Wien - "Manchmal muss zum Wohl der Herde ein einzelnes Schaf geopfert werden." Der Pastor von Black Creek würde gern sein Gewissen beruhigen, wenn er eines hätte. Der den kleinen Ort tyrannisierende Bandenführer verlangt die Auslieferung eines Gefangenen, ansonsten würde er jeden Tag drei Einwohner töten. Und man solle sich vorsehen, ihm noch einmal die Alten und Krüppel anzubieten. Dass der Pastor einen Häftling in den vermeintlich sicheren Tod schickt, liegt daran, dass er auch das Amt des Sheriffs bekleidet. In Black Creek hört eben der Glauben nicht auf, wo das Unrecht beginnt.
Sieben Jahre hat der dänische Auswanderer Jon (Mads Mikkelsen) auf seine Frau und seinen Sohn gewartet. In der großen Stadt an der Eisenbahnlinie herrscht geschäftiges Treiben, Jon hat sich lieber eine abseits gelegene Farm in der Nähe von Black Creek gekauft. Als die Postkutsche mit zwei in letzter Minute zugestiegenen Fremden losfährt, muss er zunächst seinen großen Traum begraben und wenig später tatsächlich zur Schaufel greifen.
Drei gleichzeitig stattfindende Begräbnisse bilden ein dramaturgisches Kreuz in diesem Film. Jon muss Frau und Sohn beerdigen, der Bandenchef Delarue (Jeffrey Dean Morgan) seinen Bruder, und Black Creek die ersten Opfer. Zu diesem Zeitpunkt weiß man bereits, dass Jon seinen Schmerz mit einem noch höheren Blutzoll vergelten wird. "Lass dich nie auf einen Kampf ein, wenn du weißt, dass du ihn verlierst", meint sein Bruder (Mikael Persbrandt) einmal. Jon wird sich darauf einlassen und The Salvation seinem Feldzug als klassischer Rachewestern folgen.
Die genutzten Freiräume
Der Reiz dieses Films liegt also darin, wie der dänische Autor und Regisseur Kristian Levring - vor knapp zwanzig Jahren immerhin Unterzeichner des einflussreichen Dogma-95-Manifests, das sich entschieden gegen das Genrekino aussprach - nicht nur die traditionellen Spielregeln aufs Genaueste befolgt, sondern die dadurch entstehenden Freiräume entsprechend zu nutzen weiß.
Denn während The Salvation als Rachedrama so unerbittlich absehbar auf sein Finale zusteuert wie Jon auf den Tyrannen im purpurfarbenen Staubmantel, erzählt Levring mehrere andere, ineinander verschachtelte Geschichten: von der Entzweiung von Individuum und Gemeinschaft, vom Verlust des Vertrauens in das Recht, und vor allem von der Unfähigkeit einer schwachen Gesellschaft, den Einzelnen zu beschützen.
Levring beweist, dank unserer Vertrautheit mit den Regeln des Genres und seiner Figuren, ein gutes Gespür für Details und Zusammenhänge. Dass etwa der Bürgermeister des Orts zugleich als Leichenbestatter fungiert, ist mehr als ein guter Witz: Seine Doppelrolle kommt in Wahrheit nur einem im Hintergrund agierenden Konsortium zugute, das nach dem schwarzen Gold giert, das allerorten aus dem Boden blubbert.
Je tiefer der Schmerz, desto furchtbarer die Sühne. Nur die Talionsformel - das hinlänglich falsch interpretierte "Auge für Auge, Zahn für Zahn" - kann Jon, wie in den besten Rachewestern von Anthony Mann, Budd Boetticher und Sergio Leone, am Ende das Gleichgewicht wieder herstellen. Blind nennt man die Rache, weil sie den Rächer angeblich nur auf ein Ziel blicken lässt. In The Salvation ist das Gegenteil der Fall: Seine Augen sind geschärft wie nie zuvor. (Michael Pekler, DER STANDARD, 13.10.2014)