Noch fehlt der blaue Anstrich beim "X" für die Opfer der NS-Militärjustiz: Die Form der Treppenskulptur stehe als "Zeichen der Anonymisierung, der der Einzelne unterworfen ist und die ihn zum Zeichen in einer Liste, zum X in einer Akte werden lässt ", sagt der Künstler.

Foto: cremer

Wien - Drei Minuten für ein ganzes Leben, das ist nicht viel: Richard Wadani wird am Freitag bei der feierlichen Eröffnung des Denkmals für die Opfer der NS-Militärjustiz (11:00 Uhr) nur wenig Zeit eingeräumt. Er - einer der wenigen noch lebenden Wehrmachtsdeserteure - will dort, auf dem Ballhausplatz neben dem Bundeskanzleramt und der Präsidentschaftskanzlei, dennoch über "60 Jahre Diskriminierung und 60 Jahre Tatenlosigkeit reden", wie er im Gespräch mit dem STANDARD sagt. Mit der Anwesenheit von Bundespräsident Heinz Fischer gebe es auch eine "besondere Note" - also eine offizielle Anerkennung.

Wadani ist gerade 92 Jahre alt geworden, am Donnerstag war der 70. Jahrestag seiner Desertion aus der Wehrmacht. Er sieht sich am Ziel: "Seit 2009 haben wir das Rehabilitationsgesetz, jetzt das Denkmal und die Aussicht, dass dadurch das Umdenken in der Öffentlichkeit erleichtert wird."

"Gut formulierte Information"

Dass das überdimensionale, steinerne "X" des deutschen Künstlers Olaf Nicolai für Diskussionen sorgen wird, dessen ist er sich sicher. Wadani hofft, dass eine vor Ort angebrachte "gut formulierte Information" für Interesse sorgt. Das Bild der Wehrmachtsdeserteure habe sich bereits geändert, weg seien die bösartigen Vorhalte aber nicht: "Jene, die uns Kameradenschweine oder Verräter nennen, sind jetzt vorsichtiger."

Auch Peter Pirker, ein Historiker, der sich seit langem mit der Geschichte der NS-Militärjustiz beschäftigt (mehr dazu hier), bleibt vorsichtig: "Um tatsächlich gesellschaftliche Relevanz zu haben, dafür hat die Diskussion wahrscheinlich zu spät eingesetzt. Es gibt das Phänomen der versäumten Gelegenheiten für gesellschaftliche Veränderung." Als "Massenveranstaltung wird die Eröffnung des Deserteursdenkmals ja nicht unbedingt inszeniert". Klar sei aber: "Die Diskussionen haben zu einer Enttabuisierung beigetragen."

Als Schlusspunkt soll die Enthüllung des Denkmals nicht verstanden werden, findet Magnus Koch. Der deutsche Historiker war bei der Entwicklung des Projektes dabei, er ist auch Mitglied des Personenkomitees "Gerechtigkeit für die Opfer der NS-Militärjustiz", dessen Ehrenvorsitzender Wadani ist. "Es gilt sinngemäß nach Ingeborg Bachmann: Der Verrat von unwürdigen Geheimnissen und die Tapferkeit vor dem Freund ist zeitlos gültig! Also: Es fängt erst richtig an", sagt Koch. Ein Ziel in der Vermittlungsarbeit sei "dabei eine Sensibilisierung für die Grenzen von Befehl und Gehorsam in historischen wie aktuellen Handlungssituationen".

Vorbildfunktion

Wien hat auch eine Vorbildfunktion. In Bregenz laufen die Vorbereitungen für ein Denkmal, Linz plant ebenso, und im Tiroler Ort Vomp wird mittlerweile viel über das Deserteurlager im Vomperloch diskutiert. Mehrere Veranstaltungen hat es bereits gegeben, ob auch ein Erinnerungszeichen entsteht, ist laut Pirker aber noch offen.

Oder Goldegg in Salzburg: Nach monatelangem Streit um das Gedenken an die Opfer einer SS-Hatz gibt es seit kurzem einen Gedenkstein für die 14 Ermordeten. Von März bis Mai 2015 wird dort die Wanderausstellung "Was damals Recht war ..."
Station machen. Das Wiener Denkmal könnte also "ein Impuls dafür sein, die eingeschliffenen Gedenkrituale an den Zweiten Weltkrieg im regionalen und lokalen Kontext zu verändern", glaubt Pirker. Um zu erreichen, dass das Thema "über die Dörfer" geht, meint Koch, müsse es auch "in den Schulbüchern oder bei Stadtführungen präsent sein".

Richard Wadani wünscht sich, dass es noch gelingt, einen Kontrapunkt zu den allgegenwärtigen Kriegerdenkmälern zu setzen. Dort sei "oft die Lüge von ,Sie starben und kämpfen für die Heimat' eingemeißelt". Gelinge es, die "tatsächlichen Gegebenheiten" dazustellen, sagt er: "Dann können diese Denkmäler stehen, wo sie wollen." (Peter Mayr, DER STANDARD, 20.10.2014)