Als Thomas H. rund 630 Kilometer entfernt von Belgrad am Mittwochmorgen in Wien-Ottakring ins Auto steigen wollte, fiel ihm zuerst der Zettel unter dem Scheibenwischer auf. Stand er im Parkverbot? Doch dann realisierte er, dass die Windschutzscheibe eingeschlagen war. Der Zettel war von der Polizei, er solle sich melden, Unbekannte hätten sein Fahrzeug beschädigt, Anzeige werde erstattet.

Thomas H. ist kein Einzelfall, der Flurschaden der Zusammenstöße zwischen Serben und Albanern auf der nahe gelegenen Ottakringer Straße ist enorm. Das in Belgrad abgebrochene EM-Qualifikationsspiel hatte also Auswirkungen bis nach Wien.

Die Ottakringer Straße ist die sogenannte Balkan-Meile der Bundeshauptstadt. Es gibt Abschnitte mit kroatischen, serbischen, albanischen und türkischen Lokalen. In der Regel funktioniert das Zusammenleben gut, zumindest nicht schlecht. Zu Fußballzeiten, wie etwa bei der EM 2008 in Wien, herrscht ausgelassene bis heißblütige Stimmung.

Doch Dienstagabend nach den Ereignissen in Belgrad eskalierte auch in Wien die Situation. Laut Polizei versammelten sich gegen 21.30 Uhr etwa 50 Albaner vor einem serbischen Kaffeehaus, Flaschen sollen Richtung Eingang und Auslage geflogen sein. Und weil Hooligans, obwohl in Stadien verboten, oft pyrotechnische Sätze dabeihaben, loderten bald bengalische Feuer.

Sperren hielten

Die Polizei konnte nach eigenen Angaben zu diesem Zeitpunkt die Randalierer vorerst stoppen, eine Stunde später marschierten mindestens 200 Serben ebenfalls im Nahbereich der Ottakringer Straße auf und versuchten die inzwischen errichteten Polizeisperren zu durchbrechen. Um die drohenden Zusammenstöße zu vermeiden, orderte die Polizei ein Großaufgebot: Wega, Diensthundeabteilung, die gesamte Bereitschaftseinheit sowie Streifenpolizisten aus allen Wiener Gemeindebezirken wurden im 16. "Hieb" zusammengezogen. Darüber hinaus wurden die Ottakringer Straße und umliegende Straßenzüge sowie der äußere Gürtel teilweise für den gesamten Verkehr gesperrt.

Durch die große Präsenz konnte laut Polizei verhindert werden, dass die beiden Gruppen aufeinandertrafen. Eine halbe Stunde vor Mitternacht sollen sich die Lager zerstreut haben.

Verletzte gab es nicht, dafür aber zahlreiche beschädigte Pkws, darunter auch Polizeifahrzeuge. Zur Geisterstunde herrschte demnach auf der Ottakringer Straße wieder Ruhe, alle Straßensperren konnten aufgehoben werden. Teile der zusammengezogenen Polizeikräfte blieben aber sicherheitshalber die ganze Nacht vor Ort.

Ob Thomas H. je seine kaputte Frontscheibe ersetzt bekommen wird, ist fraglich. Die Polizei macht ihm keine großen Hoffnungen. Voraussetzung wäre, genau den oder die Vandalen zu erwischen, die sein Auto demoliert haben. (simo, DER STANDARD, 16.10.2014)