Die Familienschubhaft in der Zinnergasse in Wien-Simmering. Hier im Erdgeschoß lebt Familie D. - ohne Krankenversicherung und ohne jeglichen Geldbezug von der Hand in den Mund.

Foto: Robert Newald

Wien - Als die frühere Innenministerin Maria Fekter (ÖVP) Anfang 2011 die Familienschubhaft in der Wiener Zinnergasse eröffnete, war deren Zweck klar umrissen: Familien mit Kindern, die unmittelbar vor der Abschiebung stehen, sollten die letzten Tage in Österreich nicht im Gefängnis, sondern in möglichst familiengeeigneter Umgebung verbringen.

Für die Langzeitunterbringung von Fremden schien das gelb getünchte Gebäude im äußersten Südostens der Bundeshauptstadt nicht geeignet - auch nicht im gelinderen Mittel im Erdgeschoß, wo die Untergebrachten, im Unterschied zum geschlossenen Bereich in den Stockwerken, bei Tag Ausgang haben. Dass dort eine Familie mit kleinen Kindern Monate über Monate verbringen werde, ohne dass es zu einem Abschiebeversuch gekommen sei, war nicht vorherzusehen.

Tägliche Meldepflicht

Genau das jedoch ist nunmehr Familie D. (Name der Redaktion bekannt) geschehen: Vater Ruslan (32), Mutter Elina (26) sowie den Kindern Adam (8), Aidima (7), Ibrahim (6), Jusuf (3) und Aysa (1). Seit 23. Jänner 2014 leben die 2007 als Flüchtlinge nach Österreich gekommenen Tschetschenen in zwei Zimmern der Familienschubhaft, mit der Anordnung, sich jeden Abend bei der Polizei im Quartier zu melden.

Einmal täglich bekommen sie zu Essen: warme Speisen für den ganzen Tag, die die Kinder aber verweigern. Doch Geld, um Lebensmittel oder anderes zu kaufen, erhalten sie keines: weil sie nicht in der Grundversorgung, sondern - eben - in einer Schubhaft sind. Daher sind sie auch nicht krankenversichert: Sollten ernste Gesundheitsprobleme auftauchen, müsste die Polizei die Behandlungskosten tragen.

Auf Hilfe des Bruders angewiesen

Wie meistert eine siebenköpfige Familie in einer solchen Lage ihren Alltag? Ohne finanzielle Hilfe seines Bruders, der als anerkannter Flüchtling in Wien lebt, wären sie verloren, schildert Vater Ruslan D. Wintergewand für die Kinder, Schultasche und Hefte für den achtjährigen Adam seien nur mit privaten Zuwendungen leistbar. Da ihnen Geld für Öffi-Fahrten fehle, verbrächten sie die Tage untätig in der von Firmengeländen und Einkaufzentren geprägten Umgebung.

Susanne Singer, Anwältin der Familie, sieht hinter dem fortgesetzten gelinderen Mittel einen Behördenplan: "Die Familie soll ausgehungert werden, sodass sie Österreich aus Eigenem verlässt", meint sie. Tatsächlich wurde den D.s bereits mehrfach bescheinigt, dass sie hierzulande keinen internationalen Schutz bekommen: nach ihrem ersten Asylantrag 2007 erstmals 2009.

Schon fünf Asylanträge

Da eine Rückkehr nach Russland laut Ruslan D. "zu gefährlich" wäre, reisten sie daraufhin in die Schweiz; ihr dortiger Asylantrag endete abschlägig. Laut der EU- weit geltenden Dublin-Verordnung wurden sie nach Österreich zurückgeschoben - wo sie erneut einen Antrag stellten: Auch er wurde abgelehnt. Also wichen sie nach Deutschland aus. Wegen der Dublin-Verordnung mussten sie erneut nach Österreich zurück.

Hier, so Singer, sei nun noch die Berufungsentscheidung im insgesamt fünften Asylverfahren ausständig. Diese komme und komme nicht. Doch bis zu diesem Spruch seien die D.s weiter Asylwerber. Dass sie im gelinderen Mittel statt in Grundversorgung leben müssten, sei ihr "sachlich unverständlich".

"Zweck der Schubhaft noch nicht erreicht"

Das sieht man im Innenministerium anders: Im Fall der D.s sei der "Zweck der Schubhaft noch nicht erreicht", meint dort ein Sprecher. Aufgrund einer früheren Asylablehnung seien sie abschiebbar. Aus Polizeikreisen ist zu erfahren, dass es bisher unmöglich gewesen sei, Rückreisepapiere für die Familie zu erhalten. Auch werde seit Kurzem von Amts wegen" eine Überstellung in ein Asylquartier geprüft.

Indes haben private Unterstützer eine Petition für die Familie gestartet. (Irene Brickner, DER STANDARD, 10.10.2014)