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Alexander Sachartschenko will nicht zum "Verräter" unter den prorussischen Separatisten werden, deshalb kündigt er offenbar seinen Rückzug an.

Foto: AP/Grits

Kiew/Moskau - Der Konflikt in der Ostukraine wird wieder schärfer – auch innerhalb des Rebellenlagers: Der "Premier der Donezker Volksrepublik" (DVR), Alexander Sachartschenko, kündigt seinen Rücktritt an und wird zurückgepfiffen.

Drei tote und zwölf verwundete ukrainische Soldaten: Das ist die Bilanz vom Mittwoch. Die Stadtverwaltung von Donezk berichtet zudem von drei bei Bombardements in der Nacht getöteten Zivilisten. "Seit Beginn der Feuerpause am 6. September bis zum 6. Oktober wurden 331 Todesopfer registriert, einige davon können allerdings vor der Verkündung der Waffenruhe getötet worden sein, während ihr Tod erst später festgestellt wurde", heißt es in einer Mitteilung der Vereinten Nationen.

Chef der DVR

Die Daten sprechen für sich. Von Frieden in der Ostukraine kann trotz der Waffenruhe keine Rede sein. Das räumt Sachartschenko sogar offen ein: Seit der Abmachung hätten seine Truppen 38 Ortschaften eingenommen, sagte er in einem Interview mit der russischen Zeitschrift "Expert". "Wir haben nur zurückgeschossen", sagte er und wischte so den Einwand fort, dass die Rebellen damit den Waffenstillstand gebrochen hätten.

Sachartschenko ist einer der einflussreichsten Separatistenführer. Am 9. November, zwei Wochen nach der geplanten Parlamentswahl in der Ukraine, will der 38-Jährige sich zum Chef der DVR wählen lassen. Es wären die ersten Wahlen auf dem von prorussischen Rebellen besetzten Territorium in der Ostukraine, die alle von Kiew initiierten Abstimmungen blockieren. Neben Sachartschenko bewerben sich auch "DVR-Vizepremier" Andrej Purgin und der ehemalige "Volksgouverneur" von Donezk, Pawel Gubarew, um das Amt.

Vor allem Gubarew gilt als wesentlich radikalere Variante gegenüber Sachartschenko, der in Minsk das Waffenstillstandsabkommen unterzeichnete. Gubarew bezeichnete die Abmachungen als Verrat und fordert die Wiederaufnahme der Kämpfe.

Rücktrittsandrohung, um zu bleiben

Möglicherweise, um die Hardliner hinter sich zu scharren, hat Sachartschenko in dem Machtkampf mit seinen radikalen Kontrahenten nun die erste Attacke gestartet. "Ich habe gerade mein Rücktrittsgesuch geschrieben", zitierte ihn der "Expert" am Mittwoch. Der "Premier" begründete den Schritt mit der bevorstehenden neuen Verhandlungsrunde in Minsk. Dort werde Druck auf ihn ausgeübt werden, weitere Kompromisse zu unterzeichnen. "Wenn ich jetzt nicht zurücktrete, werde ich zum Verräter", sagte er.

Sachartschenko machte damit klar, dass er zu weiteren Zugeständnissen nicht bereit sei, und übertrug die Verantwortung für die bei weiten Teilen der Rebellenmilizen unbeliebten Minsker Konzessionsentscheidungen an Moskau.

Kein Kommentar zu Rücktrittsgesuch

In Donezk reagierte man nervös auf einen möglichen Rücktritt Sachartschenkos: Oleg Zarjow, ein ehemaliger Vertrauter Wiktor Janukowitschs, der von den Rebellen zum "Parlamentschef Neurusslands" erklärt wurde, dementierte die Abdankung. "Er bleibt weiter im Amt und ist am Arbeitsplatz", sagte Zarjow. Ob Sachartschenko ein Rücktrittsgesuch geschrieben habe, wollte er allerdings nicht kommentieren.

Laut Purgin handelt es sich um ein Missverständnis. "Ich glaube, er wurde einfach falsch verstanden", sagte Purgin. Sachartschenko bleibe die wichtigste Person in Donezk.

Mit seinem Schachzug hat Sachartschenko offenbar die Führung der Separatisten gezwungen, Farbe zu bekennen. Die Treueschwüre deuten darauf hin, dass er sein Ziel erreicht hat. Allerdings lässt die gewählte Taktik Sachartschenkos vermuten, dass zumindest bis zum November keine Entspannung zu erwarten ist. (André Ballin, derStandard.at, 8.10.2014)