Wien - Wenn man Performer/Posaunist Bertl Mütter im Konzerthaus auftauchen sieht, steckt Konzept dahinter: Er wird in dieser Saison hin und wieder erscheinen, um zu obligaten Konzerten seine Interventionen vorzunehmen. Vor und nach dem Liederabend von Ian Bostridge im Mozartsaal hat Mütter nun also seine Version von Schuberts Winterreise präsentiert - als Mix aus verbaler Reflexion und freier, aktionistischer Improvisation.

Es ist für das Konzerthaus, das sich erfreulich mutig auf die Suche nach neuen Vermittlungsformen begibt, ein Experiment. Aber so eigenwillig, wie Mütter an Schuberts Vertonung existenzieller Grenzerfahrung herangeht, wandern Besucher hernach animiert Richtung Original. Bostridge ist dann ein Sänger, der aufrüttelt, ein intensiver Interpret, der die Grenzerfahrung sucht und Verzweiflung expressiv herausschleudert. Der emotionalen Unmittelbarkeit, die auch in sanften Linien zum Ausdruck kommt, stehen auch kleine intonatorische Probleme zur Seite. Und mitunter wirkt die Expression ein wenig grob und das Intime etwas manieriert - durch die Art, wie Bostridge etwa sanfte Töne modelliert.

In Summe steht man jedoch vor einem impulsiven, durch Hinga- be erkämpften Seelenporträt, das Strahlkraft aufweist und besonders dort Wirkung entfaltet, wo Bostridge - am Klavier sehr subtil und differenziert von Thomas Ades mitgestaltend begleitet - zu einer gewissen entspannten Schlichtheit findet. Wie etwa bei Der Wegweiser. Nach Bostridge ist der Weg in den Beriosaal zurück, wo Mütter den zweiten Teil seiner Winterreise absolviert, keinesfalls beschwerlich. Nach so viel Intensität kommt jedoch fast Dankbarkeit auf, dass bei Mütter die Dramaturgie einige Leerläufe aufweist. Sie lässt einen durchatmen - nach so viel Klanginformation. (Ljubisa Tosic, DER STANDARD, 16.10.2014)