Der Eingangsbereich des Packhauses.

Foto: Paradocks

Veronika Kovacsova, Margot Deerenberg und Leonie Spitzer (von links).

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Der Gemeinschaftsgarten im Innenhof.

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Die Büroeinheiten richten die Zwischennutzer nach Präferenz ein.

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Oft kommen die Nutzer aus der Kreativszene. Man sieht es.

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Wien - Stilistisch wild zusammengewürfelt zwischen Flohmarkt, Ikea und Kaffeehausbestuhlung stehen die Möbel im Gemeinschaftsraum im Erdgeschoß. Mit Edding hat jemand das Erich-Fried-Gedicht "Was es ist" an die Wand gekritzelt. Im Hintergrund läuft Musik der US-Indieband Beirut.

Hier in der Marxergasse 24 erzählen Margot Deerenberg, Veronika Kovacsova und Leonie Spitzer von ihrem Verein Paradocks. Die niederländische Stadtgeografin Deerenberg hat Paradocks 2013 gegründet, um Zwischennutzungsprojekte umzusetzen. Das Haus in der Marxergasse ist zum Modellprojekt geworden.

Eine fleckige Schicht graugrüner Fassadenfarbe …

Das ehemalige Bürogebäude des Bundesrechenzentrums im Wiener Bezirk Landstraße stand zu Teilen bereits acht Jahre leer. Es ist ein recht schmuckloser Bau aus den 1970er-Jahren, acht Stockwerke hoch und von einer fleckigen Schicht graugrüner Fassadenfarbe umhüllt. Ähnlich nüchtern schaut er innen aus.

Das Haus erfüllt auf 2.300 Quadratmetern Nutzfläche seine Zwecke noch hinlänglich; der Immobilieninvestor Conwert wird es dennoch zu einem lohnenderen Gewerbeobjekt runderneuern. Wie bei solchen Großprojekten üblich, beginnen die Arbeiten nicht von heute auf morgen. Bis Anfang 2016 würde die Immobilie leerstehen, die Substanz leiden.

… und der raue Charme unverputzter Innenwände

Hier kommt Paradocks ins Spiel. Der Verein wirkt als Vermittler zwischen Conwert und Menschen, die für ihren Job bis Ende 2015 Raumbedarf haben. So hat sich etwa die Zweigstelle einer Computerspieleschmiede im sechsten Stock eingerichtet, mehrere Architekten sind im Haus, ein Online-Übersetzungsdienst und ein Nonprofitprojekt zur Förderung junger Künstler. Auch die Einrichtung variiert von Einheit zu Einheit. In einigen Räumen haben Nutzer Parkettböden verlegt, andere haben die alten Fußböden und die Tapeten herausgerissen und werken jetzt im rauen Charme unverputzter Innenwände.

Nachfrage-Angebot-Paradoxon

Insgesamt 54 Klein- oder Einpersonenunternehmen, in erster Linie aus der Kreativwirtschaft, verbringen in unterschiedlich großen Büros hier ihren Arbeitsalltag. "Zur besseren Durchmischung hätten wir uns auch Steuerberater oder Buchhalter gewünscht", sagt Spitzer. Insgesamt habe es aber keinen Mangel an Anfragen gegeben. "Wir hätten dreieinhalb Häuser füllen können", sagt Deerenberg.

Das ist umso bemerkenswerter, als in Wien viele günstige Büro- und Gewerbeflächen leer- und damit grundsätzlich zur Verfügung stehen. "Anders als bei Wohnobjekten ist die Nachfrage viel geringer als das Angebot", sagt Clemens Billek von Conwert. "Es ist für uns ein Experiment. Und es ist gleichzeitig schön zu sehen, wie liebevoll hier mit Räumen umgegangen und das Grätzel belebt wird."

Het pakhuis

Packhaus nennen die Leute von Paradocks das Haus in der Marxergasse. Der Name kommt vom niederländischen Wort für Speicher, "pakhuis", und wie Waren sollen hier Ideen und Inspiration gesammelt und umgeschlagen werden. Einige fruchtbare Kooperationen haben sich seit dem Einzug der ersten Nutzer im Mai bereits ergeben, sagt Deerenberg. Nun, da alle Plätze bezogen sind, soll sich die Zusammenarbeit intensivieren, Ressourcen geteilt, Synergien genutzt werden. "Bridging potentials" heißt der Paradocks-Leitspruch.

