Diabetiker können mit MySugar ihren Alltag dokumentieren. Die SVA übernimmt seit kurzem die Kosten für das zugehörige Online-Therapie-Portal.

Foto: MySugr

Das Metria-Pflaster sammelt verschiedene Daten, die in der zugehörigen App aufbereitet werden.

Stylische Fitness-Welt: Im Werbevideo für die Apple Watch zeigt das Unternehmen, wie das Gadget rund um die Uhr zur Erfassung diverser Daten getragen wird.

Apple

Am Morgen fällt Lisas erster Blick auf das Smartphone: eine App zeigt an, dass sie schlecht geschlafen hat. Die Daten kommen von einem Fitness-Armband, das nicht nur Lisas Schlaf überwacht, sondern auch beim Jogging dabei ist. Es misst wo und wie schnell sie gelaufen ist, wie hoch ihr Puls dabei war. Sie trägt es 24 Stunden am Tag. Was sie zum Frühstück isst, tippt Lisa in eine App ein. Auch Zigaretten, jede Tasse Kaffee und der Rotwein am Abend werden protokolliert.

Es läuft gut - auch für Hersteller von Fitness- und Gesundheits-Apps. Mit jedem Laufschritt werden persönliche Daten weitergeleitet.
Illustration: Fatih Aydogdu

Die Aufzeichnung von Körperaktivitäten und Gesundheitswerten ist Trend. Wir analysieren uns selbst und eine ganze Branche hängt am Datentropf.

Digitale Schaltzentralen für die Fitness

Schätzungen zufolge gibt es bereits über 100.000 Apps in dem Bereich. Sie reichen von simplen Diättagebüchern bis zu Anwendungen, die versprechen mittels Smartphone-Kamera Hauterkrankungen zu erkennen. Mit der App Klara etwa können Nutzer Hautprobleme fotografieren und zur Ferndiagnose an Ärzte schicken. Innerhalb von 48 Stunden gibt es eine Antwort. Das Metria-Pflaster wiederum erfasst verschiedene Vitalwerte wie Körpertemperatur und Schlafzeiten und ermöglicht nach Angaben des Herstellers Medisana sogar ein Sieben-Tage-Elektrokardiogramm (EKG). Die Werte werden in der dazugehörigen App aufbereitet.

Schaltzentralen für Gesundheits- und Fitnessdaten sind am besten Weg fixer Bestandteil von Smartphone-Betriebssystemen zu werden. Apple Health, Google Fit und Microsoft Health übernehmen Werte verschiedener Apps und von externem Zubehör. Je nach Plattform werden unter anderem körperlicher Aktivität, Ernährung, Blutwerte, Vitalzeichen wie Atemfrequenz oder Körpertemperatur oder Stresslevel analysiert.

In den USA arbeitet Apple bereits mit ersten Kliniken zusammen. Auf Wunsch des Patienten werden die Daten an den behandelnden Arzt übermittelt. Nahezu jeder Smartphone-Hersteller hat bereits Fitness-Tracker und Smartwatches vorgestellt, die mit Sensoren zur Aufzeichnung von Körperaktivitäten ausgestattet sind.

Die Pharmaindustrie zeigt reges Interesse an den Apps. Der deutsche Konzern Bayer hat das Programm Grants4Apps ins Leben gerufen, bei dem Startups finanziell unter die Arme gegriffen wird. Ziel ist die Entwicklung neuer Gesundheits-Anwendungen. Zu den 2013 unterstützten Unternehmen gehört auch Goderma, Entwickler der Hautanalyse-App Klara. Ein lukratives Geschäft. Das US-Marktforschungsunternehmen MarketsandMarkets ging 2013 davon aus, dass der Gesamtmarkt mit Gesundheits-App und -Gadgets bis 2018 ein Volumen von 20,7 Milliarden US-Dollar erreichen wird.

Google, Apple und Microsoft wollen Schaltzentralen für Fitness- und Gesundheitsdaten auf mobilen Geräten verankern. Im Bild: Google Fit.

Mehr Körper- und Gesundheitsbewusstsein

Die Apps können zu einem stärkeren Körper- und Gesundheitsbewusstsein beitragen. Wenn Lisa weiß, wieviele Schritte sie täglich zurücklegt, kann sie sich anspornen das eine oder andere Mal auf die Straßenbahn zu verzichten und zu Fuß zu gehen. Chronisch erkrankten Personen können Apps helfen, Vitalwerte im Auge zu behalten. Das oberösterreichische Start-up Vidamon bietet eine App, die Blutdruck, Blutzucker, Gewicht, Herzfrequenz und Bewegungsaktivität misst. Die Werte werden an ein Online-Portal geschickt und aufbereitet. Auf Wunsch können Patienten die Daten an medizinische Einrichtungen weitergeben. Das Unternehmen arbeitet etwa mit mehreren Reha-Kliniken und Einrichtungen zur Seniorenbetreuung zusammen. Für Diabeter bietet sich die Plattform MySugr an, deren Kosten mittlerweile sogar von der Sozialversicherung der gewerblichen Wirtschaft (SVA) übernommen werden.

