Die Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden über klandestine Operationen des US-Militärgeheimdienstes NSA wurden weltweit diskutiert. Mehr nicht. In vielen Ländern schwiegen sich Politik und offizielle Stellen über die Kollaboration ihrer jeweiligen Nachrichtendienste mit ihren US-Pendants aus. So auch in Österreich. Zwar äußerte sich Verteidigungsminister Gerald Klug vergangenen Herbst im Nationalrat kurz allgemein über die "fallweise Kooperation", im Unterausschuss für Landesverteidigung wollte er den zur Verschwiegenheit verpflichteten Mitgliedern allerdings keine Informationen über den ominösen "Geheimvertrag" geben, der seit Jahrzehnten Details der Zusammenarbeit regelt. Sogar die Gründe, warum der Vertrag geheim sei, seien geheim, so Klug den Mitgliedern des Ausschusses zufolge.

"Die Staatsanwaltschaft ermittelt nicht, ein U-Ausschuss ist kein Thema"

Ein Vorgang, der viele erzürnte. Die Oppositionsparteien forderten einen U-Ausschuss, in der Bevölkerung gab es Proteste gegen die Untätigkeit der Regierung. Denn im Unterschied zu Deutschland scheinen weder Politik noch Justiz ein ernsthaftes Interesse daran zu haben, die Abhörtätigkeiten der US-Spione mit Hauptsitz in Fort Meade, US-Bundesstaat Maryland, aufzuklären. Die Staatsanwaltschaft Wien hat ihre Ermittlungen im Mai "abgebrochen", laut ÖVP-Klubobmann Reinhold Lopatka ist ein U-Ausschuss "kein Thema".

Kritiker vermuten, dass diese Passivität sich aus den engen Verbindungen zwischen österreichischen Diensten und ihren US-Pendants ergibt. Allerdings war bislang nur wenig über die laut dem US-Journalisten Glenn Greenwald "ständige und diskrete" Zusammenarbeit zwischen Bundesheer und NSA zu erfahren.

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Österreichische Soldaten auf dem Weg in den Libanon.
Foto: APA/Harald Minich

Es liegt in der Natur der Geheimdienste, ihre Operationen im Verborgenen auszuführen. Aber österreichische Dienste scheinen sich das besonders zu Herzen genommen zu haben. Während die CIA mittlerweile sogar auf Twitter aktiv ist, gilt es hierzulande schon als Sensation, wenn das Heeresnachrichtenamt in einer offiziellen Presseaussendung überhaupt erwähnt wird.

Das dürfte sich nun langsam ändern: Auf Anfrage des STANDARD gibt das Verteidigungsministerium erstmals ausführliche Informationen über die Zusammenarbeit mit anderen Nachrichtendiensten bekannt. Dabei geht es primär um das Heeresnachrichtenamt (HNaA), das seinen Sitz in der Hütteldorfer Straße in Wien-Penzing hat und für die Auslandsaufklärung zuständig ist. Mitarbeiter des HNaA beschaffen laut Verteidigungsministerium Informationen, die anschließend ausgewertet und der "militärischen und politischen Führung" des Landes präsentiert werden. Dabei arbeite das HNaA auch mit anderen Diensten zusammen.

Das Verteidigungsministerium beruft sich dabei auf gesetzliche Rahmenbedingungen und eine Empfehlung der Bundesheerreformkommission, die bereits 2004 eine "Intensivierung der internationalen nachrichtendienstlichen Kooperation" forderte. Ein Verzicht auf die Zusammenarbeit sei aus Sicht des Ministeriums "unverzeihlich", da in diesem Fall österreichische Staatsbürger und Soldaten weniger sicher wären. Schließlich würden Informationen der NSA, des deutschen Bundesnachrichtendienstes (BND) und anderer befreundeter Dienste dazu genutzt, Risikoanalysen bei Auslandseinsätzen zu erstellen. Zurzeit sind österreichische Soldaten im Kosovo, in Bosnien und im Libanon im Einsatz.

