Ewald Fischer führt ganz genau Buch. Sarahs Buch. Auf dem Umschlag steht One Direction. Sarahs Lieblingsband. Sie liefert den Soundtrack zu Sarahs Trainingseinheit. Sarah ist 13 Jahre alt, 1,70 m groß, 69 Kilo schwer. 69,3 an diesem Tag. Papa Ewald notiert es im Buch. Sarah kann 91 Kilo in die Höhe stemmen. Bald sollen es 100 sein. Sarah ist die stärkste Frau Österreichs. "Seit 7. April 2013." Der Papa braucht das nicht nachzuschlagen.

"Schon wieder schlampert. Hände strecken!" Papa gibt die Kommandos.

"Hüfte vor, Hände gestreckt", ruft er. Er schaut auf die Technik. Das sei wichtig. Sporthalle Krems, Strandbadstraße 3, ein Pfeil nach rechts weist in die Stemmerhalle. Das Reich der Familie Fischer. Ewald Fischer wurde 13-mal Staatsmeister.

Der 44-Jährige tritt noch immer bei Seniorenwettkämpfen an. Schon sein Vater war Stemmer. Seine Kinder setzen die Tradition fort. David (15) und eben Sarah. "Sie ist das größte Talent in der Familie", sagt Ewald Fischer. David sei der fleißigere Trainierer. Was die Konkurrenz betrifft, habe es Sarah leichter. "Ich bin einfach gut", sagt sie.

Rund zwei Stunden übt Sarah pro Tag. Sechsmal die Woche.
Foto: Standard/Robert Newald

Was Sarah am Gewichtheben reizt? "Die Rekorde." 86 nationale Bestleistungen (inklusive jene im Nachwuchs) hat Sarah Fischer, geboren am 9. November 2000, aufgestellt. Die Zahl musste der Papa nachschlagen. Ob Sarah der Sport Spaß macht? "Ja klar! Sonst würde ich ihn nicht machen."

Im Vorjahr wurde sie bei der U15-EM Vierte. Das nagt an ihr. Natürlich wollte sie eine Medaille. Anfang Dezember wird sie bei der U20-EM in Zypern stemmen. Noch tritt sie in der Klasse bis 69 Kilo an. Angestrebt wird die Kategorie +75. Darüber gibt's nichts mehr. Kein Gewichtslimit. Größtmöglicher Ruhm.

Die Russin Tatjana Kaschirina kann 190 Kilo stemmen. Keine schaffte bisher mehr. Ein Vorbild für Sarah – was aber sicher nicht die Dopingvergangenheit der 23-Jährigen betrifft: Schon mit 15 wurde sie gesperrt. "Damit wollen wir nichts zu tun haben", sagt Ewald Fischer.

Neuer Trainer

"Du bist schon wieder schlampert. Hände strecken!" Papa Ewald gibt heute allein die Kommandos. Seit vier Monaten hat Sarah einen neuen Trainer: Maged Salama. Der Ägypter hat schon Matthias Steiner trainiert, als dieser noch für Österreich antrat. Nach einem Zerwürfnis mit dem Verband wurde der Niederösterreicher 2008 Deutscher und im selben Jahr Olympiasieger. Ewald Fischer ist mit Steiner gut bekannt. Auch Sarah hat ihn getroffen. Ob sie sich von ihm etwas abschauen könne? Sarah zuckt mit den Schultern, blickt fragend zum Papa.

Fischers österreichischer Rekord der Allgemeinen Klasse: 78 kg im Reißen.
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Sarah geht ihren eigenen Weg. Seit sie mit Salama trainiert, habe sie große Fortschritte gemacht, sagt Ewald Fischer. Dreimal in der Woche trainiert der Ägypter das Mädchen aus Rohrendorf bei Krems. Ansonsten ist der Papa der Übungsleiter. Ein strenger, wie er zugibt. Bis zu zweieinhalb Stunden übt Sarah pro Tag. Sechsmal die Woche. Das Training besteht nicht nur aus Stemmen, auch aus Laufen, Springen, Schwimmen.

"Sarah, merkst du nicht, dass du zurückspringst? Komm jetzt!", ruft der Trainerpapa. "Du bist wie meine Lehrerin", kontert Sarah. Sie ist Viertklässlerin in der Neuen Mittelschule Grafenegg. Ihre Leistungen seien in Ordnung. Der Papa klagt nicht. Ab nächstem Herbst wird sie, wie ihr Bruder, das Sportleistungszentrum St. Pölten besuchen. Dann werden sich Training und Schule besser vereinbaren lassen. Sarah will die Handelsschule machen.

Am Anfang war der Besen. MIttlerweile hat der Feger Gewichten Platz gemacht. Und die werden zusehends schwerer.

Was, wenn aus der Gewichtheber-Karriere doch nichts wird? Sarah: "Es gibt nur Plan A." Um dann doch von Plan B zu erzählen: "Physiotherapeutin." Plan A ist konkreter. Olympia 2016, 2020, 2024. In zwei Jahren wird sie teilnahmeberechtigt sein. "Top fünf", sagt Sarah.

