Die Hearings mit den designierten EU-Kommissaren lenkten die medialen Scheinwerfer mehr als sonst auf das europapolitische Geschehen und warfen eine Menge Licht in die Reihen des Europäischen Parlaments. Dafür gebührt den MedienvertreterInnen Österreichs großes Lob. Die allermeisten haben die enorme demokratiepolitische Bedeutung der Anhörungen für Europa, seine Mitgliedstaaten und BürgerInnen verstanden: Wir prüfen genauestens, wer in Zukunft Gesetzesvorschläge machen kann.
Mehr als Defensio
Das Vorgehen des Europäischen Parlaments, jedes zukünftige Kommissionsmitglied anzuhören und auf fachliche Kompetenz zu prüfen – mehr als eine Defensio –, ist einzigartig. Kaum vorstellbar, dass Regierungsmitglieder solch ein Prozedere vor einem nationalen Parlament durchlaufen müssten – zumindest nicht hierzulande. Die Zeit der Hearings sind Tage der Demokratie.
Leider war die Berichterstattung nicht im üblichen Maße ausgewogen. Es war die "große Koalition", die hier immer wieder in den Blättern herumgeisterte. So viel vorweg: Das Europäische Parlament kennt keinen Regierungs- oder Klubzwang, ebenso wenig verfügt es über eine fixe Koalition. In der täglichen Praxis geht es den Europaabgeordneten im Vorfeld von wichtigen Abstimmungen sehr wohl darum, Bündnisse zu schließen. Das Ziel ist es, Politik zu machen und eine Mehrheit zu finden, um einen Legislativakt überhaupt durch die Abstimmung zu manövrieren.
Mehrheit nicht gleich #GroKo
Genauso funktioniert das im gegenteiligen Szenario: Ein Gesetzesvorschlag muss um jeden Preis zurückgewiesen werden? Den Bürgerinnen und Bürgern entstünden Nachteile und außerdem würden sie das letzte bisschen Vertrauen verlieren? Und wieder: ausschwärmen, den Dialog und eine Mehrheit suchen, Pro- und Contra-Positionen abschätzen und am Ende ans Ziel kommen. Die eingegangenen Allianzen können je nach Politikbereich unterschiedlich aussehen. Die zwei stimmenstärksten Fraktionen, Christdemokraten und Sozialdemokraten, arbeiten oft zusammen, befinden sich aber in keiner Koalition.
Der Vorwurf, die Ablehnung der slowenischen Kommissionskandidatin Bratušek sei eine Handlung der Abgeordneten der "großen Koalition" gewesen und Teil eines Deals, ist zurückzuweisen. Frau Bratušek wurde abgelehnt, weil sie inhaltlich zu schwach und ihre Argumente zu dünn waren. Tanja Fajon, Sozialdemokratin und überaus erfahrene Europapolitikerin, wäre als Nachnominierte wünschenswert gewesen – doch die slowenische Regierung hatte diesbezüglich einen anderen Standpunkt. Violeta Bulc sollte es werden.
Jean-Claude Juncker will Bulc für das Verkehrsressort. Das EU-Parlament muss sich also auf zwei weitere Hearings am Montag einstellen, schließlich wird jeder und jede geprüft - und zwar von den 751 europäischen Abgeordneten, nicht von einer Koalition oder Opposition.