Von links nach rechts: Verkehrsminister Alois Stöger, ÖBB-CEO Christian Kern, Bundespräsident Heinz Fischer, Bürgermeister Michael Häupl, Vizekanzler Reinhold Mitterlehner und Nationalratspräsidentin Doris Bures.

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Der Bahnhof vom Aussichtsturm "Bahnorama" aus gesehen.

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Von außen stimmt die Bahnhofsuhr. Von innen nimmt man die Uhrzeit am transparenten Ziffernblatt aber spiegelverkehrt wahr: 11.24 Uhr ist irgendwie auch 12.36 Uhr.

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Bahnhofsatmosphäre schon am Tag der offiziellen Eröffnung.

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Der Bahnhof spielt sich auf mehreren Ebenen ab. Mehr Bilder in der Ansichtssache.

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Ob Wien, ganz nach dem Wunsch der Grünen, mit dem neuen Hauptbahnhof einen weiteren Schritt zur autofreien Stadt macht, fragt die Moderatorin. "Wolln ma amol net übertreiben", antwortet Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ). Gelächter im Publikum. Es ist einer der wenigen Seitenhiebe auf den strapaziösen Alltag in der Verkehrspolitik der Bundeshauptstadt. Sonst herrscht bei der Eröffnung des neuen Stadtbahnhofs am Freitag Friede und Freude und Harmonie.

Bunte Luftballons hängen über Glücksrädern, an denen Menschen nach langem Schlangestehen auf einen Gutschein für ein Butterkipferl hoffen. Studenten verteilen Broschüren oder Produktexemplare in gebrandeten Ganzkörperanzügen.

Wie bei einem Popkonzert nehmen hunderte Interessierte engen Körperkontakt in Kauf, um einen Blick auf die Festbühne und die Politprominenz zu erhaschen. Neben Häupl sprechen Bundespräsident Heinz Fischer, Vizekanzler und Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner (ÖVP), Infrastrukturminister Alois Stöger (SPÖ) und dessen Vorgängerin Doris Bures (SPÖ). Weihbischof Franz Scharl segnet das Bauwerk und bittet "den allmächtigen Gott, die Reisenden vor Unfällen zu bewahren".

Ein funktionales "Landmark-Projekt"

"Das Projekt Hauptbahnhof manifestiert genau das, was Bahn sein kann, wofür Bahn steht", sagte zuvor ÖBB-Geschäftsführer Christian Kern. Die Liste derer, bei denen er sich zu bedanken habe, "ist so lang wie das Wiener Telefonbuch". Das Ergebnis sei nichts weniger als der "schönste Bahnhof Europas", meint eine laut Eigenbeschreibung "bewegte" Nationalratspräsidenten Bures. Ein "Landmark-Projekt" immerhin ist es laut Kern. Waren Bahnhöfe früher Kathedralen der Mobilität und herrschaftliche Monumente, so soll der neue Hauptbahnhof vor allem eines sein: funktional.

Um das Funktionieren zu belegen, bittet Kern das Publikum, sich kurz umzudrehen und auf die Anzeigetafel zu schauen: "Merken Sie was? Alle Züge pünktlich!" Applaus. "Meine ganz kecke Bemerkung an den Herrn Generaldirektor", sagt Heinz Fischer zu Beginn seiner Festrede, "auf dieser Tafel sind nur die Abfahrten drauf." Er sei aber überzeugt, dass das bei den Ankünften ganz genauso ausschaut.

Ein willkürlicher Termin

Mehr als 1.000 Züge mit 145.000 Passagieren täglich sollen in Zukunft auf dem Hauptbahnhof abgefertigt werden. Vom Vollbetrieb ist er aber noch ein ganzes Stück entfernt. Zwar fahren ihn einige Züge des Nahverkehrs schon seit bald zwei Jahren an, die ersten Fernzüge aus dem Norden, Osten und Süden werden aber erst im Dezember hier halten. Und noch über zwei Jahre wird es dauern, ehe auch Railjets und Intercity-Garnituren aus dem Westen auf dem Hauptbahnhof ankommen. Der Westbahnhof wird dann ab Dezember 2015 zur Endstation für den regionalen Schienenverkehr degradiert.

So gesehen war die feierliche Eröffnung der 50 Hektar großen Verkehrsstation am Freitag ein willkürlicher Termin. Sechs unfertige Bahnsteige sind noch gesperrt, in den schon zugänglichen Wartebereichen weisen Infoschilder auf öffentliche Telefone hin, die allerdings erst in den unverputzten Mauernischen montiert werden müssen. Dennoch befinde man sich perfekt im Plan, sagt Kern, sowohl zeitlich als auch budgetär. Für die Rüge des Rechnungshofs, wonach die Gesamtkosten im Laufe des Projektlebens von 423 Millionen Euro auf über eine Milliarde Euro angestiegen seien, ist in der Rede kein Platz.

