Jetzt, Mitte Oktober, kommt keiner mehr am Thema vorbei. Der deutsche Außenminister bekennt: "Wir haben Ebola unterschätzt." Der Weltbankpräsident findet, man habe in Reaktion auf die Seuche versagt. Der UN-Hochkommissar für Menschenrechte sieht in ihr eine "Heimsuchung", die sich "leise und vernachlässigt von der Welt" aufgebaut habe - ähnlich der Terrormiliz IS.

Der Vergleich ist durchaus passend. Beiden Problemen verhalf erst ein Grad an persönlicher Betroffenheit ins kollektive Bewusstsein. Die international koordinierten Luftschläge gegen die Terrorgruppe IS nahmen Form an, als Bürger weltweit das Drama in der syrischen Grenzstadt Kobanê quasi aus der ersten Reihe fußfrei im Fernsehen mitverfolgen konnten. Die internationalen Bemühungen im Kampf gegen Ebola werden jetzt, Monate nach dem Ausbruch im Dezember 2013, intensiviert, weil die Krankheit plötzlich nicht mehr eine "der Afrikaner" ist. Es gibt erste Fälle in Spanien und in den USA, das Problem ist damit nicht mehr eines der Leute "dort unten", das man geistig in die Abstellkammer stellen kann.

Dabei ist dieser Abwehrmechanismus wohl ein zutiefst menschlicher. Politisch verzeihlich wird er dadurch nicht. Immerhin: Jetzt will auch die österreichische Gesundheitsministerin Tatkraft beweisen und hat die unglückliche Formulierung, wonach man "die Kirche im Dorf lassen" solle, gegen das Wording der Informationsoffensive getauscht. Beruhigend ist das nicht. Mehrsprachige Schilder, die potenziell Betroffenen die richtige Verhaltensweise im Krankheitsfall nahelegen sollen - das klingt nach einem Kampf gegen Windmühlen. Hatte sich doch Oberhauser noch kurz vor dem ersten (!) Treffen der EU-Gesundheitsminister, das am Donnerstag in der Angelegenheit stattfand, für Eingangskontrollen von Reisenden (womit meist Fiebermessen und Fragebögenausfüllen gemeint ist) starkgemacht. Hinterher lautete ihre neue Botschaft: "Panik ist auch eine Epidemie."

Das ist zwar richtig. Immerhin lassen die bislang bekannten Fakten über das Virus trotz der massiven Ausbreitung in Westafrika nicht auf ein bevorstehendes Massensterben in Europa schließen. Die Weltgesundheitsorganisation geht davon aus, dass Ebola bislang ausschließlich über direkten Kontakt mit Körperflüssigkeiten (also Blut, Urin, Muttermilch oder Sperma) und Exkrementen übertragen wird. Das heißt: Ebola ist keine über die Luft übertragene Krankheit. Und wer infiziert ist, ist erst bei ersten Symptomen ansteckend. Keine Panik also?

Es gibt noch ein Aber. Im Zweifel glaubt man dann doch eher Experten wie dem Präsidenten des Internationalen Roten Kreuzes, der vor einer "Epidemie von globaler Größe und Gefahr" warnt. Die damit einhergehende Angst ist nämlich auch menschlich. Zur Angst vor der Ansteckung kommt jene vor der Unfähigkeit der Politik, die ihre Glaubwürdigkeit bei diesem Thema längst eingebüßt hat. Monatelang hatte man Zeit, den Einsatz von Geld und Personal vor Ort zu erhöhen. Monatelang wäre über eine koordinierte Vorgangsweise der EU zu beraten gewesen. Jetzt gibt man eine gemeinsame Datenbank als Ziel aus. Im Ernst?

Erst am Donnerstag gab es wieder einen Verdachtsfall am Madrider Flughafen. Das macht trotz aller Beschwichtigungen unrund. Fliegen wollen wahrscheinlich bald nicht einmal mehr die Minister. Vielleicht wird ja dann endlich agiert statt reagiert. (Karin Riss, DER STANDARD, 17.10.2014)