Auch in einer kleinen Ortschaft an der Barentssee bekommen die einfachen Leute den Druck der Oligarchie zu spüren: Elena Liadova in Andrey Zyangintsevs "Leviathan".


Foto: Viennale

Besuch auf der Erde, als diese noch im Mittelalter dahindämmerte: Aleksei Germans Film "Hard to be a God" ist eine Allegorie auf eine antiaufklärerische Gesellschaft.

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Kolya hat Verstärkung aus Moskau geholt. Das ist dringend nötig, denn der mächtigste Mann der Gegend hat es auf ihn abgesehen. Jedenfalls auf sein Haus und seine Werkstatt, ein kleines Anwesen mit tollem Blick auf das Meer. Es ist keine idyllische Gegend, in der Kolya lebt, im hohen Norden Russlands, fast schon mit Blick auf die Arktis. Es ist eine Gegend, in der es für Feindschaften eigentlich zu kalt ist. Aber wie es so schön heißt: Es kann der Beste nicht in Frieden leben, wenn es dem korrupten Bürgermeister nicht gefällt.

In Andrey Zyagintsevs Leviathan bekommt man eine nicht nur der geografischen Umstände wegen düstere Schilderung der Verhältnisse im heutigen Russland. Deutlich ist der Film als Parabel ausgelegt, in der das ganze Land wiedererkennbar ist. Die Machtverhältnisse sind auch hier, fern der Metropole, eindeutig. Zuerst kommt der Wille des Oligarchen, dann kommt das Gericht, das für ihn entscheidet, dann kommen die Polizisten, die für Ordnung sorgen. Dann kommt irgendwann Kolya und dann seine Frau, das schwächste Glied in der Hierarchie.

Viele Implikationen

Der Film beginnt damit, dass Dimitri aus Moskau kommt. Ein alter Freund von Kolya, ein beeindruckender Mann, der vorgibt, er hätte gegen den Bürgermeister etwas "in der Hand". Es läuft also auf eine Machtprobe hinaus, und vielleicht auf einen Film wie im politischen Kino der 70er-Jahre: auf eine Studie autoritärer Verhältnisse, in einer Geschichte mit vielen Protagonisten und Implikationen. Leviathan bezieht seine Inspiration dabei aus einem berühmten Bild für die gebändigte Gesellschaft, wie es auf dem Frontispiz von Hobbes' politischem Klassiker verewigt wurde: Der Staat als Ungeheuer, in dessen Körper die Einzelwesen wimmeln.

Kolya ist einer, bei dem man auch den Eindruck hat, dass es in ihm selbst rumort. Er ist wohl zu leidenschaftlich, um seine Interessen gut zu vertreten. Und der viele Wodka hilft auch nicht weiter. So ruhen alle Hoffnungen auf Dimitri, auch die des Publikums, das sich gern an einem Helden festhalten würde. Doch Zyagintsev geht es nicht um Idealismus, sondern darum, welche Pragmatik sich gegen organisierte Rücksichtslosigkeit durchsetzen kann.

Seine familiäre Zelle, die dem wuchernden Staat gegenübersteht, ist dabei äußerst brüchig. Und so kommt in Leviathan das private Leben dem öffentlichen so in die Quere, dass es die Auseinandersetzung um Recht und Gesetz doch stark erschwert. Mit guten Schauspielern und einer Reihe von Überraschungen führt uns Zyagintsev einmal mit der Macht im Kreis - so viel kann immerhin verraten werden: Am Ende profitiert die orthodoxe Kirche.

Ob Russland mit den Mitteln der Kolportageerzählung wirklich zu entschlüsseln ist? Einer der großen Regisseure der späten Sowjetunion, der im Vorjahr verstorbene Aleksei German, war offensichtlich anderer Ansicht. Er hat einen Film hinterlassen, der sich in die Tradition der Allegorie stellt, also der narrativen Verschlüsselung.

Trudno byt' bogom (Hard to be a God) beruht auf einem Roman der Brüder Strugazki aus dem Jahr 1964. Damit ist schon klar, dass German sich hier an einer russisch-sowjetischen Königsdisziplin versucht, denn seit Tarkowskis Stalker und Sokurows Days of the Eclipse gehören Strugazki-Adaptionen zu den gewichtigsten Projekten für Filmemacher. Das liegt auch daran, dass die Science-Fiction-Romane der Brüder meistens aufs Ganze gehen: auf eine metaphysisch grundierte Vision der Zivilisation.

Dass Hard to be a God nun doch noch herauskommt, aus dem Nachlass des Regisseurs, macht Sinn, wenngleich der Gehalt der Erzählung sich nur mühsam erschließen lässt: Sie steckt bis zur Unkenntlichkeit im Morast fest. Der Film sollte ursprünglich History of the Arkanar Massacre heißen und sich damit auf das entscheidende Ereignis des Buches beziehen - ob es zu verhindern ist oder nicht, ist die Frage an den Protagonisten.

Ohne Renaissance

Das wichtigste Stichwort ist aber Renaissance. Auf dem Planeten, den wir zu sehen bekommen, gab es diese Epoche bisher nicht. Die lokale Zivilisation, die von entsandten Beobachtern untersucht wird, ist buchstäblich stecken geblieben in einem drastisch ausgemalten, schwarz-weißen Mittelalter.

Bei den Strugazkis steht eine geschichtstheologische Überlegung im Hintergrund: Was wäre, wenn jemand Schicksal spielen könnte, wenn jemand historische Weichen stellen oder zumindest punktuell intervenieren könnte? Wäre es richtig, Gott zu spielen?

Bei German ist es die schiere filmische Anstrengung, die diese Frage ein wenig in den Hintergrund rücken lässt. Denn Hard to be a God ist eine virtuose Elendserfahrung, eine Odyssee durch den Dreck, der auch die Geschichte verschlingt. Was German aber mit der Kamera macht, wie er sie mit seinem zumeist eher murmelnden Protagonisten halb schlafwandlerisch herumstreifen lässt; wie er die Figuren magisch anzuziehen scheint, das hat etwas von einem Antikarneval, einem postapokalyptischen Zombiefilm, der aber auf einer historischen Inversion beruht: eben dem Ausbleiben jeglicher Aufklärung.

Germans Projekt hat etwas von der Entrücktheit großer künstlerischer Monomanien. Doch in diesem schwierigen Jahr 2014 bekommt derFilm beträchtliche Signifikanz: Es ist kaum möglich, das Regime Arkanar nicht auf das Russland Putins zu beziehen, ein Land, das sich gerade durch prononcierte Antimodernität abzugrenzen versucht. Ein Land, das Behemoth und Leviathan zugleich in sich trägt - mythische Monster anstelle von Recht und Humanität. (Bert Rebhandl, DER STANDARD, 25.10.2014)