"Endlich haben wir die Organisation bei der Deutschmatura eingeführt", verkündet die Bildungsgeneralin vor der versammelten Schar der Lehrer-Untertanen. "Endlich sind die Österreicher und Österreicherinnen bereit gewesen, jede Art von Charme in der Bildung abzulegen und die Organisation einzuführen. Es musste lediglich die Lebendigkeit der Sprache abgetötet werden, das ist uns jetzt mit dem Textsorten-Kanon wie mit einer Superkanone gelungen. Bumsti. Deshalb freue ich mich gewalttätig, äh gewaltig, die Bildungsexpertin Claudia Beutel zu begrüßen."

Die Bildungsexpertin Beutel lächelt und stellt gleich zu Beginn klar: "Seien Sie versichert, ich werde jede Art von Renitenz sogleich im Keim ersticken. Bei allen effizienten Reformen ist im Namen der Bildungsgeneralität oberstes Gebot, keine Betroffenen um ihre Meinung zu fragen. Hätte man sich das nämlich angefangen, dann wäre man gar nicht zu dem sensationellen Ergebnis gekommen, die 'Zusammenfassung' in den Kanon der neun Textsorten für die neue kompetenzorientierte Reifeprüfung in Deutsch aufzunehmen."

"Bumsti, da kracht die Kanone, die bildungsministerielle Festung mit ihren Bifi-Mauern aber ist verteidigt", freut sich da auch die Bildungsgeneralin.

Organisation ist alles

"Zuvor aber etwas Allgemeines zur Einführung der Organisation der neuen Deutschmatura", fährt die etwas ältliche Jungfer Beutel (wie man früher gesagt hätte) fort. "Wir haben nämlich neun Textsorten für die neue kompetenzorientierte Reifprüfung festgelegt, die wiederum ganz bestimmte Textkompetenzen abtesten, die wiederum in Textteilkompetenzen aufzudröseln sind, die wiederum durch entsprechende Deskriptoren bei den Schülerperformanzen ausgewiesen werden."

"Wie schön organisiert", jubelt die Bildungsexpertin zusammen mit der Bildungsgeneralin, "endlich hat man zumindest im Textbereich die Hierarchie einzementiert und die Demokratie sowie die Hervorbringung kritischer Bürger abgeschafft. Natürlich war es zuvorderst dringlich nötig, den Lehrerchaoten jede Meinungsäußerung zu verbieten. Inzwischen haben die ja gehörig Angst, unser Textkompetenzen-System gar nicht anwenden zu können. Ist ja auch so sprachfeindlich und kompliziert, dass wir's selbst nicht können.

Ab und zu wagen ja einige Lehrerchaoten Expertenlästerung und behaupten, Sprachen und Texte wären etwas Lebendiges und Kreatives, aber mit denen reden wir gar nicht, sondern erklären ihnen, dass die 'Zusammenfassung' eh eine kreative Textsorte wäre. Die ganz Frechen behaupten sogar, wir würden bei unseren Befehlen gar kein deutsches Vokabular verwenden, nur weil es das Wort 'Meinungsrede' im Duden gar nicht gibt. Aber das widerlegt nur die Frechen selbst, weil man darin sieht, wie kreativ unser Textsortensystem ist. Wir arbeiten sogar so kreativ, dass wir nicht einmal mehr Deutsch reden bei unserer Befehlsausgabe für die neue kompetenzorientierte Reifeprüfung."

Das liebe Geld

Nun mischt sich die Bildungsgeneralin wiederum ein, um das wichtigste Argument für die Organisation der neuen Art vorzubringen: "Wenn man zehn Jahre an etwas gearbeitet hat und jährlich 13 Millionen ins Bifi investiert hat, kann man die Reform nicht nicht machen."

Wenn's lang genug drückt hat, kann man den Furz nicht absagen, könnte man etwas ordinär das Argument auf den Punkt bringen. Das hat die Bildungsgeneralin aber nicht gesagt, weil sie ja ihr Argument für hieb- und stichhaltig hält. Und sie hat ja auch recht damit, nur dass die Hiebe die Lehrer und Schüler über die Rübe bekommen, bis ihnen jedes wirkliche Textverständnis aus dem Gehirn geprügelt ist.

Inzwischen hat die Bildungsexpertin Beutel den Vortrag wieder an sich gerissen, weil sie ganz gierig auf ihr Lieblingsthema ist: "Textkompetenz und Textkompetenzen können aber nur kompetent abgeprüft werden, wenn die Aufgabenstellungskompetenz durch kompetent gesetzte Operatoren gewährleistet ist. Leider sind die Experten des Bifi im ersten Jahrzehnt ihrer segensreichen Tätigkeit daran gescheitert und haben beim Haupttermin der heurigen Matura versehentlich einen Nazitext ohne Kontextmaterial ausgegeben. Wahrscheinlich ist das auf die doch zu karg bemessenen 13 Millionen Bifi-Investition zurückzuführen. Ich würde dafür plädieren, das Budget im Bildungsförderungsinstitut aufzustocken und dafür größere Klassenschülerzahlen einzuführen oder das Klopapier in den Schulen abzuschaffen. Tag und Nacht denke ich darüber nach, ob man denn außer 'nennen, bestimmen, beschreiben, wiedergeben' noch weitere Operatoren den Deutschlehrern bei der Textsorte 'Zusammenfassung' erlauben soll. Keinesfalls darf dieser etwas renitenten Spezies ein selbstständig formulierter Satz gestattet sein, weil ja sonst die ganze Objektivität gefährdet wird."

"Aus dieser Hingabe heraus", fährt Frau Beutel nun ganz persönlich fort, "ist es so weit gekommen, dass ich ohne das Lieblingspapier mit den Operatoren gar nicht mehr aus dem Haus gehe." Sie lacht vergnüglich, während keiner der zuhörenden Bildungskämpfer gerührt ist. Ebenso wenig fragt jemand, ob man denn eine noch lebende Sprache so totschießen dürfe.

Abschied

Schon gar nicht wagt einer der Lehreruntertanen die Frage, was denn mit dem Literaturunterricht wäre. Denn der Lieblingsfilm der Bildungsgeneralin und der Bildungsexpertin heißt vermutlich "Fack ju Göthe". Aus dem haben sie gelernt, dass Goethe eh schon tot ist und literarische Texte demnach etwas für Archäologen, und neuere Literatur ist sowieso abgeschafft, weil ein literarischer Text ja gar keine zugelassene Textsorte ist.

Mit einem Salut aus der Textsortenkanone verabschieden sich Generalin und sogenannte Expertin, und dann ist es still, sehr still. "Zu der neuen kompetenzorientierten Reifeprüfung fällt mir nichts ein", würde Karl Kraus sagen. Aber der ist ja auch schon tot, so wie es die Literatur und das kritische Denken im zukünftigen Gymnasium bald sein werden. (Peter Reutterer, derStandard.at, 3.11.2014)