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Radovan Karadzic vor dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) in Den Haag. (Archivbild) Die Standards des ICTY werden von der bosnischen Staatsanwaltschaft nicht eingehalten.

Foto: AP/Kooren

Das Urteil fällt vernichtend aus. Ein interner Bericht des Gerichts von Bosnien-Herzegowina, der dem STANDARD vorliegt, kritisiert die unprofessionelle und ineffiziente Arbeit der Staatsanwaltschaft von Bosnien-Herzegowina. Demnach konnte das Gericht in den ersten sieben Monaten 2014 nur 23 Prozent der Anklagen bestätigen, alle anderen mussten an die Staatsanwaltschaft zurückgeschickt werden, weil sie so mangelhaft waren. Eine Anklage wurde sogar dreimal zurückgeschickt.

In einer "bestimmten Anzahl von Fällen gab es einen besorgniserregenden Rückgang der Qualität der Anklagen", heißt es in dem Bericht des Gerichts. Demnach wurden auch Anmerkungen der Richter einfach nicht beachtet. Besonders irritierend sei aber "ein signifikanter Rückgang der Anklagen wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit".

Anklagen ohne Substanz

Diese Kritik trifft den südosteuropäischen Staat, in dem von 1992 bis 1995 ein Krieg mit etwa 100.000 Toten und schweren Kriegsverbrechen stattfand, an der Achillesferse. Laut dem Report macht die bosnische Staatsanwaltschaft demnach nämlich rechtliche Qualifizierungen, die nicht jenen Erkenntnissen entsprechen, die etwa das Jugoslawien-Tribunal in Den Haag erarbeitet hat. Indem Anklagen wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vermieden würden, seien die Personen "in einer privilegierten Position, wenn es um eine mögliche Strafe geht", kritisiert der Report.

In den Anklagen fehle es an Beschreibungen der Taten, die Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit beweisen würden, und an der Beschreibung der Konsequenzen für die Opfer. In technischen Begriffen wird abstrakt vom "Entzug des Lebens" geschrieben oder davon, dass jemand "unrechtmäßig eingesperrt" worden sei, ohne aber die näheren Umstände und die Methoden der Verfolgung zu beschreiben.

Physischer Missbrauch

Als Beispiel führt das Gericht eine Anklageschrift gegen einen ehemaligen Wärter des Lagers in Batković an. Gligor B. wurde heuer im April festgenommen. Der Gerichtshof von Bosnien-Herzegowina kritisiert insbesondere, dass in der Anklage in dem Fall die Verbrechen, die in Batković begangen wurden, nicht als Folter, Vergewaltigung und unmenschliche Behandlung beschrieben werden. Es heißt dort lediglich, dass den Insassen des Lagers "mentaler und physischer Schmerz" zugefügt worden sei. "Und das, obwohl dies laut dem ICTY (dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien, Anm.) unter Folter und Vergewaltigung subsumiert werden kann", so die Kritik an den mangelhaften juristischen Kenntnissen.

Bei einigen Opfern seien nicht einmal die tödlichen Konsequenzen der Verbrechen in der Anklage beschrieben worden. In einem Fall wird von "physischem Missbrauch" gesprochen, der zu physischen und mentalem Schmerz geführt habe, obwohl man anhand der Beweise davon ausgehen kann, dass das Opfer starb, nachdem es geschlagen wurde.

"Anhaltezentrum" statt "Lager"

Das Lager Batković würde zudem in der Anklageschrift als "Anhaltezentrum" bezeichnet. Das ist besonders zynisch, weil genau die Frage der Bezeichnung während des Kriegs eine Rolle spielte.

So gibt es einen Bericht von 1994, wonach die Wächter- nachdem das Internationale Komitee des Roten Kreuzes das Lager verlassen hatte - jene Leute schlugen, die "Lager" als Absender auf ihre Briefe schrieben. Sie wurden dazu angehalten, "Zentrum" zu schreiben. Dies wurde gemacht, um dem Lager eine harmlosere Umschreibung zu geben.

In der Anklage fehle auch, dass die Opfer aus ethnischen oder religiösen Gründen verfolgt wurden, wird kritisiert. Denn mit der Anklageschrift könnte das Gericht möglicherweise in seinem Urteil befinden, dass es sich um Verbrechen während eines bewaffneten Konflikts handeln würde, obwohl das ICTY mehrmals festgestellt habe, dass es sich um eine systematische Attacke gegen die nichtserbische Bevölkerung handelte, kritisiert der Gerichtshof die Qualifizierung der Verbrechen.

Vergewaltigung "gegen ihren Willen"

In einer anderen Anklage, wo es um ein Vergewaltigung geht, steht geschrieben: Der Angeklagte "vergewaltigte (Name des Opfers) gegen ihren Willen", so als würde es möglich sein, dass man jemanden mit dessen Einverständnis vergewaltigt. Das Gericht kritisiert auch, dass Schutzmaßnahmen für Zeugen, die im bosnischen Gesetz vorgesehen sind, nicht richtig angewendet würden. So würden Zeugen erst zu spät darüber informiert, dass sie unter einem bestimmten Schutz aussagen können. Zudem würden anstatt der Initialen volle Namen der Opfer in der Anklage geschrieben, was gegen den Opferschutz steht.

Abgesehen davon seien einige Dokumente, die von der Staatsanwaltschaft angehängt wurden, weder Originale noch zertifizierte Kopien, wie dies vorgeschrieben ist. Weiters wurden offenbar nicht alle Zeugeneinvernahmen in Anklagen aufgenommen. Im Zuge der geänderten Anklagen - die weniger Zeugeneinvernahmen und Dokumente umfassten - sei es aber riskant, so der Bericht, dass "die Staatsanwaltschaft diese Teile nicht als zusätzliche Beweise verwenden wird können". Diese Zeugeneinvernahmen würden aber genau jene Verbrechen beschreiben, die nicht durch die Faktenbeschreibungen erfasst seien.

Postenschacher

Viele bosnische Bürger leiden unter der fehlenden Rechtsstaatlichkeit. Dazu gehört ein riesiger Berg an unbearbeiteten Gerichtsfällen sowie Nepotismus und Parteilichkeit in der Justiz. Insider berichten davon, dass einige wenige Familien in Bosnien-Herzegowina bestimmen würden, wer welchen Posten bekomme, dass demnach die Zuteilung von Jobs nicht nach Leistung entschieden werde. Bei diesen "Deals" würden Mitglieder aller drei großen Volksgruppen "zusammenarbeiten".

Im letzten "Fortschrittsbericht" der EU zu Bosnien-Herzegowina, den man besser "Stillstandsbericht" nennen sollte, wird der Mangel an Reformen im Justiz kritisiert. "Die Justiz braucht eine Verstärkung der Disziplinarinstrumente und adäquate Vorschriften bei Interessenkonflikten", heißt es dort.

In einem Bericht des bosnischen Magazins "Sloboda Bosna" wurde vergangene Woche auch die unangemessene Verwendung von IPA-Fonds der EU durch die Staatsanwaltschaft kritisiert. So soll der Generalstaatsanwalt Goran Salihović von dem Geld etwa einen Volkswagen Touareg um 115.000 Mark, also etwa 59.000 Euro, gekauft haben. Die Staatsanwaltschaft hat alle Anschuldigungen zurückgewiesen. (Adelheid Wölfl, derStandard.at, 20.10.2014)