Seit einem Jahr sind die Neos im Parlament vertreten. Klubchef Matthias Strolz über Anfängerfehler der Oppositionspartei, Christbäume und Gartenpartys, wo ihm "das Würstel fast vom Pappteller fällt".

derStandard.at: Welche Schulnote stellen Sie den Neos nach einem Jahr im Nationalrat als Oppositionspartei aus?

Strolz: Gut. Kein Sehr gut, weil es pädagogisch wertvoll auch noch Luft nach oben geben soll. Ich bin dankbar, dass es gut gelungen ist, die Themen zu treiben. Wir sind eine Fünf-Prozent-Partei und können nicht die Welt niederreißen.

derStandard.at: Als Sie den Pleitegeier auf die Ministerbank klebten, ging der Schuss nach hinten los. Können Sie sich öffentlichkeitswirksames Poltern, so wie es die FPÖ oft tut, leisten?

Strolz: Für uns gelten andere Regeln als für die FPÖ. Unsere Wählerinnen und Wähler schätzen die Lebendigkeit, die Lust an der Politik und unsere intellektuelle Redlichkeit. Also kann ich nicht so auftreten wie H.-C. Strache.

Bisher haben wir in allen vier Wahlgängen unser Prinzip durchgehalten, kein Dirty Campaigning zu machen. Wir werden aktionistisch bleiben, aber genauer prüfen, ob wir damit unserem Maßstab gerecht werden. Den Geier würde ich heute nicht mehr kleben, aber dabeihaben. Das Kleben war eine Überforderung.

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Strolz über Auszug aus dem Parlament: "An Stammtischen werde ich heute noch gefragt, was uns da eingefallen ist. Medial haben wir diese Schlacht verloren."

derStandard.at: Eine Überforderung für wen?

Strolz: Finanzminister Spindelegger ist betreten hinter dem Geier gesessen. Die Bilder waren so brutal. Er hat mir dann fast leidgetan. Das war nahe am persönlichen Untergriff.

derStandard.at: Gibt es noch eine Lektion aus dem ersten Parlamentsjahr?

Strolz: Die Ankündigung des Auszuges aus dem Parlament war ein Anfängerfehler. Ich habe im Rahmen einer Sonderpräsidiale zwei Tage zuvor gesagt, dass wir ausziehen, wenn wir nicht auf Basis der neuen Budgetzahlen verhandeln. Die ÖVP hatte so zwei Tage Zeit, sich zu überlegen, wie sie unsere Pläne durchkreuzen kann. Sie haben nach unserem Auszug pinke Luftmatratzen auf den Sitzen platziert. An Stammtischen werde ich heute noch gefragt, was uns da eingefallen ist. Medial haben wir diese Schlacht verloren.

derStandard.at: Im Rahmen des EU-Wahlkampfes fuhr die ÖVP eine harte Kampagne gegen die Neos. Ein Slogan lautete: "Neos wollen Abtreibung bis zur Geburt." Sie reagierten mit einer Danksagung für die Leistungen der ÖVP in den letzten Jahrzehnten. Müssen Sie künftig härtere Geschütze auffahren?

Strolz: Wir müssen noch besser werden, aber wir werden positiv bleiben. Auch in Vorarlberg haben wir einen Tabernakelfolder gemacht, wo wir abgedruckt haben, was wir an den Grünen und der ÖVP schätzen – aber auch unsere Vorzüge hervorgestrichen. Zur Sache mit der Abtreibung: Das war eine kaltschnäuzige Lüge, die bei den Leuten enorm einfährt. Ich wundere mich, wie eine Partei, die christlich sein will, das mit sich vereinbaren kann. Selbst meine Mutter bekommt deshalb Anrufe. Ich habe Spindelegger damals einen Brief geschrieben, in dem ich ihn aufgefordert habe, dass diese Lügen nicht weiter verbreitet werden.

derStandard.at: Und hat er reagiert?

Strolz: Sein Generalsekretär hat schnoddrig geantwortet.

derStandard.at: Das heißt, wenn man eine Schmutzkübelkampagne gegen die Neos macht, schlagen Sie mit einem Tabernakelfolder zurück?

Strolz: Ja, was soll man machen? Ich könnte natürlich auch im Privatleben von ÖVP-Landeshauptleuten herumwühlen. Aber das werden wir nicht machen. Wenn wir deshalb drei Prozent weniger machen, dann soll es so sein. Ich will mir in die Augen schauen können. Meine Kontrollfragen sind immer: Ist es wichtig, was ich hier mache? Und: Ist es richtig? Wenn ich beide Fragen nicht mit Ja beantworten kann, werde ich anfangen, über meinen Rückzug nachzudenken.

