Casali hält seine Hände vor dem Bauch gefaltet, ein wenig so, als würde er beten. Spätrot nimmt einen großen Schluck aus seinem Bierkrug, den er wie die meisten anderen bei dem Rundgang mit sich führt. Casali, Spätrot, Slivo – all diese Namen tragen die jungen Männer nur innerhalb ihrer Verbindung und innerhalb des Österreichischen Cartellverbands, es sind ihre Vulgos. Casali haben es in seiner Jugend die mit Rum gefüllten Schokoladekugeln angetan, Spätrot kommt aus einer Weinregion, und Slivo heißt eigentlich Florian Kamleitner, 25 Jahre, Student an der Technischen Universität Wien. "Das kommt vom Schnapsbrennen."

Die Runde junger Cartellbrüder blickt konzentriert in Richtung Fenster. Dort, im schräg einfallenden Licht, sitzt Nestroy, der Älteste in der Runde. "Das Wappen hat eine gewisse Bedeutung", sagt Nestroy, bürgerlich Christoph Wiesinger, mit ruhiger Stimme, während er sich von der Fensterbank erhebt und langsam in Richtung des Wandmosaiks geht. "Es symbolisiert unsere vier Prinzipien: das Buch für die Wissenschaft, der Kelch mit Blumenkranz für die Freundschaft, das Kreuz für die Religion und Rudolf der Stifter als Symbol der Patria." Casali, Spätrot, Slivo, Probus, Totti und Tux nicken wissend mit dem Kopf – schließlich hören sie diese Worte nicht zum ersten Mal. Scientia, Amicitia, Religio und Patria – das sind die vier Grundwerte des Österreichischen Cartellverbands.

Das Haus zum Weißen Stern in der Lenaugasse, gleich hinter dem Wiener Rathaus, gehört der Rudolfina, einer der größten Studentenverbindungen innerhalb des CV, dessen 48 Verbindungen derzeit rund 13.000 Mitglieder zählen. Hier, auf der sogenannten Bude, treffen sich die Mitglieder. Wer dabei sein darf, bestimmen die vier Prinzipien, wie Slivo erklärt: "Im Grunde ist es so, dass die vier Werte Aufnahmekriterien darstellen. Wer nicht alle vier erfüllt, kann kein Mitglied werden."

"Wer aus der Kirche austritt, der geht auch hier." - Christoph Wiesinger, Mitglied der Verbindung Rudolfina.

Der vierteilige Wertekompass ist richtungsweisend für die gesamte Laufbahn eines ÖCV-Mitglieds. Jener Pol, der die Haltung zu gesellschaftspolitischen Themen am meisten beeinflusst, ist Religio.

Lukas Wagner

Religio, das bedeutet für den Österreichischen Cartellverband und alle Studentenverbindungen unter seiner Ägide das Bekenntnis zur römisch-katholischen Kirche. Seit vor 150 Jahren die ersten katholischen Studentenverbindungen entstanden sind, ist der Glaube identitätsstiftend und bis heute der stärkste Abgrenzungspunkt zu den deutsch-nationalen Burschenschaften. Es gibt ein eigenes ÖCV-Gebet, ein Höhepunkt der jährlichen Hauptversammlung ist der Gottesdienst, und unter den Mitgliedern befinden sich einige Geistliche. Das Bekenntnis zur katholischen Kirche ist auch das Prinzip, das bei vielen Verbindungen am ehesten zum Ausschluss führen kann. Oder wie es Rechtswissenschafter Wiesinger ausdrückt: "Wer aus der Kirche austritt, der geht auch hier."

Vor der Kirche in Baden bei Wien finden sich an einem sonnigen Tag im Mai die Verbindungen des ÖCV bei der jährlichen Cartellvollversammlung ein, um ihren Marsch durch die Stadt zu starten. Jedes Jahr wechselt der Vorstand des Cartellverbands – und mit ihm auch der Ort, an dem die Vollversammlung stattfindet.
Paroli

Für den Neos-Nationalratsabgeordneten Gerald Loacker, ehemaliges Mitglied der Norica (zu der auch Ex-ÖVP-Chef Michael Spindelegger gehört), war nach seinem Austritt aus der Kirche klar, dass er damit auch nicht in seiner Verbindung bleiben konnte – auch wenn sich der Austritt bei ihm etwas länger hinzogen hatte. "Nachdem ich mit dem Studium fertig war, bin ich heim nach Vorarlberg und ein Jahr später aus der Kirche ausgetreten", sagt Loacker.