Der Gang zu Arzt kann nicht ersetzt werden, doch können gewisse Apps die Aufmerksamkeit der Nutzer auf gesundheitliche Probleme lenken. So haben Forscher der Universitätsklinik München in einer aktuellen Studie herausgefunden, dass die App SkinVision mit einer relativ hohen Genauigkeit gefährlich veränderte Muttermale erkennt. Zwar deutlich schlechter als der Dermatologe, aber gut genug, um überhaupt auf potenziellen Hautkrebs hingewiesen zu werden.

SkinVision kann gefährlich veränderte Muttermale erkennen. In einer Studie wurde der App eine hohe Genauigkeit bescheinigt.
SkinVision

Sparprogramm für Firmen

Doch die Selbstanalyse hat eine Kehrseite. Denn die Informationen, mit denen die Apps gefüttert werden, bleiben nicht nur in den Händen von Lisa. "Die meisten Anbieter von derartigen Geräten und Apps arbeiten momentan wie wild an ihren zukünftigen Geschäftsmodellen, kooperieren im Rahmen von betrieblichen Vorsorgeprogrammen mit großen Unternehmen und verhandeln mit Versicherungen", sagt Wolfie Christl vom Wiener Forschungsinstitut Cracked Labs. Im Auftrag der Arbeiterkammer hat er im November 2014 die Studie "Kommerzielle digitale Überwachung im Alltag" veröffentlicht und dabei auch Gesundheits-Anwendungen unter die Lupe genommen. Mit dem Browser-Game "Data Dealer", für dessen Idee und Story er verantwortlich zeichnet, zeigt Christl spielerisch, wie mit solchen Daten gehandelt wird.

Fitbit, Weltmarktführer bei Fitness-Armbändern, verspricht Unternehmen etwa weniger Krankentage, geringere Gesundheitskosten und eine höhere Mitarbeiterproduktivität. Laut der Studie haben unter anderem der Ölkonzern BP und die Softwarefirma Autodesk die Armbänder kostenlos an Mitarbeiter verteilt. Einzelne Abteilungen können damit auch in Konkurrenz um die höchste Fitness treten.

Der Trend schwappt allmählich nach Europa. So plant Versicherungskonzern Generali 2015 in Deutschland und Frankreich einen Tarif für Lebens- und Krankenversicherung zu starten, der per App aufgezeichnete sportliche Aktivitäten, Vorsorgetermine und Ernährung berücksichtigt. Neben Gutscheinen für Fitnessstudios soll es später auch Rabatte geben. Nach Österreich wird das neue Produkt in der Form allerdings nicht kommen. Eine individuelle Anpassung der Prämie ist hierzulande verboten.

"Data Dealer" wählt einen spielerischen Zugang zum Thema Datenhandel.
Data Dealer

Weg der Daten nicht immer nachvollziehbar

Wie solche Daten verwertet werden, ist mitunter schwer nachzuvollziehen. So versichert Fitbit in seiner Datenschutzerklärung etwa, dass keine Daten an Dritte weitergegeben werden, durch die der Nutzer identifiziert werden könnte. Allerdings werden die anonymisierten Werte etwa zu Forschungszwecken verkauft. Und: im Falle einer Übernahme des Unternehmens könnten die Daten auch weiterwandern. "Wir sollten ganz genau hinsehen, bevor wir derart sensible Daten über unseren Körper freiwillig an Unternehmen weitergeben, bei denen nicht zu hundert Prozent klar ist, was damit in Zukunft passiert", so Christl.

Auch der deutsche Datenanalyst Markus Morgenroth warnt vor einem Wildwuchs bei der Datenweitergabe. In seinem Buch "Sie kennen dich! Sie haben dich! Sie steuern dich! Die wahre Macht der Datensammler" hat er Beispiele zusammengetragen, wie die Daten eine Milliardenbranche befeuern. So sammelt etwa die US-amerikanische Firma Acxiom in zahlreichen Ländern zu Marketing-Zwecken Daten über die Bürger. Das Unternehmen ist auch im Bereich Healthcare tätig. Es bietet nach eigenen Angaben unter anderem "Informationen zu Bevölkerung, Haushalten, Beschäftigung und Kaufkraft" sowie " Diagnosepotenziale, kombiniert mit soziodemografischen, -ökonomischen, -psychologischen und raumbezogenen Daten" für die Zielgruppenansprache an. Etwa für personalisierte Werbeeinblendungen.

