Poppige schöne Songs und Lesen mit verteilten Rollen: Der "Konzert-Theater"-Abend mit Robert Stadlober (li.), Andreas Spechtl und Thomas Ebermann (nicht im Bild) plätscherte wohlig revolutionär dahin.

Foto: Steirischer Herbs t/ J. J. Kucek

Graz - Herbert Marcuse ist im Heimatsaal angekommen. Klettert man die Stiegen hoch, vorbei an mit Dirndlstoffen bezogenen Bildern, um Texte des "Professors der Revolution" zu hören, dann ist das ein ironisches Bild. Es erinnert an das von Linken gern als "Karriere-Scheiße" gegeißelte Überlaufen der Alt-68er zum Establishment.

Der eindimensionale Mensch wird fünfzig heißt das "Konzert-Theater", zu dem Donnerstagnacht viele ältere Herren kamen, die vielleicht selbst in den 1960er-Jahren Revolte probten, und junge Mädchen, eher angelockt von Schauspieler Robert Stadlober und Ja, Panik-Sänger Andreas Spechtl als von kritischer Theorie.

Der Steirische Herbst widmete dem 1979 verstorbenen großen linken Denker und seinem zuerst 1964 in den USA publizierten Bestseller One-Dimensional Man einen Abend. Neben den zwei jungen Männern vertrat der Hamburger Konkret-Autor Thomas Ebermann, in den 1970ern beim Kommunistischen Bund, später bei den Grünen zugange, die Vatergeneration. In einer Einführung erzählte er, wie Marcuse 1967 an der Freien Uni Berlin die Studenten begeisterte. Ebermanns Vermutung, dass damals an der FU wie heute im Heimatsaal wahrscheinlich nur ein Bruchteil der Zuhörer Marcuses überschaubares Werk gelesen hatte, dürfte zutreffen.

Nachdem Ebermann die Bühne verließ, um später schweigend rauchend am hinteren Bühnenrand wiederaufzutauchen, übernahmen Stadlober und Spechtl, mit Laptops, Gitarren und Text, den man zu Beginn wegen übersteuerter Töne schwer verstand. Der Vierte im Bunde, der Berliner Autor Kristof Schreuf fiel leider krankheitshalber aus.

Vor Bildern von Marcuse beim Spaziergang in Kalifornien oder beim Bedienen eines Kaffeeautomaten gab das Duo in hübscher Pop-Pose Texte wieder, die an Aktualität nichts eingebüßt haben; obwohl Marcuse nie von einem Zusammenbruch des Finanzsystems ausging, wie er 2008 eintrat. Interviews wurden nachgespielt, Stadlober wechselte - je nach Part - zwischen flüssigem Englisch und hartem deutschen Akzent, mit dem Marcuse Englisch sprach. Artikel, mit denen heute in Polizeimedien Linke dämonisiert werden, wurden eingestreut. Dann kam wieder Musik.

Aus angekündigten 90 Minuten wurden 120, der eine oder andere Satz hätte schon früher ein schönes Schlusswort ergeben. Der eindimensionale Mensch - Studien zur Ideologie der fortgeschrittenen Industriegesellschaft wurde 2014 wieder aufgelegt. Vielleicht regt der Abend zum Lesen an. Die Songs von Stadlober und Spechtl kann man sich dann immer noch anhören - zum Drüberstreuen. (Colette M. Schmidt, DER STANDARD, 11.10.2014)