Eine Selbstanzeige beim Verbandsgericht blieb folgenlos. Loacker wurde erst fünf Semester später aus der Verbindung ausgeschlossen, weil er den Mitgliedsbeitrag nicht mehr bezahlte: "Da habe ich ihnen den glücklichen Ball aufgelegt, dass sie nicht eine Glaubensentscheidung treffen mussten, sondern eine ganz banale Entscheidung über Cash. Das war einfacher."

"Paradeschwule wird man bei uns nicht finden"

Auf der Bude der Rudolfina äußert sich auch Tux – Lorenz Konrad Stöckl – zu dem Verhältnis zur Kirche. Er ist zurzeit das offizielle Sprachrohr des CV. Seine Verbindung hat in diesem Jahr als sogenannter Vorort den Vorsitz im Verband über, und Stöckl ist als Vorortspräsident für ein Jahr der höchstrangige Repräsentant des Cartellverbands. Wie so viele verweist er, gefragt nach den ethischen Prinzipien des CV, erst einmal auf die Position der katholischen Kirche. So sei Abtreibung für den Verband offiziell noch immer ein Problem, wie Stöckl erklärt: "Die Position des CV ist da relativ klar: grundsätzlich umfassender Lebensschutz. Mit der Fristenlösung, wie sie jetzt ist, kann man eigentlich nicht zufrieden sein."

So wie für die römisch-katholische Kirche selbst ist auch für den CV Homosexualität ein Thema, mit dem man sich nicht leichttut. Danach gefragt, lavieren viele Gesprächspartner herum. Es gebe zwar mehrere offen homosexuelle CVer, sagt Stöckl, fügt aber hinzu: "Man wird wahrscheinlich keine Paradeschwulen bei uns finden." Gegen eine zivile Partnerschaft eines homosexuellen Paares spreche für ihn nichts, erklärt Stöckl. Ob die Privilegien einer Ehe auf eingetragene Partnerschaften umlegbar seien, stellt er aber infrage.

Lukas Wagner

Wiesinger als der Älteste in der Runde stellt die Position schließlich klar: "Die offizielle Position ist: Homosexualität ist ein Faktum, aber sie darf nicht ausgelebt werden." Da jeglicher Geschlechtsverkehr außerhalb der Ehe eine Sünde sei und Homosexuelle nicht heiraten dürften, sei das Thema "auch schon wieder in kirchlicher Sicht erledigt".

Das zweite Prinzip, das wie das erste zu einem Ausschluss führen kann, lautet Scientia – die Wissenschaft. Das Berufen auf ebenjene und das Hochhalten des universitären Lebens hat aber bei weitem keinen so tiefen Einfluss auf moralische Fragen. Dennoch ist es etwa bei der Rudolfina für ein Mitglied, das sein Studium abbricht, auch mit dem Verbindungsleben vorbei.

Die Frage der "Heimat"

Lukas Wagner

Während Religion und Wissenschaft als Prinzipien seit Gründung des CV wenig Änderungen durchgemacht haben, verhält es sich beim dritten Prinzip Patria, dem Bekenntnis zum Heimatland, etwas anders. Obwohl Engelbert Dollfuß 1920 einen Arier-Paragrafen im CV nicht durchbrachte und 1932 die Cartellversammlung beschloss, eine Mitgliedschaft in der NSDAP für unvereinbar zu halten, wurde dieser Beschluss 1933 widerrufen. 1935 kam es in Wien sogar zu tödlichen Krawallen zwischen CV-Studenten und jüdischen Studenten. Im CV standen sich zwei Flügel nahezu unversöhnlich gegenüber: ein nicht offen nationalsozialistischer, aber gegenüber Deutschnationalen aufgeschlossener unter der Führung des späteren Bundeskanzlers Josef Klaus (Rudolfina Wien) und ein betont patriotisch-österreichischer rund um den späteren Nationalratspräsidenten Alfred Maleta (Carolina Graz).

Mittlerweile hat sich das Prinzip Patria erneut geändert, wie Lukas Mandl, ÖVP-Abgeordneter im Niederösterreichischen Landtag und Mitglied der Rhaeto-Danubia, erklärt: "Die Prinzipien des ÖCV sind deshalb Prinzipien, weil sie zeitlos sind. Auch das liegt in der Freiheit jedes Mitglieds, selbst zu entscheiden, was bedeutet das Prinzip für mich? Was bedeutet Patria? In Österreich, Europa auch eine Heimatliebe zu leben. Was das in der konkreten Situation bedeutet, muss jedes Mitglied in dieser selbst beantworten." Auch müssen Mitglieder nicht österreichische Staatsbürger sein, sofern sie sich zu Österreich in einem größeren Europa bekennen. Patria ist ein Prinzip, gegen das wohl kaum ein Mitglied allzu schnell verstoßen wird und das auch in offiziellen Äußerungen des CV im Vergleich zu den ersten beiden kaum offensiv thematisiert wird.

