Was Entwickler Destructive Games in seinen Bildern zeigt, passt nicht zur Spielbeschreibung.

Bild: Hatred

Gewalt verkauft sich, bei Filmen genauso wie bei Videospielen. Und so braucht es wenig marketingtechnisches Kalkül, um als Spielentwickler auf diese Weise Aufsehen zu erregen. Die einfachste Möglichkeit, aus der Flut an Shootern und anderen brachialen Games herauszustechen, ist es, den Gewaltpegel höher zu drehen. Dies hat sich zumindest das Studio Destructive Creations bei seinem Debütwerk "Hatred" gedacht und ein Spiel entwickelt, das sämtliche moralischen Grenzen überschreitet: In der Rolle eines hasserfüllten Amokläufers ist es das Ziel, so viele unschuldige Zivilisten wie möglich zu töten.

Ungeschönte Brutatlität

Das polnische Entwicklerteam nimmt sich dabei kein Blatt vor den Mund. Während selbst wenig zimperliche Werke wie "Grand Theft Auto", "Postal" oder "Man Hunt" einen satirischen Anstrich haben oder wie die meisten Shooter bei der Schädigung von Zivilisten durch die Bestrafung eine moralische Komponente integrieren, setzt sich "Hatred" über jegliche gesellschaftliche Werte hinweg. Die Darstellung der Gewalt und die Tötungsanimationen sind nicht geschönt, die visuelle Gestaltung durch den Einsatz einer gedämpften Farbpalette so kalt wie die Atmosphäre des Spiels. Im ersten Trailer werden Morde bis ins kleinste Detail nachgestellt - von den Einschusslöchern in den Opfern bis hin zu den letzten Zuckungen der Körper.

Die Frage ist: Geht "Hatred" damit zu weit?

Nur ein Spiel

Für die Hersteller ist die Antwort einfach: Nein, denn "es ist nur ein Spiel", wie in der Beschreibung auf der Webseite zu lesen ist. "Dieser Tage versuchen sehr viele Games freundlich, farbenfroh, politisch korrekt und eine Art höhere Kunst anstelle von bloßer Unterhaltung zu sein. Wir wollten etwas kreieren, das gegen den Trend geht. Etwas anderes, etwas, das Spielern die pure Spielfreude gibt. Hier kommt unser Spiel, das keine Gefangenen nimmt und sich für nichts entschuldigt", so die Schöpfer und fügen mit einem Smiley am Ende des Satzes noch eine obligatorische Warnung an: "Versuche das nicht zuhause und nimm es nicht zu ernst, es ist nur ein Spiel. :)"

Inhalte und Sätze, die nicht zusammenpassen. Die Abschlachtung Wehrloser soll die "pure Spielfreude" sein und die gewollt glaubhafte Gewaltdarstellung soll man "nicht zu ernst" nehmen? Es wirkt fast so, als wüssten die Entwickler genau Bescheid über die Wirkung ihres Werkes und hätten sich aus Gewissensbissen gleich eine Entschuldigung zurechtgelegt. Zumindest ist es ein Novum, dass ein Studio gleich bei der Ankündigung eines Games eine Rechtfertigung mitschickt.

Spaß am Töten

Die Beschreibung impliziert, dass die Jagd auf Unschuldige einfach Spaß machen soll. Damit differenziert sich "Hatred" klar von anderen "Skandal-Games" der vergangenen Jahre. In "Postal" etwa wurde der Amoklauf sowohl grafisch als auch inhaltlich noch in eine comichafte Abstrusität gehüllt. In "Manhunt" hetzten die Schöpfer von Rockstar Games in einer tiefschwarzen Parodie auf die damals aufkommende Reality-TV-Ära vor laufender Kamera Schwerverbrecher aufeinander. Und in "GTA" kann man zwar praktisch alles erdenkliche als Gangster anstellen, doch ist der Grundtenor nicht nur satirisch, sondern wurde auch von Anfang an ein Moralsystem implementiert, dass die Schädigung von Passanten unter Strafe stellt.

In "Hatred" scheint es all diese Komponenten nicht zu geben. "Ja, es ist ein Spiel, in dem man Menschen tötet und der einzige Grund, dieses kranke Zeug zu tun, ist der tief wurzelnde Hass des Antagonisten. Der Spieler muss sich selbst fragen, was einen Menschen dazu treiben kann, einen Massenmord zu begehen", so Desctructives Antwort.

Heroisierend

Dass es der Amoklauf als Sujet in ein Videospiel geschafft hat, mag angesichts der Sturm-und-Drang-Phase des noch jungen Mediums nicht überraschen. Erst durch die Ausweitung von Grenzen können neue Gefilde erschlossen werden. Doch, dass die einzige Begründung für diesen Horrortrip die Freude am Spielen ist, schon eher. Die Entwickler propagieren dies als Ehrlichkeit. Empathielosigkeit würde es auch treffen. Wie sonst ist es vorstellbar, dass ein Haufen junger Männer intelligent und gebildet genug ist, ein modernes Game zu entwickeln, aber nicht die Tragweite ihres Werks abzuschätzen? Mögen sie Spaß an ihrem eigenen Abschlachtspiel haben, doch muss ihnen von Beginn an klar gewesen sein, dass es als öffentliches Produkt nicht nur für viele reale Opfer eine Peinigung sein wird.

Und welche Wirkung wird ihr Höllenritt auf all jene Menschen da draußen haben, die tatsächlich gesellschaftlich so sehr an den Rand gedrückt wurden, dass sie selbst davor stehen, zu explodieren. Ein muskulöser, unzerstörberar Videospielheld, der die Straßen New Yorks plattwalzt, wird zwangsläufig als Heroisierung verstanden werden und für manche leider auch als Vorbild. Da mag man in der Beschreibung noch so sehr darauf pochen, dass es sich um einen "kranken Antagonisten" handelt.

Zu viel oder nicht weit genug

Aus Sicht eines aufstrebenden Studios mutig gewesen wäre es, ein Spiel zu kreieren, dass wahrhaftig in die Rolle eines Amokläufers versetzt - nämlich lange bevor es zur Eskalation kommt. Mit hasserfüllten, kaltblütigen Monstern haben die meist jungen und psychisch überlasteten Männer nämlich wenig zu tun.

So ist es Provokation um der Provokation Willen und ein weiteres Skandalspiel, das unter sich mehrenden Fingerzeigen von Außenstehenden und nach Sündenböcken ausschauenden Politikern auf die Gamesbranche in spielerischer Bedeutungslosigkeit versinken wird.

Aber wer weiß? Vermutlich sickert hier nur die persönliche Abneigung bei der Betrachtung dieser schonungslosen Bilder durch. Geht "Hatred" zu weit? Als reiner Shooter für ein ausgefeiltes Medienexperiment vielleicht nicht weit genug. Für mich ist es gerade als Spaß am virtuellen Killen zu viel. Was meinen Sie? (Zsolt Wilhelm, derStandard.at, 17.10.2014)