, Religionen auszuüben oder zu studieren. Wir müssen auch zeigen, dass Säkularität keine Verdrängung von Religion, sondern Kooperation und Schutz ist: Schutz der Rechtsordnung, des Staates, aber auch der Autonomie einer Glaubensgemeinschaft.

STANDARD: Also geht es in der Religionspädagogik auch darum, Religion und Kulturtransfer zu verzahnen?

Sejdini: Ja, so könnte man es auch sagen. Der Islam hat eine sehr reiche Tradition, die aber ganz woanders entstanden ist. Zu einer völlig anderen Zeit und auch geografisch weit weg. Nun treffen diese alten Traditionen auf ein komplett neues Umfeld.

STANDARD: Doch gerade jetzt - im Zuge der Verbrechen durch die Terrormiliz "Islamischer Staat" - wird immer wieder kritisiert, dass diese Übersetzungsarbeit zu wenig eingefordert wird und deshalb religiöse Regeln verherrlicht werden, die vor tausenden Jahren gegolten haben.

Sejdini: Dafür habe ich zwei Erklärungen: Erst mal ist es im Allgemeinen - das ist nicht nur bei den Muslimen so - schwer, alte Traditionen neu auszurichten. Neuigkeiten werden in allen Religionen nicht gern angenommen - im Übrigen auch außerhalb von Religionen. Das sind lange Prozesse, die von viel Anstrengung begleitet sind. Das liegt also in der Natur der Sache. Zweitens: Es gibt die falsche Annahme, dass der Islam erst jetzt in einem Kontext interpretiert wird. Doch es gibt keinen ursprünglichen Islam, es gab immer schon spezifische Zusammenhänge. Es ist völlig falsch, anzunehmen, es hätte eine Zeit gegeben, in der der Islam ohne Verbindung zu sozialen und politischen Zusammenhängen interpretiert worden wäre, als hätte Gott in einen leeren Raum gesprochen. Religion wurde immer schon in Sprache gefasst und ist durch eine Kultur bedingt. Das Universelle an einer Religion besteht gerade darin, dass sie auch in neuen Zusammenhängen bestehen kann.

STANDARD: Seit Monaten wird immer wieder von Religionsvertretern des Islam gefordert, zur Terrormiliz IS Stellung zu nehmen. Zu Recht? Oder schürt das nur Vorurteile?

Sejdini: Die breite Mehrheit der Muslime hat damit nichts zu tun. Trotzdem ist es wichtig, sich zu positionieren, um zu zeigen, dass die Muslime es nicht zulassen, dass eine terroristische Gruppe eine lebendige Religion vereinnahmt und für ihre eigenen Zwecke missbraucht. Eine klare Position dazu ist wichtig. Man muss zeigen, dass man das nicht duldet. Das hat meines Erachtens mit einem Generalverdacht nichts zu tun.

STANDARD: Die Islamische Religionspädagogik ist in Österreich noch sehr jung. Welche Forschungsschwerpunkte wird es nun in Innsbruck geben?

Sejdini: Ein Schwerpunkt ist die Entwicklung von theologiesensiblen, religionspädagogischen und religionsdidaktischen Konzeptionen. Wir brauchen auch ein besonderes Verständnis von Theologie, um eine qualitätsvolle Religionspädagogik entwickeln zu können. Es geht um eine Theologie, die sich von der Lebensrealität beeinflussen lässt und nicht nur von oben nach unten wirkt. Daher ist auch in der Theologie empirische Forschung unerlässlich. Durch sie kann die Lebensrealität der Muslime erfasst werden. Wir müssen wissen, über wen wir reden, wenn wir über "die Muslime" reden.

STANDARD: Worauf soll noch fokussiert werden?

Sejdini: Auf die interreligiöse Religionsdidaktik. Wo liegen Gemeinsamkeiten mit anderen Religionspädagogiken - insbesondere mit der katholischen? Wenn beide Religionen den Anspruch haben, friedliche Religionen zu sein, die der Gesellschaft etwas geben - dann müssen wir rausfinden, auf welche Gemeinsamkeiten wir aufbauen könnten. Trotz Unterschieden, die ja weiter bestehen können.

STANDARD: Ethik spielt in jeder Religionspädagogik eine große Rolle. Aber was kann eine religiöse Ethik besser als die, die uns die Philosophiegeschichte zur Verfügung stellt?

Sejdini: Wenn sich Schülerinnen und Schüler zu einer Religion bekennen, kann man durch den Religionsunterricht ethische Werte und Diskussionen einbringen. Ich denke nicht, dass man die philosophischen Ansätze außen vor lassen sollte. Ein guter Religionsunterricht soll sie nicht nur berücksichtigen, sondern sollte diskutieren, wie die ethischen Ansprüche einer Religion und die Ansätze in der Philosophie zusammengehen könnten.

STANDARD: Der Islam und Begriffe wie "Multikulturalismus" werden oft in einem Atemzug thematisiert. Zeigt das, dass Kultur und Religion noch immer als Einheit betrachtet werden?

Sejdini: Ja, diese Differenzierung fehlt, das ist ein Problem. Aber auch innerhalb der Religionen wird nicht differenziert: Die Religion wird als monolithischer Block dargestellt, alle Gelehrten hätten über tausende Jahre dieselbe Meinung vertreten. Das ist wieder diese Annahme, dass es nur eine wahre Interpretation gäbe. Man muss also nicht nur zwischen Kultur und Religion unterscheiden, sondern muss auch die Nuancen der religiösen Tradition berücksichtigen und die Ambiguitäten und Meinungsunterschiede innerhalb des Islam sehen.

STANDARD: Wie könnten diese Nuancen sichtbarer werden?

Sejdini: Man sollte diese verschiedenen Perspektiven einbauen. Zum Beispiel, dass es in der islamischen Tradition eine islamische Mystik gibt, die noch heute sehr stark ist. Das ist aber anstrengend und komplex, und womöglich fehlt auch die Zeit und der Raum für derartige Feinarbeit. Trotzdem darf man es sich nicht zu leicht machen. Diese Differenzierungen sind deshalb so wichtig, damit wir nicht zu Gefangenen einer einzigen Auslegung werden. Denn das ist sehr gefährlich. (Beate Hausbichler, DER STANDARD, 08.10.2014)