Das letzte, im Umgang der Mitglieder miteinander essenziellste Prinzip, ist aber weder die Religion mit ihren unzähligen Verhaltensregeln noch die Universität, Ursprung des gesamten Verbandes, sondern Amicitia – die Lebensfreundschaft. Sie ist der Kitt, der die Mitglieder innerhalb der einzelnen Verbindungen und das ganze Gefüge des Österreichischen Cartellverbands zusammenhält. Sie ist der Vertrauensvorschuss, den die Verbindungsmitglieder untereinander genießen; das Versprechen, einander zu helfen, wenn die Situation sich offenbart und man selbst in der Position dazu ist. Sie ist zu Ende gedacht aber auch das Prinzip, das Freunderlwirtschaft, Bevorzugung und Bildung von Seilschaften ermöglicht.

Netzwerk und Lebensfreundschaft

Lukas Wagner

Das Prinzip Amicitia offenbart sich auf vielerlei Wegen. Nicht zuletzt damit das Netzwerk gefördert wird, erkennen einander fremde CVer in der Öffentlichkeit an der winzigen grünen Nadel, die sie am Revers tragen. Außerdem haben sie Zugang zu einem Online-Gesamtverzeichnis der Mitglieder, in dem sie nachschlagen können, mit wem sie es da zu tun haben, oder ob ein Bewerber für einen Job vielleicht ihren Wertekanon teilt. Und schließlich ist da noch das Du-Wort, mit dem auch der jüngste Fuchs den hoch dekorierten Alten Herren ansprechen darf. Durch das Prinzip der Lebensfreundschaft ist man somit als junger CV-Student heute unter anderem mit dem Vizekanzler, dem Präsidenten des Verfassungsgerichtshofs und dem Raiffeisen-Generalanwalt per du.

Die Mitglieder stellen den CV gerne als Verband mit vielen Facetten dar, der prinzipiell jeder Person offensteht – solange diese Person männlich, katholisch und Student ist (oder ein Studium abgeschlossen hat).

"Das ist das Besondere an unseren Studentenverbindungen: Man kommt zum CV, wenn man noch nichts ist."

Laut Florian Tursky, dem ehemaligen Vorortspräsidenten des Cartellverbands, gibt es neben diesen Bedingungen aber keine weiteren Voraussetzungen für eine Aufnahme: "Das ist das Besondere an unseren Studentenverbindungen: Man kommt zum CV, wenn man noch nichts ist" – und wird im besten Fall beim Cartellverband zu etwas.

Stationen im Verbindungsleben

Aus Fuchsen werden Burschen werden Alte Herren – am Anfang jeder Verbindungskarriere steht ein Probejahr. Die Bundesbrüder wollen sich davon überzeugen, ob der Anwärter ihren Vorstellungen entspricht. Viele der Fuchsen waren während ihrer Schulzeit bereits Mitglieder im Mittelschülerkartellverband (MKV) und finden so den Weg in eine CV-Verbindung. Andere werden von Freunden oder älteren Familienmitgliedern angeworben oder stoßen durch Zufall auf den Cartellverband. Jeder Neuling bekommt einen verbindungsälteren Leibburschen zur Seite gestellt. Dieser soll ihn in der Eingangsphase unterstützen.

Um ein vollwertiges Mitglied zu werden, muss der Fuchs Prüfungen ablegen. Liedtexte und die Verhaltensregeln für das studentische Zusammenleben, der Komment, werden abgefragt und das Wissen über politische Zusammenhänge, geschichtliche Themen und rechtliche Belange überprüft. Nach bestandenem Test wird er als Bursch in den Lebensbund der Verbindungsmitglieder aufgenommen. Dies wird durch einen Eid besiegelt.

Fuchs
Lukas Wagner

Mit der Aufnahme kommen gewisse Pflichten auf die jungen Männer zu. Sie übernehmen Bardienste auf der Bude und üben Ämter in der Verbindung aus. Der Senior ist der Chef des aktiven Teil der Verbindungsbrüder – der Studenten. Er vertritt die Verbindung nach außen. Der Fuchsmajor kümmert sich um die Neuanwärter. Außerdem sind allgemeine Vereinsposten, wie Kassier und Schriftführer, zu besetzen, denn jede Verbindung ist ein individuell eingetragener Verein. Gerne wird betont, dass alle Posten demokratisch gewählt werden. Verpflichtende Studienwochen und Teilnahme an Veranstaltungen einer hauseigenen Bildungsakademie sollen die Mitglieder zusätzlich fördern. Ziel ist laut Verband die "bestmögliche Vorbereitung auf die Herausforderungen in Beruf und Gesellschaft."