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"Frage ich einen Mann, ob er kandidieren will, macht er den Halbschimpansen."

derStandard.at: Von insgesamt neun Abgeordneten in Ihrem Klub ist nur eine weiblich. Ist das richtig?

Strolz: Nein. Wir haben durch offene Vorwahlen diese Zusammensetzung bekommen. Ich habe persönlich mit mindestens dreimal so vielen Frauen wie mit Männern gesprochen und folgende Erfahrung gemacht: Frage ich einen Mann, ob er kandidieren will, macht er den Halbschimpansen und sagt: "Danke, dass du mein Genie erkannt hast."

Frauen kommen ins Zögern und Zaudern. Wir haben deshalb ein Promotorenprogramm gestartet. Und wir haben außerdem Fortschritte gemacht: In Brüssel sitzt eine weibliche Abgeordnete, in Vorarlberg haben wir eine weibliche Doppelspitze, in Tirol, Oberösterreich und Wien haben wir Chefinnen, in Salzburg eine Stadträtin.

derStandard.at: Spiegelt die Rekrutierungsfrage ein gesamtgesellschaftliches Problem wider?

Strolz: Frauen sind in vielen Bereichen strukturell benachteiligt. Die Gehaltsschere ist eine Schande für Österreich. Und die Politik ist eine Kampfmetapher, in der mit Brutalität agiert wird. Den Frauen ist das viel schneller zuwider. Die Kampfeuphorie der Männer wurde tausendjährig gezüchtet. Sie bewegen sich viel lustvoller und leichter auf diesem verletzenden Feld.

derStandard.at: Wären Quoten in den Gremien der Neos denkbar?

Strolz: Im wissenschaftlichen Bereich gibt es Quoten, das finde ich gut. Wir sind eine Bewegung mit der Freiheitsliebe im Herzen. Da ist es klar, dass die Quote nicht unser erstes Instrument ist, denn es ist ein Zwangsinstrument. Aber ich sage auch: Sollte Neos in der Frauenfrage keine Fortschritte machen, wird das Thema von selbst kommen. Ich drohe nicht mit der Quote, aber ich bin ein Realist.

derStandard.at: Auf der Uni finden Sie die Quote gut, für Ihre Partei nicht?

Strolz: Die Unis sind teils fast tausend Jahre alt. Uns gibt es erst seit zwei Jahren.

derStandard.at: Sie sprechen sich in Ihrem Programm gegen die uhrzeit- und wochentagsgebundene Festsetzung der Arbeitszeit aus und wollen stattdessen flexible Vereinbarungen auf Betriebsebene. Das klingt nicht sehr arbeitnehmerfreundlich.

Strolz: Das sehe ich anders. Ich war selbst Unternehmer und hatte Personalverantwortung für 17 Mitarbeiter. Ich habe mich in all den zwölf Jahren als Unternehmer nie für Arbeitszeitgesetze interessiert. Wir haben uns das untereinander auf Augenhöhe sehr gut ausgemacht.

derStandard.at: Vielleicht waren Sie ein kooperativer Chef. Aber das Arbeitszeitgesetz hat zweifelsohne wichtige Vorkehrungen getroffen. Etwa elf Stunden Ruhezeit. Diese wollen Sie abschaffen?

Strolz: Der Sozialstaat ist Teil des europäischen Lebensmodells. Zur Flexibilisierung der Arbeitszeit würde ich einen Rahmen mit größeren Durchrechnungszeiträumen stecken. Den Rest soll man sich auf Betriebsebene ausmachen.

derStandard.at: Wie lang soll man pro Woche arbeiten dürfen?

Strolz: Zwölf Stunden pro Tag finde ich gut. Auch muss man sich die Wochenendarbeit anschauen. Die Details sollen die Sozialpartner ausverhandeln.

derStandard.at: Wenn einem der Arbeitgeber abverlangen kann, zwölf Stunden zu arbeiten, kann das problematisch werden, etwa wenn man Kinder zu versorgen hat.

Strolz: Der Arbeitgeber ist nicht der Herr auf dem Ross und die Arbeitnehmer das Opfer. Das habe ich als Unternehmer immer begriffen: Wenn sich meine Mitarbeiter absprechen, geben sie mir ordentlich Stoff.

derStandard.at: Angesichts der Arbeitslosenzahlen ist das Stoffgeben nicht so einfach.

Strolz: Ich weiß, dass es nicht einfach ist, einen stimmigen Arbeitsplatz zu finden. Aber es war auch nie einfach, Unternehmer zu sein. Ich hatte oft schlaflose Nächte, wenn die doppelten Gehälter angestanden sind.

