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Pistorius am Freitag, als er nach den Schlussplädoyers das Gerichtsgebäude in Pretoria verlässt. Das Strafmaß soll am Dienstag verkündet werden.

Foto: APA/EPA/Ihsaan Haffejee

Pretoria/Johannesburg - Geht Oscar Pistorius ins Gefängnis oder kommt er mit Hausarrest davon? Die Anhörungen zum Strafmaß für den wegen fahrlässiger Tötung verurteilten Behindertensportler machten in dieser Woche im Gericht in Pretoria eines deutlich: Alles ist möglich in dieser Bandbreite der Argumente für oder wider eine Haftstrafe, die der Richterin zum Abschluss vor ihrer Verkündung des Strafmaßes vorgetragen worden sind. Der Countdown für Oscar Pistorius hat begonnen: Nächsten Dienstag wird das einstige Sportidol das Strafmaß für die Todesschüsse erfahren, die seiner Freundin Reeva Steenkamp in der Valentinsnacht 2013 das Leben kosteten.

Anklage und Verteidigung hatten diese Woche noch einmal Gelegenheit, Zeugen anzuhören und für ein geeignetes Strafmaß im Fall Pistorius zu plädieren. Staatsanwalt Gerrie Nel ließ in den hitzigen Debatten bei den Vernehmungen von Zeugen im Gericht keinen Zweifel: Er kämpfte mit allen rhetorischen Mitteln für eine Haftstrafe von mindestens zehn Jahre. Die Tötung eines Menschen sei "auch dann eine schlimme Tat, wenn sie fahrlässig erfolgt".

"Geliebten Menschen" getötet

Pistorius‘ Verteidiger Barry Roux dagegen forderte eine milde Strafe, denn Pistorius habe ungewollt einen "geliebten Menschen" getötet. Er habe alles verloren, seine Karriere, seine Freunde, und er sei von den Medien als "kaltblütiger Mörder" und "verantwortungsloser Hitzkopf" hingestellt worden. Pistorius‘ Psychotherapeutin hatte im Gericht erklärt, der 27-jährige paralympische Sportler sei bereits ein gebrochener Mann; er werde von Reue und Schuld heimgesucht.

Jetzt hörte der Prothesenläufer unter Tränen im Gericht die Aussichten für ihn: Entweder geht er ins Gefängnis, oder er wird unter Hausarrest gestellt. Die Gefängnisstrafe für die vier Todesschüsse durch die verschlossene Badezimmertür, die damals seine Freundin töteten, kann bis zu 15 Jahre dauern. Oder aber auf Bewährung ausgesetzt werden.

Debatten über Haftfähigkeit

Schon der weiche Schuldspruch der Richterin, die im September einen Mord an Steenkamp ausschloss, regte nicht nur Rechtsexperten, sondern auch Südafrikaner auf. Jetzt geht der Adrenalinstoß weiter, denn bei den oft grausamen Haftbedingungen stellte sich bei Pistorius‘ Verteidiger die Frage, ob das Ex-Sportidol überhaupt "Gefängnismaterial" sei. Da der einst als "Blade Runner" verehrte Behindertensportler auf Beinprothesen gehe, sei er im Gefängnis wehrloses Opfer für die notorischen Gangs, die in Südafrikas überfüllten Haftanstalten regieren, bekam das Gericht zu hören.

Eine Einzelzelle für Oscar? Das hat die öffentliche Debatte darüber angeheizt, warum sich bei schwarzen behinderten Tätern niemand um solche Sensibilitäten kümmert. Dabei sind manche Gefängnisse besser für ihre Bedürfnisse ausgestattet als andere, aber Messerstechereien und Vergewaltigungen gehören dort zum Alltag.

Kusine als Reeva Steenkamps Stimme

Die Verteidigung sah im Fall Pistorius Hausarrest und die Verpflichtung zur gemeinnützigen Arbeit als ausreichende Strafe. Das hielt der Staatsanwalt jedoch für "schockierend unangemessen." Eine Haftstrafe sei im Interesse der Gesellschaft unabdingbar. Zur Untermauerung dieser Forderung hatte er Steenkamps Kusine in den Zeugenstand geholt. Als sie vor Tränen kaum sprechen konnte, fühlte sicher ganz Südafrika mit ihr: Sie wolle Reevas Stimme sein, denn Oscar Pistorius habe ihre Familie zerstört. Er müsse dafür büßen.

Südafrikaner wollen am nächsten Dienstag nur eines sehen: Gerechtigkeit in der Justiz. (Martina Schwikowski, derStandard.at, 17.10.2014)