Bild nicht mehr verfügbar.

2014 spielen weltweit bereits 1,2 Milliarden Menschen Videospiele. Dabei hat sich die Zielgruppe in gleichem Maße vervielfältigt wie die gebotenen Inhalte - die Früchte eines kulturellen Aufstiegs.

Foto: Reuters / Ina Fassbender

Wenn die Besucher der achten Game City (10. bis 12. Oktober) zu Tausenden durch die Hallen des Wiener Rathauses marschieren, tauchen sie in all das ein, was heute unter dem Begriff Videospiele verstanden wird: ein Medium, das einen rasanten Aufstieg hinter sich hat und heute im politischen Zentrum einer europäischen Hauptstadt als das gefeiert werden kann, zu dem es in den vergangenen Jahrzehnten geworden ist, als Medium, das als Sonderform nicht nur alle vorangegangenen Medien vereint, sondern sich kulturell auch auf Augenhöhe mit Film, Musik und Literatur präsentiert.

Durch die Tore in die Schmidt-Halle zu den behutsam gepflegten Ausstellungsstücken der Retro-Ecke hineingehend, wird man an die rudimentären Anfänge erinnert. Alles begann mit nicht viel mehr als zwei Strichen und einem Punkt, der als symbolischer Tennisball über einen Röhrenbildschirm flog. Von da an erfolgte mit der Kommerzialisierung in den 1980er-Jahren ein technischer Aufschwung, der die Möglichkeiten ins Unvorstellbare trieb.

Bereits in dieser frühen Phase wurden mit ersten Netzwerkspielen und einfachen 2-D- und dann 3-D-Grafiken die Grundsteine für die Fabelwelten moderner PCs und Spielkonsolen gelegt. Durch den kreativen Entfaltungsdrang und den technischen Fortschritt ist eine Industrie entstanden, die den Marktforschern von DFC Intelligence zufolge bis 2018 einen weltweiten Jahresumsatz von 100 Milliarden Dollar übersteigen wird. Schon jetzt spielen Games mehr Geld ein als Kinofilme und Musikverkäufe zusammen.

Tanz der Vielfalt

Zu verdanken ist dies einer immer schneller voranschreitenden Diversifizierung der Angebote und ihrer Konsumenten. Im Festsaal des Rathauses ist dieser Tanz der Vielfalt zu bewundern. Immer spektakulärer und realer anmutende Blockbuster buhlen um Rekordverkäufe, ein knallhartes Geschäft, das über die vergangenen zehn Jahre viele Herausgeber die Existenz gekostet hat, die den Sprung an die Weltspitze nicht geschafft haben.

Große Franchises werden immer größer und verschlingen Unsummen an Produktionskosten. Mehr als 230 Millionen Dollar sollen es beim Gangsterepos GTA 5 gewesen sein, gar 500 Mio. Dollar werden für die Scifi-Shooter-Serie Destiny investiert. Finanzielle Gewaltakte, die jedoch keine Konzentrierung des Marktes hervorriefen, sondern das Aufblühen einer inspirierten Independent-Szene.

Neben den Mammutprojekten sprießen 2014 fast täglich neue Kleinproduktionen aus dem Boden, die dank der Digitalisierung der Vertriebswege, neuer Finanzierungsmodelle wie Free2Play oder Early Access und neuer Plattformen wie Web, Smartphones und Tablets, aber auch besserer Tools für PC und Konsole heute ein Millionenpublikum erreichen.

Dadurch erweitert sich die einstige Nische Games zum Massenphänomen. Einer Studie von spilgames zufolge spielen bereits 1,2 Mrd. Menschen am PC, auf Konsole und immer öfter auf mobilen Endgeräten, dem größten Wachstumsmarkt der Branche. Laut den Analysen der amerikanischen Entertainment Software Association und dem deutschen Bundesverband für Interaktive Unterhaltungssoftware ist seit 2013 fast jeder zweite Gamer weiblich und im Schnitt über 30 Jahre alt.

Massenphänomen Games

Ob man sich zum Teil der Kernspielerschaft zählt oder gelegentlich in der U-Bahn zockt: Jeder sechste Bewohner dieses Planeten darf sich heute als Gamer bezeichnen - mit all den Enthusiasten, die zu einer lebendigen Szene dazugehören. Von den Cosplayern, die im Arkadenhof stolz die Kostüme ihrer virtuellen Ikonen zur Schau tragen bis zu den E-Sportlern in der Volkshalle, die international um Millionenbeträge wetteifern - oder zumindest davon träumen.

Gleichzeitig bringt das Stürmen und Drängen in alle Richtungen ein Erwachsenwerden mit sich. Suchten Entwickler und Fans Ende der 1990er- und Anfang der 2000er-Jahre noch passiv über Fachmagazine einen Weg des Austauschs, ist die Kommunikation nun unmittelbar geworden. Spieler werden als "Let's Player" selbst zu Medienschaffenden, Designer geben in Blogs Einblick in ihre Arbeit, analytische Tests werden gegen subjektive Rezensionen auch in Breitenmedien getauscht, Hersteller holen sich Feedback über soziale Medien und lassen sich Projekte auch über Crowdfunding direkt von der Community finanzieren. Selbst die Entwicklergarage ist heute ein globaler Ort.

Nicht zuletzt hat sich dadurch die Art, wie wir über Videospiele sprechen, verändert. Die Wertungskästen und technische Aufdröselung von Games gibt es immer noch, genauso wie das liebenswert Nerdige. Aber immer öfter werden Inhalte diskutiert. Es wird ber Erfahrungen, Story und Gameplay-Experimente anstelle von Polygonen wird gesprochen, über dargestellte Gewalt, Sexismus und die Gefahr politischer Korrektheit wird debattiert. Denn ohne Kritik gibt es keine Weiterentwicklung.

Nach der technikfokussierten Adoleszenz steht bei Games heute das im Mittelpunkt, was auch alle anderen Kulturgüter unverzichtbar macht: Emotionen. (Zsolt Wilhelm, derStandard.at, 11.10.2014)