"Die Teilnahme an den Konventen meiner Verbindung haben mir bei meiner politischen Arbeit sicher geholfen", sagt Lukas Mandl von der Volkspartei. "Zu erleben und zu lernen, wie Argumentation läuft, auch auf Meinungen anderer einzugehen, selbst gute Argumente zu finden, das ist schon eine gute Schule, und die möchte ich nicht missen."

Von Alten Herren und jungen Damen

Bursche
Lukas Wagner

Nach dem Abschluss des Studiums ziehen sich die Alten Herren, auch Philister genannt, aus dem aktiven Teil des Verbindungslebens zurück. Auf der Bude sind sie meist nur mehr bei Veranstaltungen anzutreffen, um sich mit den Fuchsen, Burschen und anderen Alten Herren auszutauschen. "Ich habe Kontakt mit Bundesbrüdern – manchmal im Alltag, manchmal telefonisch. Meine eigene Verbindung sehe ich bis zu viermal im Jahr, wenn ich Zeit habe", sagt ÖVPler Mandl.

Viele Alte Herren befinden sich im Berufsleben an einem Punkt, der nur wenig Freizeit zulässt. Sie sind in der Wirtschaft in hohen Positionen oder politisch tätig. Aber nicht nur CVer sitzen in der Regierung und im Nationalrat, sondern auch Frauen aus dem Umfeld des Verbandes. Innenministerin Johanna Mikl-Leitner ist Mitglied der Mädchenverbindung Babenberg Klosterneuburg. Die ÖVP-Nationalratsabgeordnete Michaela Steinacker, ehemalige Raiffeisen-Geschäftsleiterin, war Mitbegründerin der Frauenverbindung Norica Nova im Jahr 1985 und auch die frühere ÖVP-Frauenministerin Maria Rauch-Kallat hält eine Ehrenmitgliedschaft in der Verbindung. All diese Verbindungen sind aber wohlgemerkt keine Mitglieder des ÖCV.

"Netzwerke wurden über Jahrhunderte hinweg beruflich von Männern geknüpft und auch ausschließlich von Männern genutzt."
Alter Herr
Lukas Wagner

Die Norica Nova weist jedoch eine große Nähe zur ÖCV-Verbindung Norica selbst auf. Zusammen mit der Männerverbindung organisieren ihre Mitglieder gemeinsame Veranstaltungen, und auch das für den CV typische Du wird den Frauen von Anfang an angeboten.

Die Norica war es auch, die zu Beginn der 90er-Jahre Frauen als gleichwertige Mitglieder aufnehmen wollte. Doch das ÖCV-Gericht, ein verbandsinternes Gremium, entschied dagegen. Obwohl es seit den 1960ern das meistdiskutierte Thema im CV ist, ist die Mehrheit der Mitglieder immer noch gegen eine Aufnahme von Frauen. Maria Rauch-Kallat wurde kurz nach der Gründung der Norica Nova Mitte der 1980er-Jahre Ehrenmitglied und hat diese Position in zwei weiteren Frauenverbindungen inne.

Auch Gerald Loacker, Ex-Mitglied der Norica, erinnert sich noch gut an die Zeit, als seine Verbindung sich entschloss, Frauen aufzunehmen.

"Also, es war ein intensiver Kampf. Die Norica Nova hat sich ursprünglich als Parallelverbindung, als Frauenverbindung gegründet und ist dann sehr rasch von der Norica, das ist doch eine der fortschrittlichsten Verbindungen im ÖCV, eingeladen worden – sozusagen –, sich zu verbinden", sagt Maria Rauch-Kallat.
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Er kam aus einer Mittelschulverbindung, die Mädchen bereits als Vollmitglieder akzeptierte, und bemühte sich als Consenior, so etwas wie der Obmannstellvertreter der Verbindung, dies auch bei der Norica zu ermöglichen: "Als wir die Aufnahme von Frauen als Vollmitglieder beschlossen haben, mussten wir das – um innerhalb der Verbindung eine Mehrheit zu bekommen – so beschließen, dass der Beschluss hinfällig wird, wenn der Cartellverband aufgrund dieses Beschlusses die Norica ausschließen würde." Genau das trat auch ein. Das ÖCV-Gericht, ein verbandsinternes Gremium, entschied dagegen. Loacker findet das beschämend.