Der Papa hält das Ziel für zu hoch gegriffen. Sarah: "Ich muss mir hohe Ziele setzen." Sarah sei sehr selbstbewusst, sagt der Papa. 2020? "Top drei." 2024? "Gewinnen."

"Ich gewann 2010 jeden Wettkampf, an dem ich teilnahm", sagt Sarah.

Sarah ist Gewinnen gewohnt. Mit sieben Jahren nahm sie an ersten Wettkämpfen teil. Sie gewann. Die Bewerbe für unter Zehnjährige bestehen aus Leichtathletikübungen, Liegestützen und Gewichtheberübungen mit Holzstangen. Bewertet wird die Technik. Erst ab elf geht's um die Stemmleistung.

Der Sport, der sie bis dahin weniger faszinierte als Handball, fing an, ihr zu gefallen. Sarah gewann gern. Sie intensivierte das Training. Neunjährig begann sie mit Gewichten zu stemmen. "Sarah war immer schon kräftig gebaut", sagt Ewald Fischer.

Seit 2010 darf sie bei Wettkämpfen offiziell Reißen und Stoßen. "Ich gewann 2010 jeden Wettkampf, an dem ich teilnahm", ist auf Sarahs Website zu lesen. Papa Ewald pflegt sie pflichtbewusst. Mit neun Jahren konnte Sarah 36 kg stemmen, mit zehn 55, mit elf 67. Papa hat alles festgehalten.

Die Leistungskurve zeigt nach oben. 91 kg sind es mittlerweile im Stoßen und 78 im Reißen.

Ob Gewichtheben in so jungen Jahren gesundheitsschädlich sei? Der Papa glaubt das nicht. "Man lernt das richtige Heben, das stärkt die Muskulatur." Sportarzt Alexander Mildner sieht es ähnlich: "Wenn man es technisch richtig macht, ist es sogar zu begrüßen."

Manuel Sabeti, Sportorthopäde an der medizinischen Universität Wien, hingegen äußert Bedenken. "Folgeschäden im Wettkampf-Kraftsport, wie es Gewichtheben ist, sind sehr wahrscheinlich." Vor allem eine hohe Belastung in Wachstumsphasen sei problematisch.

"Wenn meine Kinder das machen, dann unter professionellen Bedingungen."

Es ist nicht Sarahs bester Tag. Vor dem Training hat sie nur eine statt zwei Stunden geschlafen. Regeneration sei wichtig, sagt Ewald Fischer. "Ich habe gesagt, wenn meine Kinder das machen, dann unter professionellen Bedingungen."

Er selbst habe die nicht gehabt. Zwischen 15.000 und 20.000 Euro investiert Ewald Fischer, von Beruf Lokführer, jährlich in die Karriere seiner beiden Kinder. Ein paar kleinere Sponsoren konnte er schon auftreiben. Vom Verband gebe es "null Unterstützung".

Vater Fischer gibt die Anweisungen.
Foto: Standard/Robert Newald

"Körperspannung!", schreit der Papa. Sarah wirkt genervt von den Zurechtweisungen. "Ich gehöre zusammengeschissen", hat sie vor dem Training gesagt. Der Papa sagt: "Ich glaube, sie weiß gar nicht, wie gut sie ist."

Der Titel "Stärkste Frau Österreichs" bedeutet Sarah nicht viel. Hierzulande habe sie keine Konkurrenz. "Die würde ich vermutlich in Badeschlapfen schlagen." Seit heuer darf Sarah Fischer in Österreich in der allgemeinen Klasse antreten.

Sarah fällt die Hantel runter. Der Papa wird böse. "So jetzt konzentrierst du dich. Da kann man sich auch verletzen." Bisher blieb Sarah von Verletzungen verschont. Sie hat keine Angst davor, von der Hantel getroffen zu werden.

Plan A steht

Sarahs Plan steht. Plan A. Sarah ist auf einem guten Weg. Der Papa notiert. Auf der Website, in dem Buch. Sarahs Buch. One Direction. Eine Richtung. Aber Sarah ist immer noch erst 13. Was, wenn sie nicht mehr den Weg der Gewichtheberin gehen will? Der Papa schluckt.

"Natürlich würde ich sie auch in einer anderen Sportart unterstützen." Aber im Gewichtheben kenne er sich halt aus. Der Papa hat viel in Sarahs Karriere investiert. Und am Ende will er mehr als ein Buch davon haben. (Birgit Riezinger, DER STANDARD, 25./26. Oktober 2014)

An Goldmedaillen gemessen ist Gewichtheben die erfolgreichste Sportart Österreichs bei Olympischen Sommerspielen. Insgesamt holte Österreich bei Olympia viermal Gold, fünfmal Silber und zweimal Bronze. Josef Steinbach gewann 1906 in Athen Gold und Silber. Zwischen 1924 und 1936 holten österreichische Gewichtheber stets Edelmetall. Nach Robert Feins Goldmedaille in Berlin 1936 kam aber nichts mehr. 2008 gewann der gebürtige Österreicher Matthias Steiner in Peking Gold für Deutschland im Superschwergewicht.