La Paz - Minutenlang flackert nur das Gesicht von Evo Morales über den Fernsehbildschirm. Der Präsident Boliviens eröffnet Industriestätten, schüttelt die Hände der Menschen am Straßenrand oder hält Reden. Wie eine Nachrichtensendung zeigt das bolivianische Fernsehen die Wahlkampftour des amtierenden und wiederkandidierenden Staatsoberhauptes – und sogar in der anschließenden Sportsendung ist die Expertise von Morales gefragt. Immerhin spielt er ja auch selbst Fußball.

Manche der Männer und Frauen vor dem Fernseher machen Scherze über die nicht gekennzeichnete Dauerwerbesendung. "Vor der Wahl am Sonntag wird noch alles eröffnet, was halbwegs fertig ist", kommentiert eine Frau sarkastisch. Der Konsens der Gruppe bleibt aber: "Wen sollte man sonst wählen?"

Vorsprung in den Umfragen

Die Mehrheit der bolivianischen Wahlberechtigten wird bei der Präsidentschafts- und Parlamentswahl dem 55-jährigen Evo Morales zu einer dritten Amtszeit verhelfen. In den letzten Umfragen vor der Wahl liegt das erste indigene Staatsoberhaupt des Landes bei knapp 60 Prozent. Damit wäre er bereits im ersten Urnengang wiedergewählt, eine Stichwahl wäre nicht mehr nötig. Sein erster Verfolger, der Zementtycoon Samual Doria Medina, steht bei gerade einmal 13 Prozent. Die restlichen drei Kandidaten schneiden noch schlechter ab.

Das mag vor allem auch mit der Präsenz des Gesichtes von Evo Morales und seiner Partei "Movimiento al Socialismo", kurz MAS, zusammenhängen. In La Paz, dem höchsten Regierungssitz der Welt, lächelt "Evo" als Graffiti von Hausmauern, schüttelt auf Wahlplakaten die Hände der örtlichen Parteivorsitzenden oder wurde einfach nur mit dem Schriftzug "Evo hält seine Versprechen" auf einer Ziegelwand verewigt. Alle paar Straßenecken sucht ein vergleichsweise kleines Plakat einer Oppositionspartei die Aufmerksamkeit der geschäftigen Passanten in der 800.000-Einwohner-Stadt.

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Ein Anhänger des Präsidenten beim Wahlkampfende in El Alto am Mittwoch.
Foto: AP Photo/Juan Karita

Starke Wirtschaft

Abgesehen von den fehlenden Werbemöglichkeiten in den Medien des Landes, von denen die meisten dem Staat gehören oder staatsnah sind, haben die Oppositionsparteien zu wenig Profil, um Morales gefährlich werden zu können, sagt Carmen Beatriz Ruiz. Die Menschenrechtsexpertin und Journalistin stellt fest, dass sich von den vier Oppositionsparteien nur eine rechtspopulistische Partei wirklich vom Präsidenten unterscheidet. "Die anderen sind eine Soft-Version von Morales. Da sehen die Leute nicht ein, warum sie dann nicht gleich ihn wählen sollen, wenn es ihnen doch seit seinem Amtsantritt besser geht."

Tatsächlich hat sich die wirtschaftliche Lage des ärmsten Landes Südamerikas seit der ersten Wahl von Morales im Jahr 2005 stark gebessert. Allein im vergangenen Jahr wuchs die Wirtschaft um 6,5 Prozent, was der stärkste Wert in der Region ist. Das Budget ist ausgeglichen, und die Regierung verteilt großzügig Bonuszahlungen an die 10,7 Millionen Bolivianer. So wurden den Beamten und vielen Angestellten in der Privatwirtschaft doppelte Boni am Ende des Jahres ausbezahlt. Das entspricht zwei Monatsgehältern.

Experten sehen den wirtschaftlichen Aufschwung Boliviens aber nicht so sehr in der Arbeit von Morales' Regierung begründet, sondern in den gestiegenen Rohstoffpreisen am Weltmarkt. Vor allem der Export von Erdgas, der wichtigsten Industrie des Landes, spült Geld in die Kassen der Regierung. Die Bevölkerung selbst sieht das nicht so. Für sie ist "Evo" die Galionsfigur des Erfolgs.

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Evo Morales als Galionsfigur der indigenen Volksgruppen Boliviens.
Foto: REUTERS/David Mercado

Indigener Stolz

Die 56-jährige Andrea Lopez Rojas steht auf ihrem Hof in dem kleinen Ort Larahy Chico, nahe der Cochabamba, der viertgrößten Stadt Boliviens. Gemeinsam mit ihrem Mann, ihren Kindern und Enkelkindern betreibt sie eine kleine Landwirtschaft und kann damit gerade einmal ihre Familie ernähren. Ihre Tracht der Quechua trägt sie dennoch täglich mit Stolz.