"Absolut vital, um z.B. Anschlägen auszuweichen"

Die Zusammenarbeit mit anderen Diensten betreffe eine Vielzahl von Themen, so das Ministerium: "Das reicht von besonderen Sicherheitsvorkehrungen, wie spezifische Bewaffnung und Ausrüstung unserer Soldaten, über medizinische Fragen bis hin zur 'cultural awareness'." Die Infos seien "absolut vital, um z.B. Anschlägen auszuweichen".

Auf die Königswarte führt ein schöner Wanderweg.
Foto: DerStandard

Auch im Cyberspace, so das Ministerium weiter, sei es wichtig, "durch Informationsaustausch Bedrohungen für Österreich rechtzeitig zu erkennen". Hier dürfte vor allem das Abwehramt (AbwA), der zweite Nachrichtendienst des Verteidigungsministeriums, für die Kooperation zuständig sein. Denn neben dem Schutz des Bundesheers vor Spionage ist die "elektronische Abwehr" ein Hauptaufgabengebiet des Dienstes. Hier kooperiert Österreich eng mit der Nato, ist etwa als einziges Nicht-Mitgliedsland bei der Cyberabwehr des Bündnisses engagiert. Dort spielen die Dienste der großen Mitgliedsländer, die US-amerikanische NSA und der britische Datenspäher GCHQ, eine Führungsrolle.

Diese Kooperation hat ihren Preis: Für die Unterstützung bedankt sich Österreich mit eigenen Daten. So soll das HNaA vor allem im Bereich der "Signal Intelligence", also abgehörter Kommunikation, Daten liefern. In den Snowden-Dokumenten wird Österreich noch immer als "Third Party Sigint Partner" bezeichnet.

Diese Liaison hat eine lange Tradition: Bereits zur Zeit des Kalten Krieges besaß das Bundesheer mit der Königswarte nahe Hainburg einen Abhörposten, der mit US-Geld aufgebaut wurde und bis weit in die Sowjetunion lauschen konnte. Mittlerweile soll die Station mit Ausgaben von bis zu 150 Millionen Euro für neue Aufgaben fit gemacht worden sein. Laut Recherchen des ORF-Journalisten Erich Möchel könne die Station besonders gut zivile Satelliten ins Visier nehmen, die für die Kommunikation in Krisengebieten ohne Internet oder auf hoher See genutzt werden.

Unterhalb der Königswarte soll sich zudem ein riesiges Datencenter befinden.
Foto: Sabine Bürger

Der "Spiegel"-Journalist und Buchautor Holger Stark enthüllte zudem, dass sich von Österreich aus besonders gut Frequenzen bestimmter Länder wie Haiti anpeilen ließen. Dazu schweigt sich das Verteidigungsministerium aus.

Auch abseits des militärischen Bereichs soll eine enge Verbindung zu US-Diensten bestehen. Dabei geht es vor allem um den Bereich der Terrorabwehr. So sprach ÖVP-Klubobmann Reinhold Lopatka nach einem Besuch in Washington Mitte Juni davon, dass die NSA einige Anschläge in Europa verhindert habe. Auf Anfrage des STANDARD ergänzt er, dass ihm der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier "Beispiele dafür" genannt habe, konkreter wurde Lopatka nicht. In Österreich liegt dieser Aufgabenbereich beim Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusabwehr (BVT), das dem Innenministerium untergeordnet ist.

Das NSA-Hauptquartier in Fort Meade, Maryland (USA), sollte bei der Aufklärung der Briefbombenserie von Franz Fuchs helfen.
Foto: Trevor Paglen/CC-Lizenz

Auf die Hilfe der NSA setzte die Behörde schon 1996, als die Briefbombenserie des Rechtsextremisten Franz Fuchs Österreich schockierte. Die NSA sollte damals einen mit einem Zahlencode verschlüsselten Bekennerbrief von Fuchs’ "Bajuwarischer Befreiungsarmee" (BBA) dechiffrieren. Noch bevor die NSA den Code geknackt hatte, gelang dies allerdings den Experten des HNaA.

