Der Handel muss sich warm anziehen.

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Wien - Den Österreichern fehlt es weiterhin an Finanzkraft für Konsum und Lust auf Shoppen. Dem Einzelhandel drohen heuer zum vierten Mal in Folge reale Einbußen. Nach mageren Umsätzen im Frühjahr brachen diese seit September erneut stark ein. Dass November und Dezember die Jahresbilanz noch retten, wird innerhalb der Branche stark bezweifelt.

Offizielle Zahlen sind noch ausständig. Mit Rückgängen kämpfen aber vor allem Textil- und Schuhhändler, wie die Baustoffbranche, erfuhr DER STANDARD. Auch der Lebensmittelhandel leidet, während sich Drogerien der Abwärtsspirale noch entziehen konnten. Elektrohändlern macht einmal mehr ein rasanter Preisverfall zu schaffen.

Sinkende Verkaufsflächen

Die vergangenen zwei Monate waren für mehrere Branchen unerfreulich, bestätigt René Tritscher, Geschäftsführer der Sparte Handel der Wirtschaftskammer. Um die Entwicklung fürs Gesamtjahr zu drehen, braucht es, wie er sagt, rasch ein deutliches Anziehen der Geschäfte. Im ersten Halbjahr stagnierten sie in Österreich auf 26,5 Milliarden Euro - bei erstmals sinkender Verkaufsfläche.

"Lebenserhaltungskosten, etwa für Mieten, steigen, die Leute verdienen nicht mehr, und Angst um Jobs geht um," sagt Thomas Reutterer, Handelsexperte an der Wirtschaftsuni Wien. Für den Konsum bleibe weniger übrig - die Gefahr einer von Ökonomen befürchteten Deflation schwebe im Raum.

Sinkende Kaufkraft

Stephan Mayer-Heinisch macht anhaltende Steuer- und Preisdebatten dafür verantwortlich, weist aber auch auf starke Veränderung der Kunden hin: Sie seien wählerischer geworden und besser informiert, agierten eher nachhaltig als konsumnarrisch, sagt der Präsident des Handelsverbands.

Anderen wiederum gehe rund um den 20. jeden Monats schlicht das Geld aus. Sinkt Kaufkraft, braucht sich keiner zu wundern, dass der Konsum abnimmt, meint Gewerkschafter Karl Proyer und verweist auf die Notwendigkeit einer Lohnsteuerreform. "Die Leute brauchen wieder eine Perspektive."

Online-Konkurrenz

Diese fehlt auch vielen Händlern. Neue internationale Anbieter nagen an ihrer Substanz. Vor allem aber kostet sie das überwiegend aus dem Ausland gesteuerte Online-Geschäft Kraft. Mehr als die Hälfte der rund sechs Milliarden Euro, die sich die Österreicher ihre Internet-Einkäufe kosten lassen, fließen derzeit außer Landes.

Österreichs Händler haben im Wettbewerb gegen Webriesen wie Amazon freilich schlechte Karten. Dafür sorgen schon andere steuerliche und soziale Rahmenbedingungen. Ein ungleich geschulterter Kostenbrocken wurde jüngst neu verteilt: Seit wenigen Monaten müssen sich ausländische Online-Plattformen über eine bevollmächtigte Firma an den Entsorgungskosten für alte Elektrogeräte in Österreich beteiligen. Amazon bezahlte dafür bisher keinen Cent.

Verpackungsstreit

Das gleiche Modell wollen Tritscher und Proyer auch für die Entsorgung von Verpackungsmaterial - Gespräche mit den Ministerien über eine Kostenbeteiligung internationaler Internetanbieter laufen. Die entsprechende Gesetzesnovelle könnte mit Jänner 2015 in Kraft treten. "Wir brauchen faire Spielregeln. Derzeit werden die Händler in Österreich doppelt bestraft", beklagt Tritscher.

Aus Proyers Sicht haben viele große österreichische Händler den Online-Handel nach wie vor nicht entdeckt. Was Mayer-Heinisch relativiert. Abgesehen von dünnen Eigenkapitaldecken wüssten viele freilich nicht, worin genau sie investieren sollten: Da werde zwei Jahre lang mit hohem Aufwand etwas Neues aufgebaut - und dann sehen die Märkte aufgrund der schnelllebigen Zukunftstechnologien wieder ganz anders aus.

Neue Konzepte

Mayer-Heinisch sieht brachliegendes Potenzial für den Handel auch abseits des Netzes in der Entwicklung der Orts- und Stadtkerne Österreichs: Es gehe um die Rettung von Stadtzentren und der darin verbliebenen Händler. Dafür brauche es aber keine individuellen Rezepte einzelner Bürgermeister, sagt er, sondern politischen Willen und Anschubfinanzierungen. "Das Land rinnt aus. Dieses zentrale Thema darf nicht Gemeinden überlassen werden."

Entschleunigung

Was die Bedeutung der Sonntagsöffnung in Wien für den Handel betrifft, driften die Expertenmeinungen auseinander. Wien lasse sich ohne geöffnete Geschäfte 100 Millionen Euro Zusatzumsatz entgehen, sagt Mayer-Heinisch - "ein Spiel um den Standort". Reutterer hält den gesamtwirtschaftlichen Effekt des Sonntagsshoppens im Sinne einer Entschleunigung für überschätzt. Österreich könne bei Touristen auch mit Kulturschmäh punkten: In Europa hackle man eben nicht rund um die Uhr. (Verena Kainrath, DER STANDARD, 23.10.2014)