Wie viel Kontakt die Nutzer untereinander haben wollen, bestimmen sie selbst. Manche lassen ihre Türen in das nur von Kunstlicht beleuchtete Stiegenhaus für Besucher offen. Andere verraten lediglich durch Visitenkarten, die sie mit Klebestreifen provisorisch am Türrahmen befestigt haben, welcher Tätigkeit sie nachgehen.

Die meisten Nutzer entscheiden sich aber gerade wegen des sozialen Aspekts für das Packhaus. "Es ist spannend, wie der gedankliche Austausch zwischen Menschen aus komplett unterschiedlichen Sparten funktioniert", sagt Mateusz Gorecki, einer der Gamedesigner. Natürliche Treffpunkte sind in jedem Stockwerk die gemeinsamen Teeküchen. Sie erinnern an Studentenheime.

Das sind keine Mieter

Auch das Foyer, ein Café und mehrere kleine Räume im Erdgeschoß sind als Allgemeingut konzipiert. Die Kosten für die kollektiv genutzten Flächen verrechnet Paradocks in einem festgelegten Schlüssel an die Bestandnehmer weiter. 7,50 bis zehn Euro Betriebskosten pro Quadratmeter und Monat verlangt der Verein von seinen Nutzern. Vier Euro davon gehen an Conwert. Der Rest setzt sich aus dem Tarif für die Gemeinschaftsflächen und aus Posten wie Internet, Strom und Heizung, Reinigungspersonal und einer Verwaltungsgebühr zusammen.

"Aber das ist keine Miete, und die Leute hier sind keine Mieter", sagt Deerenberg mit Nachdruck. Es gebe keine Miet-, sondern nur Prekariumsverträge. Das Überlassungsrecht kann Conwert jederzeit zurückfordern, ab diesem Zeitpunkt würde eine einmonatige Kündigungsfrist schlagend.

Napping-Room und Bewegungsraum

"Ursprünglich wollten wir nur zwei Etagen bespielen", sagt Deerenberg, die durch die Mitarbeit am Projekt Trust 111 in der Schönbrunner Straße bereits Erfahrung mit dem Thema Zwischennutzung in Wien gesammelt hat. "So etwas aus dem Nichts aufzubauen ist natürlich viel Arbeit." Nach längeren Verhandlungen mit Conwert sind es doch sechs Stockwerke und damit das momentan größte derartige Unterfangen in Wien geworden.

Teile des Projekts sind auch eine Fahrradwerkstatt, ein "Napping-Room" für die gepflegte Siesta, ein Bewegungsraum, in dem abends spendenfinanzierte Kurse für Yoga oder Aikido gegeben werden, und ein Gemeinschaftsgarten mit einem stattlichen Zitronenbaum. Geplant ist auch eine Shopfläche, in der unter anderem die produzierenden Nutzer im Haus ihre Waren verkaufen können.

Bei der Jury des von der städtischen Wirtschaftsagentur Departure ausgerufenen Ideenwettbewerbs "Cityhype" fand die Idee Gefallen. Unter 162 Einreichungen wurde das Packhaus auf den ersten Platz gewählt.

"Zwischennutzung ist keine Besetzung"

Auch wenn sie Paradocks als Verein und also ohne Gewinnabsicht gegründet hat, erwartet sich Deerenberg Profit von der Sache. Ideellen Profit. Für ihre Dissertation sucht die 32-jährige Stadtforscherin Antworten auf die Frage, was Zwischennutzung zu leisten imstande ist und wo ihre Grenzen liegen.

Mithelfen sollen die Nutzer. Sie sind eingeladen, im regelmäßigen Austausch ihre Erfahrungen zu teilen und an die Erkenntnisse zu gelangen. Diese sollen schließlich auch die Öffentlichkeit überzeugen. "Wir wollen Ängste nehmen", sagt Deerenberg, "Zwischennutzung ist keine Besetzung." (Michael Matzenberger, derStandard.at, 19.10.2014)