Das Plastikbaby stillend erklärt eine Schauspielerin der anderen das Leben. Das Publikum in Gleichenberg folgte dem ungarischen Ensemble Krétakör über Kopfhörer mit Simultanübersetzung.

Foto: silveri / steirischer herbst

Bad Gleichenberg - "Ich bin nicht mehr Künstler, ich bin - wenn es gefällt - Politiker", sagt der Regisseur, der gleich zu Beginn des Stücks auf die Bühne tritt, um zum Publikum zu sprechen. Als eine "Statue der Schande". Árpád Schilling war - der Standard berichtete - mit seinem bereits vor einem halben Jahr in Ungarn gezeigten Stück A Párt - Die Partei - The Party zum Steirischen Herbst eingeladen. Doch aus einer geplanten deutschsprachigen Erstaufführung wurde genau genommen eine Uraufführung.

Nichts von dem Stück ist übrig, das anhand einer ungarischen Kleinstadt modellhaft zeigte, wie der Mittelstand auf Macht und nationale Politik reagiert. Man wollte den Menschen abseits der intellektuellen, künstlerischen Blase, in der man arbeitet und lebt, analysieren und verstehen. Die Lust auf so eine Arbeit verging Schilling, der seit 20 Jahren auf renommierten Bühnen - auch Opernbühnen - zu Hause ist und mit seinem Ensemble Krétakör maßgeblich das Theater Ungarns beeinflusste. Schilling nennt seine Heimat heute eine "Scheindemokratie". Einer der Beweise dafür sei, dass man einfach mit einer Kommandoeinheit im Büro der Theatermacher einfallen konnte, um alle Rechner zu beschlagnahmen. Wer Entscheidungen wie die Halbierung der eigenen Kulturförderung hinterfragt, erhält von der Staatsmacht keine Antwort.

Um den Ernst der Lage zu verdeutlichen, zieht sich Schilling bei der Premiere am Freitagabend auf der Bühne der Gleichenberg-Halle nackt aus. Von draußen hört man die Schreie von Fußballfans und die Bässe von Popsongs - man befindet sich in einer ländlichen Mehrzweckhalle.

Drinnen streckt der nackte Regisseur dem Publikum einen Stift entgegen, mit dem man eine Botschaft auf seinen Körper schreiben könne. "Ende" schreibt ein wütender Schauspieler, der aus dem Publikum kommt.

Doch das ist erst der Anfang. Das Stück, das nunmehr The Party is over - but we keep on going! heißt, zeigt nicht mehr den Mittelstand, sondern den Teil der Gesellschaft, dem Schilling selbst angehört. Wie reagieren Künstler auf Repressionen? Wer läuft mit, wer passt sich an, wer prostituiert sich - wie die Frau Schillings Lilla Sárosdi im Stück im roten Kleid, sich und andere befriedigend, als "Nutte" vorzeigt? Macht man einfach mit, solange man Anweisungen bekommt? Wie die Musiker, die im Anschluss an die Vorstellung noch ein kleines feines Konzert gaben. Oder übt man Widerstand bis zum Zusammenbruch?

Das Bild Schillings, der am Ende als körperliches Wrack mit einem Plastiksack über dem Kopf auf dem Sofa liegt, spricht wie kein anderes von der großen Verzweiflung Kunstschaffender in Ungarn. Während ihm eine Freundin die angepinkelten Hosen auszieht, versucht sie ihn zu ermuntern, doch wieder zu arbeiten, einen "guten Tschechow aus dem kleinen Finger zu schütteln", wie früher. Doch es folgt nur die totale Demütigung.

Eingemeindung mit Preisen

In Windeln, kaum noch fähig zu stehen, nimmt Schilling im Stück einen Staatspreis entgegen. Eine Statuette in Form eines Engels aus der Hand des Feindes. Es ist eine deutliche Anspielung an Imre Kertész, der Schilling schwer enttäuscht hat, als er am 20. August den Sankt-Stephans-Orden der Regierung, einer Regierung, die er schwer kritisiert hatte, annahm. Aber auch eine Anspielung auf ein umstrittenes Monument auf dem Budapester Hauptplatz, wo ein Engel die ungarischen und jüdischen Opfer des Nationalsozialismus repräsentiert.

Es ist nicht der Abend der feinen Klinge. Für feine Klingen ist für Künstler, die jederzeit mit einer unbegründeten Razzia rechnen müssen, nicht die Zeit. Trotzdem ist zwischen drastischen Bildern Platz für subtile Dialoge. Etwa, wenn ein Mann eine Doku über ein Dorf drehen will, das einen Homosexuellen in den Suizid trieb - und ihm das Kollegen mit viel Zynismus ausreden.

Ein konsequenter, ehrlicher Abend voller Traurigkeit und Zorn. Da sich die großen europäischen Häuser um Schilling und Krétakör reißen, wird man noch viel von ihnen sehen dürfen - außerhalb des EU-Staates Ungarn. (Colette M. Schmidt, DER STANDARD, 20.10.2014)