Wien - Das festgezurrte, eingesperrte Leben und seine Gewordenheit sind Themen, mit denen sich Thiemo Strutzenberger in seinen Theatertexten beschäftigt. Nach The Zofen Suicides und dem gefeierten Queen Recluse legt der 32 Jahre junge Autor am Schauspielhaus, wo er auch zum Spielerensemble gehört, sein drittes, famoses Stück vor. In Hunde Gottes steht erneut eine den gesellschaftlichen Zwängen ausgelieferte Frau im Fokus, angesiedelt im Amerika der 1950er. Betty Alighieri (Katja Jung), eine Filmschauspielerin, Gattin eines Architekten (Steffen Höld) und Mutter von Leonardo (Gideon Maoz), liebt in Wahrheit den Gärtner Mr. Deagan (Simon Zagermann). Die soziale Kluft ist zu groß, als dass diese Verbindung akzeptiert werden könnte.
Es liegen in diesem Plot mehrere formale Schichten übereinander: Strutzenberger bedient sich des Filmmelodrams, wie es Hollywood-Regisseur Douglas Sirk (1897-1987) geprägt hat - mit Werken wie Was der Himmel erlaubt oder Solange es Menschen gibt. Diese Folie des Melodrams und seiner Genremerkmale (Offenlegung seelischer Zustände in großen Gefühlen, ergreifende Musik) überzieht er mit einer historischen Perspektive. Namen wie Alighieri oder Petrarca weisen in die Vergangenheit, in die florentinische Frührenaissance, als das Begehren anderen Gesetzen unterworfen war, als jeder nach christlicher Lehre als "widernatürlich" geltende, nicht standesgemäße Sexualakt von der Inquisition verfolgt werden konnte. Von diesem alten Europa zeugen eine dorische Säule und ein bis zur Oberlippe in den Boden gerammter Adoniskopf (Bühne: Johannes Weckl). Zu Besuch bei den Alighieris ist Chefarchitekt Francesco Petrarca (Florian von Manteuffel), ein schmieriger Cowboy, der die florentinischen Verhältnisse reflektiert und sie mittels Neubaus der Stadt voller Begeisterung umzuordnen wünscht. Umsturz der Verhältnisse!
Aufregend inszeniert
Strutzenbergers Figuren sprechen ihre Subtexte gleich mit. Ähnlich wie bei René Pollesch sind die Dialoge mit Theorien befrachtet und oft witzig gebrochen. "Im Innersten von Ihnen, Betty, dort, wo Sie ganz privat sind, hat die Öffentlichkeit Ihren Innenraum mitbestimmt!", sagt das Arbeiterkind Laura (Nicola Kirsch) zur Diva. Auch über ihren eigenen auf erotischem Weg beschrittenen sozialen Aufstieg weiß sie Bescheid. Er geht mit einem Heiratsantrag einher, wie er sich sprachlich origineller kaum denken lässt - einer von vielen Höhepunkten des Abends. Regisseurin Barbara Weber hat reichlich aus Strutzenbergers Vorlage geschöpft und eine aufregende Inszenierung arrangiert, der Stoff bietet und zu Momenten erschütternder Wahrhaftigkeit vordringt. (Margarete Affenzeller, DER STANDARD, 13.10.2014)