Heute bestreitet das BVT, das von Peter Gridling geleitet wird, vehement, mit den Amerikanern zu kooperieren. Das heißt allerdings nicht, dass das Innenministerium nicht indirekt mit NSA-Daten gefüttert wird – und umgekehrt. Denn das BVT habe vor allem mit der CIA zu tun, die wiederum ihre Berichte auf Basis von NSA-Wissen erstelle. Das sagt der Grünpolitiker Peter Pilz, der eine Zusammenarbeit mit den USA – etwa im Bereich des islamistischen Terrors – durchaus "vernünftig" findet. Allerdings befürchtet der Abgeordnete im Gespräch mit dem STANDARD, dass einige Operationen der CIA in Wien "nicht rechtsstaatlich" abliefen. Hier müsse man "ganz, ganz streng" sein, fordert Pilz. Dass es viele Graubereiche gebe, bestätigt auch Gert R. Polli, der das BVT 2002 quasi gegründet und danach bis 2007 geleitet hat.

"Das Geben und Nehmen wird immer mehr zu einem Nehmen der Mächtigen"

Er kritisiert, dass sich bei der Zusammenarbeit unter ausländischen Diensten vor allem nach den Terroranschlägen vom 11. September zusehends ein Machtgefälle entwickelt habe. "Das Geben und Nehmen unter 'befreundeten' Diensten wird immer mehr zu einem 'Nehmen' der mächtigen Dienste", sagt Polli, der mittlerweile in der Privatwirtschaft tätig ist. Vor seinem Job beim BVT war Polli Offizier beim Heeresnachrichtenamt, er spricht vom "Kultivieren einer Struktur, der man kaum entkommt".

Peter Pilz sieht Österreich als "kleinen Bruder, der nichts gegen den großen Bruder unternimmt". Die enge Kooperation gilt als einer der Gründe, warum die Stärkung europäischer IT-Angebote vorerst zum Scheitern verurteilt ist.

"Keine Spielvariante ist den Diensten fremd"

Auf EU-Ebene, wo BND und vor allem GCHQ als enge Partner der NSA gelten, sei das noch schwieriger. Der sozialdemokratische EU-Abgeordnete Josef Weidenholzer fordert "gesetzliche Vorgaben, an die sich Sicherheitsbehörden zu halten haben – mit strengen Sanktionen bei Nicht-Einhaltung". Auch müsse die Frage der Geheimdienste auf EU-Ebene und nicht national behandelt werden.

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Der jetzige BVT-Chef Peter Gridling (links) im Jahr 2008, als er das Amt von Gert R. Polli (rechts) übernahm.
Foto: APA/Fohringer

Die Arbeitsmethoden der Nachrichtendienste werden im Licht solcher Kontrollansätze zunehmender komplexer. So lagern die Dienste etwa Operationen an NGOs oder Tarnfirmen aus. "Keine Spielvariante ist den Diensten fremd", so Polli.

Auch der Geheimdienstexperte Siegfried Beer spricht davon, dass es "Outsourcing an Private längst auch in Österreich" gebe. Ein Beispiel ist der Fall zweier US-Bürger, die ein eigenes Büro am Fliegerhorst Zeltweg eingerichtet hatten. Der damalige FPÖ-Nationalrat Harald Vilimsky wollte vergangenen Herbst wissen, welche Aufgabe diese Herren dort erledigten. Verteidigungsminister Klug antwortete, dass die beiden US-Bürger seit 2007 "sogenannte Kryptoschlüssel" bereitstellten, "die zur Verschlüsselung der Kommunikation notwendig sind" – ein Spezialgebiet der NSA. Laut Klug seien aber beide "für eine zivile Firma" tätig. Mehr wollte er dem Parlament nicht mitteilen, und zwar "aus Gründen der Geheimhaltung". (Fabian Schmid/Markus Sulzbacher, derStandard.at, 17.10.2014)