Positive Botschaften

Kern bleibt lieber bei den positiven Botschaften. In den fünf Jahren Bauzeit, seit der Südbahnhof abgetragen und der Hauptbahnhof an seiner Stelle errichtet wurde, habe es keinen einzigen nennenswerten Arbeitsunfall gegeben.

Die Bauarbeiten rund um die Verkehrsstation sind aber noch nicht abgeschlossen und eher in Jahren als in Monaten zu bemessen. Auf 59 Hektar entsteht hier im Norden des Bezirks Favoriten bis 2020 ein komplett neuer Stadtteil mit 5.000 Wohnungen, 20.000 Arbeitsplätzen, Schulen und einem großzügigen Park.

Thai-Curry und Leberkässemmel

Was am Hauptbahnhof jedenfalls termingerecht fertiggestellt wurde, ist das Umfeld für den reibungslosen Geldfluss. Weil ein Großbahnhof im 21. Jahrhundert gleichzeitig Konsumtempel ist, nehmen auch am neuen Wiener Hauptbahnhof die Händler und Dienstleister einen prominenten Anteil am Areal ein.

Wer zwischen dem Umsteigen Brillen, Businessoutfit oder einen neuen Haarschnitt braucht, ist versorgt. Wer Appetit auf einen Fischburger, Thai-Curry oder eine Käsleberkässemmel um 2,70 Euro hat, auch.

Die Frage nach der U-Bahn-Anbindung

Die umstrittenste Frage, die sich um den Hauptbahnhof rankt, wird wohl auf ewig unbeantwortet bleiben. Schon bei den Planungen kochte Kritik hoch, dass der neue Hub nicht direkt an die U-Bahn angebunden sein wird und die U1 in provokativer Weise nur knapp an ihm vorbeiführt. So erkannte auch der Wiener ÖVP-Chef Manfred Juraczka am Freitag, dass "die nicht geschaffene Anbindung einer U-Bahn-Linie an den Hauptbahnhof das einzige Manko ist".

Die PR-Abteilung der ÖBB sieht das naturgemäß anders und hat den Test gemacht: In 4:53 Minuten gelangt man vom Bahnsteig entlang des unterirdischen Leitsystems zur U1-Station "Hauptbahnhof - Südtiroler Platz". Das sind nur 20 Sekunden länger, als man am Westbahnhof von den Bahnsteigen bis zur dortigen U3-Station benötigt. Alle Kritiker wird das wohl nicht zufriedenstellen.

Panikattacken mit Ansage

Bleibt das Thema Bahnhofsuhr. Das Symbol für Pünktlichkeit zählt in fast jedem Bahnhof dieser Welt zum unverzichtbaren Inventar. Groß war also der Aufschrei, als der Westbahnhof im Zuge seiner Revitalisierung 2011 seines imposanten Zeitmessers beraubt wurde. Diesen Fehler hat die ÖBB nicht noch einmal begangen. Riesig prangt eine analoge Uhr an der Glasfassade der Haupthalle.

Weil das Ziffernblatt transparent ist und die zwölf Stundenmarkierungen nicht durchnummeriert sind, nehmen Reisende außerhalb und innerhalb des Bahnhofsgebäudes allerdings zwei verschiedene Uhrzeiten wahr. Was draußen fünf vor zwölf ist, sieht von innen spiegelverkehrt wie fünf nach zwölf aus - nicht auszuschließen, dass das bei einigen Durchreisenden für kurzfristige Panikattacken sorgen wird.

Der Bahnhof ist eröffnet

Nach der offiziellen Eröffnungszeremonie zeigt sich die Politprominenz volksnah und drängt sich unter die Leute. Heinz Fischer beantwortet die Frage nach seiner eigenen Bahnnutzung ("schon mehr mit dem Auto"), während von der Bühne Abba-Interpreten die Halle beschallen. Ältere Damen mit Wurstproben in der Hand wippen fröhlich im Takt und formen ihre Lippen zu den Worten "Super Trouper".

Eine Passantin sagt: "Schau, die von den Grünen", und zeigt auf Maria Vassilakou. Chris Lohner und Richard Lugner genießen die Aufmerksamkeit. Ein Polizeigeneral stolziert in seiner Gardeuniform an einem Ronald-McDonald-Darsteller im schwarzen Frack vorbei. Der Bahnhof ist eröffnet. (Michael Matzenberger, derStandard.at, 10.10.2014)