Das österreichische Bundesheer hat einen Zustand erreicht, wo das Aussetzen der allgemeinen Wehrpflicht für Männer zur einzigen Handlungsoption wird. Dem Ergebnis der letztjährigen Volksbefragung widerspricht diese Feststellung nicht. Schließlich hatte die Regierung damals weder den Mut noch die Absicht, die klar formulierte Entscheidungsfrage zu stellen, ob die allgemeine Wehrpflicht beibehalten werden soll oder nicht.

Stattdessen wurden vier Aspekte zu zwei Optionen vermischt: "Sind Sie für die Einführung eines Berufsheeres und eines bezahlten freiwilligen Sozialjahres?" oder "Sind Sie für die Beibehaltung der allgemeinen Wehrpflicht und des Zivildienstes?"

Roter Hering Zivildienst

Vor der Befragung wurde dann vor allem über die Notwendigkeit des Erhalts des Zivildienstes debattiert. Die Wehrpflicht mit Verweis auf den Wehrersatzdienst zu rechtfertigen, ist jedoch zynisch.

Zwangsdienste und Pflichtarbeit greifen tief in die Menschenrechte ein. Wer den Dienst an der Waffe mit der Notwendigkeit von billigen Arbeitskräften rechtfertigt, begeht nichts anderes als eine geistige Menschenrechtsverletzung. Sehr oft kommen diese Rechtfertigungen Hand in Hand mit der skurrilen Argumentation, dass Bundesheer und Zivildienst niemandem schaden und für die persönliche Entwicklung zuträglich seien. Die Einschränkung der persönlichen Freiheit wird dabei ganz selbstverständlich in Kauf genommen.

Nach Artikel 4 (2) der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) darf aber niemand gezwungen werden, Zwangs- oder Pflichtarbeit zu verrichten. Ja, in Absatz 3 ist definiert, dass der Wehrdienst und der Wehrersatzdienst davon ausgenommen sind. Nur dieser Absatz findet natürlich keine Anwendung, wenn die allgemeine Wehrpflicht nur beibehalten wird, um durch Wehrdienstverweigerung einen Ersatzdienst aufrecht erhalten zu können. Das ist eine Umgehung der Bestimmung.

Wer den Zivildienst zum Argument für die allgemeine Wehrpflicht macht, entzieht damit letztlich beiden die Legitimation. Wenn die Bevölkerung, nicht nur über die Wehrpflicht, sondern explizit auch über die Beibehaltung des Zivildienstes positiv abstimmt bzw. antwortet, dann kann es sich in weiterer Folge nur um einen freiwilligen Zivildienst handeln oder es muss eine Opt-Out-Möglichkeit vorgesehen werden. Sonst würde der Zivildienst zur Pflichtarbeit, die nach der EMRK verboten ist.

Die Volksbefragung hat sich in der Form, in der sie gestellt wurde, selbst ad absurdum geführt. Obwohl die allgemeine Wehrpflicht selbstverständlich weitreichende Folgen für den Zivildienst hat, kommen wir nicht darum herum, die Frage nach der Wehrpflicht gegebenenfalls sauber und isoliert zu stellen.

Militärisch nutzlos

Ist es also derzeit notwendig und sinnvoll, junge Männer zum Dienst an der Waffe zu verpflichten?

Während dem Bundesheer auf der einen Seite das Geld für den notwendigen Betrieb (Munition, Treibstoff, Ausrüstung) fehlt, wird mit der allgemeinen Wehrpflicht für Männer eine Ausbildungsinfrastruktur aufrecht erhalten, die unfertige Ausgebildete produziert. Die Soldaten erreichen nach sechs Monaten Grundwehrdienst ohne Milizübungen keine Feldeinsatztauglichkeit. Die allgemeine Wehrpflicht produziert Kosten, bringt aber keinerlei militärischen Nutzen mehr. Dieses Geld – immerhin 40 Prozent des Budgets und noch mehr an Personalressourcen – fehlt für den sinnvollen Aufbau eines leistungsfähigen Berufsheers mit einer Freiwilligen-Miliz.

Die österreichische Sicherheit ist längst nicht mehr von der allgemeinen Wehrpflicht für Männer abhängig. Das Hauptargument – die militärische Landesverteidigung – ist in der Debatte ja ohnehin schon längst weggefallen.

Wehrpflicht aussetzen

74 Prozent der Wahlberechtigten, die an der Volksbefragung teilgenommen haben, stimmten für die Wehrpflicht, um den Zivildienst zu erhalten. Das zeigt, wie erfolgreich die Konstrukteure der Volksbefragung die Frage nach der Wehrpflicht unter sekundären Rechtfertigungen versteckt haben.

Die allgemeine Wehrpflicht ist militärisch nicht sinnvoll. Sie ist gleichheitswidrig, da sie nur Männer betrifft und menschenrechtswidrig, wenn sie mit Zivildienst gerechtfertigt wird. Setzen wir diese teure und nutzlose Wehrpflicht für Männer aus! Geben wir ein Bekenntnis zur Realität der Landkarte ab und legen wir den Fokus auf ein Berufsheer, eine kleine einsatzorientierte Armee mit moderner Ausrüstung und freiwilliger Milizkomponente. Und lösen wir den Zivildienst durch freiwilligen Sozialdienst ab. (Niko Alm, derStandard.at, 24.10.2014)