Unter Morales wurden die 36 indigenen Volksgruppen offiziell anerkannt, Beamte mussten binnen zweier Jahre eine der drei indigenen Sprachen lernen. Die bunten Kleider und kleinen Hüte kehrten zurück in die Öffentlichkeit des Landes. "Ich werde am Sonntag Evo wählen, weil es nun Abgeordnete in den politischen Einrichtungen gibt, die ihre Tracht tragen", erzählt Lopez Rojas. Etwas, das noch vor einigen Jahren undenkbar gewesen wäre. Gleichzeitig stellt die Frau, deren Gesicht von der harten Arbeit auf dem Land gezeichnet ist, die Frage in die Runde: "Wem soll ich eurer Meinung nach stattdessen meine Stimme geben?"

Plurinationaler Staat

Die Integration der indigenen Bevölkerung wird durch alle Bevölkerungsschichten hindurch als wichtigste Errungenschaft der Regierung Morales angesehen. Sie wurde möglich, weil im Jahr 2009 eine neue Verfassung verabschiedet wurde, die Bolivien fortan als "plurinationalen Staat" definiert. Eine Staatsform, die der Diversität des Landes gerecht werden soll.

Die Journalistin Carmen Beatriz Ruiz war an der Ausarbeitung der Verfassung beteiligt und nennt die positiven Veränderungen, die durch das Schriftstück möglich gemacht wurden. So werden etwa seitdem die Länder- und Stadtregierungen nicht mehr von der Regierung bestellt, sondern in eigenen Wahlen gewählt. Es wurde den kleineren Verwaltungseinheiten außerdem möglich gemacht, eigene Gesetze zu erlassen. Und: Indigene müssen bei Projekten, die sie betreffen, um ihre Zustimmung gefragt werden. "Das macht die Regierung aber nicht", kritisiert die Journalistin.

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Angehörige der indigenen Volksgruppen marschieren gegen den Bau einer Straße auf geschütztem Gebiet.
Foto: REUTERS/David Mercado

Indigener Präsident

Paradebeispiel dafür ist ein Straßenprojekt, das durch den Nationalpark und Indigenenschutzgebiet Isiboro-Secure führen sollte. Die Abkürzung für das Projekt "TIPNIS" steht dabei für die Unterdrückung der indigenen Rechte, die durch Blockaden und Märsche den Bau seit 2009 verhindern. Am 25. September 2011 wurde eine dieser Demonstrationen von Sicherheitskräften gewaltsam aufgelöst, mehrere Menschen wurden verletzt.

Bis heute ist nicht klar, wer den Auftrag für die Niederschlagung des Protests gegeben hat, erzählt Juan Carlos Salazar del Barrio, Chefredakteur der unabhängigen Tageszeitung "Página Siete". Für ihn ist unerklärlich, dass weder Evo Morales noch dessen Vizepräsident wissen, was damals geschehen ist. "Morales ist zwar der erste indigene Präsident des Landes, aber gleichzeitig auch der erste demokratisch gewählte Präsident, während dessen Amtszeit Indigene unterdrückt wurden", sagt Salazar del Barrio.

Korruptionsvorwürfe

Morales selbst lässt sich öffentlich lieber als Brückenbauer zwischen den Volksgruppen zeigen. So wundert es auch nicht, dass gemeinsam mit der Eröffnung der zweiten Linie der Seilbahn in La Paz, die den Regierungssitz auf 3.500 Meter mit der Nachbarstadt El Alto auf etwas mehr als 4.000 Meter verbindet, Graffitis rund um die Stationen zu finden sind. "Evo" würde "Herzen verbinden" und für eine noch sicherere und schnellere Verbindung sorgen. "Evo" halte eben seine Versprechen.

Verbunden mit der Auftragsvergabe an das österreichische Unternehmen Doppelmayr erhoben unabhängige bolivianische Medien Korruptionsvorwürfe. Der Präsident ließ den Großauftrag ohne vorherige Ausschreibung vergeben. So passiert auch beim Ankauf des offiziellen Präsidentenflugzeugs, das für rund 31,5 Millionen Euro angekauft wurde. "Staatliche Aufträge dürfen nur im Notfall direkt vergeben werden", kritisiert Salazar del Barrio: "Auch wenn es hier keine Korruption gegeben hat, so sind es doch sehr fragwürdige Käufe."

Dritte Amtszeit

Fragwürdig war für manche Experten, unter ihnen auch Ex-Präsident Carlos Mesa, die mögliche Wiederwahl des Präsidenten Morales am Sonntag. Eigentlich dürfte er laut Verfassung nur zwei Amtszeiten ausführen. Die Wahlkommission, die der Regierung untersteht, genehmigte aber eine dritte Amtszeit, da durch die Einführung der neuen Verfassung die erste Wahl von Morales nicht zähle. Die erste Amtsperiode regierte der Präsident mit einfacher, seine zweite Amtszeit mit absoluter Mehrheit.

Fragt man politische Beobachter, wie lange Morales noch regieren möchte, so sind sich alle einig, dass es wohl länger als bis Ende der kommenden Amtsperiode im Jahr 2020 sein wird. "Ich glaube an sein Ziel 2025, denn dann feiert Bolivien 200 Jahre Unabhängigkeit", sagt Salazar del Barrio. Graffitis an den Hauswänden sprechen sogar von "per siempre" – also für immer. (Bianca Blei aus La Paz, derStandard.at, 9.10.2014)