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"Ich treffe bei Gartenpartys Leute, wo mir das Würstel fast vom Pappteller fällt, wenn ich höre, zu welchen Konditionen sie in Objekten hocken."

derStandard.at: In Wien wollen Sie mit Beate Meinl-Reisinger an der Spitze zweistellig werden ...

Strolz: Na ja. Vorarlberg ist die Latte. Diese euphorische Phase ist vorbei. Wir haben gesehen, wie schwierig das ist in einem Bundesland, das so dominiert wird. Wien wird ja auch dominiert von einem roten Kraken. Sieben Prozent halte ich für eine Zielrichtung.

derStandard.at: In Ihrem Parteiprogramm heißt es, Sie wollen die unterschiedlichen Mietzinsberechnungsmodelle in einem Zeitraum von 15 Jahren auf den Richtmietzins überführen und anheben.

Strolz: Es ist sozial nicht gerecht, dass Leute in Objekten wohnen, für die sie einen Pappenstiel zahlen, nur weil sie glücklicherweise einen Altvertrag übernehmen. Andere junge Familien "derstrampeln" kaum ein adäquates Zuhause. Mit diesen Altprivilegien muss man entschlossener aufräumen.

derStandard.at: Welche Altprivilegien meinen Sie?

Strolz: Dass man in alte Mietverträge ohne adäquate Mieterhöhung einsteigen kann. Über 80 Prozent der Mieten in Wien bilden sich nicht am freien Markt und sind irgendwie geregelt. Ich treffe bei Gartenpartys Leute, wo mir das Würstel fast vom Pappteller fällt, wenn ich höre, zu welchen Konditionen sie in Objekten hocken. Das ist nicht fair.

derStandard.at: Grün und Rot werden in Wien wohl leistbares Wohnen im Wahlkampf groß spielen. Legen Sie sich damit nicht das nächste Ei?

Strolz: Es ist auch eine Illusion, mit Mietobergrenzen Fairness zu schaffen, so wie das die Grünen fordern. Im Gegenteil, der Schwarzmarkt wird blühen, das sieht man in Frankreich. Die Mietobergrenze ist ein Beispiel für den blühenden grünen Populismus, der intellektuell nicht redlich ist. Für die Wohnungsgeschichte gibt es kein Patentrezept. Es braucht mehr Angebote, und die Wohnbauförderung muss adäquat verwendet werden.

derStandard.at: Kümmern Sie sich auch um Spekulanten, die die Wohnungspreise massiv in die Höhe treiben?

Strolz: Absolut. Wir müssen die leerstehenden Wohnungen stärker in Umlauf bringen. Dazu gibt es bei uns derzeit eine interne Diskussion.

derStandard.at: In Kärnten haben Sie das Problem, dass Sie nicht genug Neos-Kandidaten für die Gemeinden finden. Gibt Ihnen das zu denken?

Strolz: Wir haben beschlossen – und das ist durchaus ein Strategiewechsel –, dass wir nicht unter Druck in allen Gemeinden kandidieren müssen. Qualität geht vor Quantität. Manche kommen mit der Motivation, für Neos zu kandidieren, weil sie schon fünf Jahre mit dem Bürgermeister wegen einer Grundstückgrenze streiten. Dieser Person richte ich ganz klar aus: Deine Motivation ist nicht ausreichend. Auf Gemeindeebene ist es außerdem unendlich schwierig, sich für Neos zu exponieren.

derStandard.at: Werden Sie auch in der Steiermark antreten?

Strolz: Ja. Im nächsten Vierteljahr wird es da an der Spitze eine Neuaufstellung geben. Der Nationalratsabgeordnete, der bisher die Steiermark geleitet hat, hat von sich aus gesagt, dass er sich diesbezüglich eine Neuaufstellung wünscht. Im Burgenland steht das Landesteam, ebenso in Oberösterreich.

derStandard.at: Stichwort "Bäume umarmen". Fühlen sich viele Esoteriker von Ihrer Partei angezogen?

Strolz: Das glaube ich nicht. Wir sind ja der Aufklärung verpflichtet. Sie werden bei jedem Parteichef eine Abrisskante finden. Die charmanteste Abrisskante, die man als Parteichef haben kann, ist wohl, Bäume zu umarmen.

derStandard.at: Geht es Ihnen nicht auf die Nerven, wenn Sie ständig zum Fotografieren in den Wald gehen müssen?

Strolz: Schon. Aber die Suchspannung der Journalisten, mit mir in den Wald gehen zu wollen, ist so groß. Es ist okay.

derStandard.at: Werden Sie zu Weihnachten auch den Christbaum umarmen?

Strolz: Nein. Aber früher habe ich immer den Christbaum im eigenen Wald geholt. Das war sehr berührend. (Katrin Burgstaller, derStandard.at, 17.10.2014)