Datenschutz

Der deutsche Datenanalyst Markus Morgenroth zeigt in seinem Buch auf, wie Daten zu Geld gemacht werden und welche Macht Unternehmen damit besitzen.
Foto: Verlag Droemer

Zwar gibt es in Europa noch relativ starke Datenschutzgesetze, die einen Zugriff der Arbeitnehmer auf solch sensible Daten verhindern. Die Industrie betreibe jedoch intensive Lobbyarbeit, so Morgenroth. Man könne nicht einschätzen, wie es in zehn oder 15 Jahren um den Datenschutz bestellt sei. Vor allem vor kleineren App-Entwicklern in den USA, wo es einen schwächeren Schutz für persönliche Daten gebe, warnt Morgenroth: "Wer weiß schon, wie das jetzt gerade angesagte kleine Unternehmen, das meine Gesundheits-App programmiert hat, in zwei Jahren mit meinen Daten macht?"

Ein heimisches Unternehmen, das bereits auf dem Radar von Versicherungen aufgetaucht ist, ist das Linzer Unternehmen Runtastic. Mit Apps zum Joggen, Radfahren und diversen Fitness-Übungen ist Runtastic in wenigen Jahren zu einem der bekanntesten Anbieter in dem Bereich avanciert. Die Daten werden laut Mitgründer und CEO Florian Gschwandtner jedoch nicht an Dritte weitergegeben. Man habe zwar mit ein paar Versicherungen in Deutschland und den USA darüber geredet, welche Vorteile es für Nutzer haben könnte, Daten auf eigenen Wunsch zu teilen. Doch aktuell sei das Thema noch nicht reif. Nutzerdaten werden nur dafür verwendet, um "relevante Statistiken und Informationen für den Benutzer zu erstellen und ihm diese möglichst einfach und verständlich darzustellen", so Gschwandtner.

Vorbehalte gegen Datensammler

Nicht nur die mutwillige Datenweitergabe stellt ein Risiko für Konsumenten dar. Hackerangriffe auf Dienste wie Apples iCloud zeigen, dass es keinen 100-prozentigen Schutz gibt. So gibt es gegen das Datensammeln in der Bevölkerung auch einige Vorbehalte. Beispielsweise haben bis bislang rund 170.000 Personen von der österreichischen Elektronischen Gesundheitsakt ELGA abgemeldet. Und bei Kommunikations-Apps haben insbesondere die Enthüllungen durch Edward Snowden für ein höheres Privatsphäre-Bewusstsein gesorgt.

Dennoch geben viele Nutzer freiwillig alle möglichen Informationen preis. "Da ist jede Menge Psychologie im Spiel", so Morgenroth. So werde man stets darauf hingewiesen, wenn ein Online-Profil nicht vollständig sei. Andererseits versprechen Unternehmen eine Gegenleistung. Etwa in Form von Rabatten bei Kundenkarten oder eben persönliche Auswertungen, Tipps und Ratschläge bei Gesundheits-Apps und Fitness-Trackern. Auch Wolfie Christl betont in seiner Studie den Aspekt der "Gamification" - dem Einsatz spielerischer Elemente. Wer sich selbst analysiert kann Punkte sammeln, erhält virtuelle Trophäen und kann sich mit anderen messen.

Bild nicht mehr verfügbar.

Paradox: Gegen ELGA gibt es Vorbehalte, gleichzeitig werden über Apps und Gadgets jede Menge Daten preisgegeben.
Foto: HARALD SCHNEIDER / APA

Rückzug aus der digitalen Welt?

Wie soll sich der sowohl gesundheits- als auch datenschutzbewussten Konsumenten nun also verhalten? Ein vollkommener Rückzug aus der digitalen Welt ist weder möglich, noch zielführend. Und es gibt auch positive Aspekte. So können die umfangreichen Datensätze unter dem Stichwort "Big Data" auch eingesetzt werden, um Krankheiten zu erforschen und bessere Behandlungsmethoden zu entwickeln. Morgenroth nennt in seinem Buch das Beispiel der Neugeborenen-Intensivstation des Sick Kids Hospital in Toronto. Hier werden alle Lebenszeichen der Babys analysiert. Ein Frühwarnsystem alarmiert Ärzte, sobald sich der Gesundheitszustand eines Kindes verschlechtert.

Der Konsument muss die Vorteile und Risiken selbst abwägen. Ist es wirklich notwendig, dass Lisas täglicher Zigarettenkonsum auf den Servern eines Start-Ups landet, das die Daten in Zukunft vielleicht einem Versicherungsunternehmen zuspielt? In manchen Fällen bleibt man wohl besser bei Stift und Papier. (Birgit Riegler, DER STANDARD, 1.12.2014)