Das Problem ist jedoch nicht die Antiquiertheit der älteren Mitglieder. Wieder und wieder sind es die aktiven, jungen Mitglieder, die gegen die Aufnahme von Frauen stimmen. Auch der im Juli 2013 abgelöste Vorortspräsident Florian Tursky verteidigt diese Haltung. "Man kennt das: Wenn fünf Burschen gemeinsam in eine Bar gehen und das erste Mal ist eine Frau dabei, ändert sich das Sozialverhalten. Ich möchte gar nicht sagen, dass es sich negativ ändert, aber es ändert sich", sagt er. Für Rauch-Kallat ist das ein Problem mit langer Tradition – auch wenn sie die Nichtaufnahme von Frauenverbindungen in den Cartellverband per se noch nicht als Diskriminierung bezeichnet.

"Netzwerke wurden über Jahrhunderte hinweg beruflich von Männern geknüpft und auch ausschließlich von Männern genutzt."
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Wenn Maria Rauch-Kallat von der Norica spricht und sie als "eine der fortschrittlichsten Verbindungen" bezeichnet, weil sie Frauen in den CV aufnehmen will, dann markiert das den progressiven Rand des Spektrums.

Am anderen Rand stehen zum Beispiel die Franco-Bavaria oder die Marco-Danubia. Beide sprechen sich klar gegen Frauen im Cartellverband aus. Auch in anderen Bereichen verhalten sie sich reaktionär. Die Franco-Bavaria huldigt heute noch Engelbert Dollfuß, dem Gründer des austrofaschistischen Ständestaates. Die Marco-Danubia hat selbst in CV-Kreisen den Ruf, besonders elitär und konservativ zu sein. Häufig wird die Verbindung außerdem wegen eines einzelnen Mitglieds kritisiert – Günther Schneeweiß-Arnoldstein.

Schneeweiß-Arnoldstein veröffentlichte Texte auf der mittlerweile nicht mehr existierenden antisemitischen Internetseite "kreuz.net". Mittlerweile ist er selbst Herausgeber der Seiten "kreuz-net.info" und "couleurstudent.at". Beide Websites fallen durch rassistische und homophobe Texte auf. So lautet der Titel eines Artikel auf "couleurstudent.at": "Verkommt der Traungau zu einem Schwuchtel-Klub?" In dem Beitrag geht es um eine Grazer CV-Verbindung und deren "Homo-Problem". Auf "kreuz-net.info" liest man: "Die Nazis waren ebenso eine sozialistische Partei. Wieso sich die Linken von den Nazis distanzieren, kann nur durch ihre Feigheit begründet werden."

Weder die Marco-Danubia noch der Cartellverband haben Schneeweiß-Arnoldstein bisher ausgeschlossen, in einer Stellungnahme im Jahr 2013 distanziert sich der ÖCV nach Medienberichten jedoch von seinen Aktivitäten. Andreas Peham vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands ist sich sicher, dass es auch im katholischen Verbindungswesen Menschen gibt, die eine Nähe zum Deutschnationalismus haben: "Rund um Schneeweiß-Arnoldstein, wirklich im rechten Flügel des katholischen Korporationswesen, gibt es auch anti-demokratisch Gesinnte. Die nehmen eine militante Frontstellung gegenüber unserer liberalen Demokratie und gegenüber der Republik ein. Das wird auch ganz offen kommuniziert."

Wie auch die anderen Mitglieder der verschiedenen Verbindungen bekräftigen die sechs jungen Männer im Haus zum Weißen Stern immer wieder, dass nicht von "dem" CV gesprochen werden kann. Jede Verbindung sei eigenständig, und dadurch ergebe sich eine große Bandbreite innerhalb des Verbands. Die Mitglieder der einzelnen Verbindungen sorgen für eine noch größere Vielfalt. Das Spektrum ist allerdings klar abgesteckt: Wer mit Religio, Scientia, Patria und Amicitia nicht d´accord ist, kann kein Teil der angeblichen Vielfalt sein.

Die Werte des Österreichischen Cartellverbands decken sich politisch besonders mit einer Partei: der ÖVP. Über ihr Verhältnis zum CV lesen Sie im nächsten Teil der Serie.

(Text, Videos und Recherche: Paroli Magazin: Moritz Moser, Mara Simperler, Harald Triebnig, Lukas Wagner, Levin Wotke, Datenverarbeitung: Paroli Magazin: Fabian Lang, Grafiken: Markus Hametner, Florian Gossy, Wolfram Leitner, Produktion: Sebastian Pumberger, derStandard.at, 28.10.2014)